Tag 10

Gründonnerstag, 21. April 2011

Mit dem Bus zum Krak des Chevaliers, Bahnfahrt nach Aleppo

 

Die Nacht ist ruhig und ich schlafe hervorragend. Fleißige Helfer beginnen schon um kurz nach fünf Uhr, die Landschaft wieder an meinem Fenster vorbeizuschieben und am Waggon zu wackeln – und mit ihren kleinen Hämmerchen auf die Räder klopfen. Die Sonne steht mit mir zusammen um sechs Uhr auf. Während ich so vom Bett aus durchs Fenster schaue, kommt mir dieses wie ein großer TV-Flachbild-Monitor vor, fast wie zu Hause, sogar in 3D, nur, hier gibt’s ein besseres Programm. Wenn der „Bildschirm“ bloß nicht so schmutzig wäre. Trotzdem, ich genieße die Fahrt mit großem Behagen, ich fahre ja gerne Bahn. Zum Frühstück um 7 Uhr bin wieder der Erste im Speisewagen.

Es geht erneut zurück in westlicher Richtung, nach Hims und dann biegen wir noch einmal nach Westen ab, wir wollen den Krak des Chevaliers besteigen. Auch heute winken uns die Kinder gerne zu.

Die angekündigte Besichtigung des Klosters des heiligen St. Georg fällt aus Sicherheitsgründen leider aus. Die besonders schöne Busfahrt nach Tartus und am Mittelmeer entlang ebenfalls. Morgen sind wieder die berühmt-berüchtigten Freitags-Gebete. Oberste Priorität hat natürlich unsere Sicherheit, man muß allen Risiken von vorne herein aus dem Weg gehen. Die Deutsche Botschaft hat der Reiseleitung wichtige neue Empfehlungen gegeben. Ein paar Leute sind allerdings etwas unzufrieden, weil es einfach zu wenig bzw. fast gar keine Infos zur Lage gibt. Ich bleibe gelassen und mache mir keinerlei Sorgen.

Udo hat Schmerzen und benötigt die Ärztin. Und seine Frau Barbara ist gestern Abend beim Beduinenessen hingefallen und hat eine entsprechend unangenehme Prellung mit Aufschürfungen. Schade, daß so etwas immer den friedlichsten Menschen passieren muß. Ich bedaure die beiden so sehr.

Barbara bittet mich, mit ihr zusammen im roten Bus mitzufahren und die Burg zu besichtigen. Leider verliere ich sie dann später etwas aus den Augen, weil ich ja stets meine eigenen Wege gehen muß. Aber die rote Gruppe gestattet es mir wenigstens, daß ich wieder bei ihnen mitfahre. Die Fahrt im roten Bus ist deutlich besser, Hassan Kharat ist hier dabei und er ist eindeutig der beste Reiseführer auf dieser Reise (der Welt?), immer mit klugen, witzigen, guten, hilfreichen und schlagfertigen Bemerkungen zur Hand. Ein erfahrener Mann mit sehr großem Wissen, der gerne auch als offizieller Dolmetscher bei politischen Besprechungen hinzugezogen wird. Man muß ihn einfach gern haben. Wobei ich aber bestimmt nichts gegen unseren ReiseleiterTarif sagen will, er gibt sich immerhin Mühe und sieht sehr gut aus. Ich jedenfalls finde ihn sehr sympathisch.

Inzwischen leiden immer mehr Leute an Durchfallerkrankungen. Ich hatte bisher Glück und blieb noch verschont.

Heute ist es wieder etwas wolkig mit Aufheiterungen, was ich als sehr angenehm empfinde. Kinder hüten Schafe und Ziegen, statt in der Schule zu sein.

Das Umweltbewußtsein ist hier in Syrien niedrig, bzw. nicht vorhanden. Überall wird Müll verbrannt. Viele Kesselwagen mit Erdöl stehen immer wieder herum, alle sind dick und schwarz verkrustet, weil das Öl oben aus den undichten Deckeln ständig herausschwappt.

Unser Zug schlängelt sich jetzt in leichten Kurven bergab ins Tal hinunter. Hier ist alles grün und alle Felder sind bewirtschaftet.

Orient April 2011 

Am Bahnhof in Oum Jamee steigen wir in die bereits auf uns wartenden Busse um und fahren eine ausnahmsweise gute aber steile Straße zum Krak des Chevaliers hinauf. Wir sind hier 750 Meter hoch auf dem Dschebel Khalil, ganz nahe der libanesischen Grenze. Auch hier winken uns die Menschen freundlich zu, sogar die Babies werden extra für uns aufgeweckt und an die Straße gebracht, während unsere Busse vorbeifahren. Es handelt sich hier um eine sehr guterhaltene Burg, die natürlich auch als Weltkulturerbe eingestuft wurde. (Wie meine Heimat „Oberes Mittelrheintal“ zu Hause…)

 Orient April 2011

Orient April 2011

Krak des Chevaliers - Google-Suche   mit vielen Fotos

Krak des Chevaliers – Wikipedia

Von Hassan hören wir, daß die Burg von Kreuzrittern erbaut worden ist. Sie sind dann hier geblieben, weil hier „Milch und Honig flossen“, und weil es hier so grün und fruchtbar gewesen sein soll. Rothaarige Menschen gibt es hier immer noch und sie sollen alle von den Kreuzrittern abstammen. Die Kreuzritter kamen auf dem Land- wie auf dem Seeweg, 128 Burgen und Bollwerke sollen sie gebaut haben, 26 sind immer noch zu besichtigen, der hiesige Krak des Chevalier ist am besten erhalten. Viertausend Soldaten waren hier stationiert. Sie konnten jahrelangen Belagerungen widerstehen, denn sie hatten für fünf Jahre zu essen und immer genügend Regenwasser. Anrückende Feinde konnte man schon tagelang im Voraus sehen. Dazu ging es sehr steil zur Burg hinauf, man konnte sich also immer gut verteidigen. Trotzdem wurde die Burg 1271 von Sultan Baibars erobert.

Übrigens: Man hatte genug Zeit, die Burg zu bauen, deshalb sind die Türme meistens rund. Aus ihnen schüttete man kochendes Olivenöl auf die Feinde herunter. (Schade für das wertvolle Öl!)

Natürlich gibt es auch hier wieder unzählige Händler. Viele wollen etwas verkaufen, und wenn es nur eine Handreichung ist, oder ein freundliches „Welcome“, für alles versucht man, Geld zu bekommen. Aber es ist hier ja auch schwer, für den eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familie zu sorgen. Trotzdem, lästig sind sie alle. Vor allem auch, wenn sie hinter einer dunkeln Ecke stehen und einem dann mit einer Taschenlampe „hilfreich“ leuchten. Dazu gibt es jetzt auch immer wieder Händler, die ein gerilltes Holzinstrument verkaufen, das beim Drüberreiben grillenähnliche Töne erzeugt. Diese Töne hört man ständig aus allen Richtungen. Dann die Geldwechsler; hat die nicht Jesus schon aus dem Tempel vertrieben, ob ihrer Lästigkeit? Bettler gibt es auch, die ganz direkt nach Bakschisch fragen.

Hassan hat mich jetzt endlich aufgeklärt. Schon oft habe ich bemerkt, daß die Leute mich verblüfft und überlegend angesehen haben. Jetzt weiß ich, daß ich hier in Syrien einen berühmten Doppelgänger habe, er ist ein (natürlich sympathischer!) Schauspieler und heißt Abu Haleb oder so ähnlich. Die Kellner bestätigen es ihm, weil ich ihm erst gar nicht glauben will. Leider kann ich nichts im Internet über ihn finden. Aber die Ähnlichkeit muß frappierend sein, auch später sehe ich immer wieder in staunende und fragende Augen. Ich „antworte“ dann schon mal mit einem wissenden Blinzeln oder Lächeln.

Mein roter Bus ist schon weggefahren, als ich endlich aus der Burg komme. Tarif läßt daher extra und nur für mich den blauen Bus noch einmal an einer besonderen Aussichtsstelle für ein Foto anhalten. Dann geht es schnurstracks zum Zug, das geplante Essen in einem schönen Restaurant entfällt aus besagten Sicherheitsgründen.

Tarif erzählt uns noch etwas über das syrische Schulsystem: Es besteht Schulpflicht bis zur neunten Klasse und es wird offiziell auch viel dafür getan. Die Kinder lernen immer mehrere Fremdsprachen, vor allem natürlich englisch. Nach der 9. Klasse gibt es das erste Zeugnis. (Hätte ich mir früher als Schüler auch so gewünscht. Dann wäre ich nicht jedes halbe Jahr so schlimm ausgeschimpft worden.) Außer den staatlichen Schulen gibt es auch sehr viele private Schulen. Es gibt auch Wanderschulen für die Beduinenkinder und es wird überhaupt viel für die Kinder getan.

Alle Häuser sind grau. Hier auch. Fassadenfarbe kennt man in Syrien nicht.

Am kleinen Bahnhof steigen wir wieder in unseren Zug. Barbara hat mir meinen  Rucksack aus dem roten Bus mitgebracht, also alles wieder OK. Mittagessen im Zug. Er schwankt so sehr, daß ich jedes Mal froh bin, meinen Mund mit der Gabel getroffen zu haben. Draußen ist noch alles grün. Auch mal ganz angenehm: Endlich mal kein Raps und kein Mais, so wie bei uns oder in den USA, wenn ich drüben bin.

Im Zug erzählt man schlimme Dinge über Syrien. Es herrscht Diktatur in einem Polizeistaat. Für immer möchte ich hier nicht leben.

Wieder kommen wir an einer Ölraffinerie vorbei, ich glaube, es ist dieselbe, an der wir schon ein paarmal vorbeigekommen sind. Auch hier, wo man doch eigentlich im Geld schwimmt, ist alles genauso verkommen wie überall im Land.

Kein Wunder, daß uns alle Leute nachschauen. Unser Zug sieht in ihren Augen ja auch ganz besonders sauber und luxuriös aus. So etwas sehen sie hier nur selten, eigentlich nur im Frühjahr und im Herbst. Und im nächsten Herbst vielleicht gar nicht, wenn  es mit den Unruhen so weiter gehen sollte. Syrische Züge sehen zum Erbarmen schlecht aus. Die Sonne ist heute nicht so heiß und hält sich immer noch vornehm zurück.

Immer wieder gibt es Aufenthalte, oft bis zu einer Stunde, weil Züge oder einzelne Loks auf der nach wie vor eingleisigen Strecke vorbeigelassen werden müssen. Wir sind zwar ein Sonderzug, haben aber keine Sonderrechte.

Kamelen wird hier gerne ein Vorderbein abgeknickt und zusammengebunden, sodaß sie nur noch herumhumpeln und nicht weglaufen können. Sieht schrecklich aus. Was für eine Quälerei für die bedauernswerten Tiere. Kühe und Esel werden an kurzen Seilen angebunden und haben es auch nicht viel besser.

Wir fahren jetzt wieder weiter nach Norden, nächstes Ziel Aleppo. Am frühen Nachmittag hält Ingrid einen Vortrag über die Geschichte der Kreuzzüge. Erst über die Lautsprecher, aber weil es immer wieder Übertragungsprobleme gibt, wieder ganz ohne. Sie verfügt über einen immensen Schatz an Geschichtswissen, dazu an Poesie, aber bei einer Ingrid erwartet man es ja auch nicht anders.

Hier im Speisewagen amüsieren wir uns immer wieder über den Teppich, dessen Kante umgeschlagen ist und ständig Anlaß zum leichten Stolpern gibt.

 Orient April 2011

Es hat ab 1059 (bis 1270) acht Kreuzzüge plus den berühmten Kinderkreuzzug gegeben. Unter anderem wollten die Kreuzritter Papst Urban II. in Jerusalem aus den Händen der Moslems befreien. Wir hören einen interessanten Vortrag, u.a. über Peter, den Einsiedler, der mit einer Horde Leute Köln, Mainz, Worms und Speyer überfallen und viele Juden ermordet haben soll.

Peter der Einsiedler – Wikipedia

Insgesamt waren diese Kreuzzüge immer sehr grausam. Es wurden vier Kreuzfahrerstaaten (Grafschaften) von ihnen gegründet.

Grafschaft Tripolis – Wikipedia

1204 haben die Kreuzritter sogar Byzanz, die größte Stadt der damaligen Welt,  zerstört. Drei oder vier Kreuzritterorden sind übrig geblieben. Richard Löwenherz ist gar nicht der tapfere Ritter gewesen, ursprünglich bedeutete sein Name „der Grausame“.

Eine Zementfabrik rollt an unseren Fenstern vorbei. Alles marode. Beduinen haben ihre Zelte daneben und teilweise auf Müllkippen aufgeschlagen. Udo ist noch immer krank auf seinem Abteil. In der Ferne gibt es ein paar bewaldete Berge.

Felsenmeer: Auch hier wieder bzw. immer noch unzählige riesenschwere Steine auf den Getreidefeldern, bzw. dazwischen zu Wällen aufgeschichtet. Sobald diese Steinwüsten aufhören, beginnen die Getreidefelder größer zu werden und ein paar Ortschaften tauchen dazwischen auf. Hier gibt es offensichtlich etwas mehr Geld, sodaß es auch weniger Mohn gibt. Unsere Handys haben eigentlich meistens Netz, da gibt es keine Probleme.

Orient April 2011 

In der arabischen Mentalität gibt es offenbar kein Reparieren. Wenn etwas kaputt ist, bleibt es kaputt. Obwohl: Es gibt Ausnahmen. In Aleppo habe ich viele winzigkleine „Werkstätten“ gesehen, die auch einfachste Dinge noch reparieren, z.B. Bremsscheiben, Kugellager und was weiß ich alles. Auch eine kleine Handywerkstatt habe ich im Basar gesehen, wo der junge Mann fleißig an den Handyinnereien herumgelötet hat. Das gibt es bei uns leider nicht.

Übrigens: So, wie wir unser Bettzeug zu Hause ins Fenster legen, so hängt die fleißige syrische Hausfrau, die etwas auf sich hält, ihre Teppiche über die Geländer ihrer Dachterrasse.

Mit einer halben Stunde Verspätung nähern wir uns Aleppo; die Einwohner nennt man Aleppiner. Aleppo gilt als älteste immer bewohnte Stadt; über achttausend Jahre. Umso mehr stören auch hier Müllberge, Schmutz und Unrat. Eine riesige Kläranlage ist im Bau und fast fertig, immerhin. Aber auch hier wieder eine heruntergekommene Ölraffinerie und ein ebensolches Betonwerk, Moscheen, eine Autobahn – und ein weißgraues tristes Häusermeer.

Hier in der Vorstadt sind die Steinmetze zu Hause, kleine Werkstätten mit Marmor, Granit usw., die dazugehörigen Häuser sehen sehr armselig aus.

Hier sind sogar die Banken arm, an einer sehe ich, daß schon ein paar Buchstaben im Namen an der Hauswand fehlen. Auch hier steht eine alte Lok neben dem Bahnhof.

Großer Bahnhof am Bahnhof in Aleppo: Ein Fernsehteam filmt, wie unser Zug eintrifft und interviewt ein paar Leute unserer Reisegruppe. Unseren Zug lassen wir hier zurück, er muß bis übermorgen auf uns warten.

 Orient April 2011

Weil der Basar morgen am Freitag geschlossen ist, besuchen wir ihn schon heute. Ein dichter Menschenstrom schiebt sich hier durch und an den Verkaufsläden vorbei. Dazwischen werden Waren transportiert, fahren sogar Mopeds mit ihren schweren Lasten, auch ein Auto quält sich schonmal durch, Leute mit Sackkarren, es ist das totale Chaos. Aber doch immer noch ein geregeltes Durcheinander. Der größte Basar der Welt. Labyrinthisch! Ich weiche auf einen ruhigeren der vielen Nebengänge aus und habe da deutlich mehr Luft zum Atmen. Mmmh, ich habe Glück, hier duftet es auch besser. Viel besser! Aleppo ist ja für seine wohlduftende Seife bekannt und hier gibt es viele Stände dafür.

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Orient April 2011

Vor der Zitadelle kommen wir wieder ins Freie und besteigen nach einiger Zeit erneut unsere Busse, die uns ins Sheraton-Hotel bringen. Viele Häuser in den engen Straßen sehen, gelinde gesagt, stark baufällig aus. Trotzdem leben Menschen darin.

 Orient April 2011

Ausgerechnet für mich gibt es mal wieder keinen Schlüssel wie für alle anderen, Tarif muß ihn am Registration-Desk für mich extra machen lassen. Dann bin ich endlich auf meinem Zimmer, es gibt ein breites Bett mit vier Kissen, das Bett ist ungefähr viermal breiter als im Zug, das Fenster läßt sich etwas öffnen, ein alter kleiner Fernseher, und immerhin ZDF wie immer. Das Zimmer ist OK, es gibt auch einen kleinen Safe; Internet-Zugang kostet wie überall auf meiner Reise.

Udo und Barbara wohnen wieder in einem aufpreispflichtigen Wohlfühl-Hotel. Ich ärgere mich, daß ich diese Kategorie nicht gebucht habe. Wieder mal an der falschen Stelle gespart.

Auch hier in der Medina (Innenstadt) sind alle Läden schmutzig; ich habe in Damaskus und in Aleppo kein einziges sauberes oder gar elegantes Geschäft gesehen, wie man es bei uns kennt. Der Verkehr ist heftig, man fährt wie man will, aber routiniert, sodaß es eigentlich nie zu irgendwelchen Streitereien kommt. Man hupt natürlich eifrig, aber alles easy. Die Leute können fahren.

Unser Abendessen gibt es außer Haus in einem anderen größeren „historischen“ Hotel. Erst sehen wir einer Show mit tanzenden Derwischen zu, die sich eifrig drehen und doch nie umfallen. Eigentlich sollte die Show morgen sein, aber das Programm wurde geändert. Dann das eigentliche Abendessen nebenan im selben Haus, wie immer mit drei, vier Gängen.

 Orient April 2011

Dann laufen wir ein paar Minuten zurück ins Sheraton-Hotel. Auch hier die Sicherheitsschleußen, denen aber selten irgendeine Beachtung gezollt wird, oft sind sie sogar ausgeschaltet. Um 22:30 Uhr liege ich im Bett.

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