Tag
11 Karfreitag,
22. April 2011 Welch
eine Freude: Mein Zimmer liegt nach Osten. Die Sonne beginnt mit ihrer
Arbeit wie immer gegen sechs Uhr und ich kann ihr beim Aufstehen zusehen.
Für die Aleppiner ist heute ihr freier Tag, daher läuft der Verkehr draußen
sehr ruhig, noch kein Krach und kein Gehupe unten auf der Straße. Unter
meinem Fenster ist ein großer bewachter Autofriedhof, mitten in der
Stadt. Eine
Kirchenglocke bimmelt um acht, aber hier gibt es ja oft die eine oder
andere christliche Kirche. Nanu, der Himmel hat sich zugezogen, dicke
Wolken dräuen am Himmel. Solange es warm bleibt, ist alles OK. Meine
Wunde am Bein habe ich zum Duschen wieder mit Plastik überdeckt; die
roten Flecken werden schwächer. Das Frühstück ist etwas beschwerlich.
Unglaublich: Das Personal ist nicht auf die vielen Gäste eingestellt, und
dabei werden noch ein paar weitere französische Reisegruppen erwartet.
Die Kellner sind hilflos und schon mit uns total überfordert. Gut, daß
der alte Sheraton (falls es ihn je gegeben hat) das nicht mehr miterlebt,
er würde sofort das gesamte Personal rausschmeißen. Jürgen beschwert
sich zwar beim General-Manager, aber das wird auch nicht viel helfen. Wir
fahren um neun Uhr los zur Zitadelle. Zwölf Grad. Es regnet. Viele Geschäfte
sind (noch) geschlossen. Auf der Zitadelle (= Festung), einem
„Meisterwerk des arabischen Festungsbaus mit herrlichem Ausblick“, löse
ich mich von der Gruppe und laufe voraus. Aber im Regen macht es nicht
allzu viel Spaß. Bald strömt der Regen wie aus Gießkannen. Die
Sonnencreme hätte ich mir jedenfalls sparen können, aber sie hilft ja
bestimmt auch gegen Nässe und Kälte. Tausende Satellitenschüsseln
recken sich mir hilflos um Sonne flehend zu, aber ich kann ihnen auch
nicht helfen, es wird schon irgendwann von selbst mit dem Regen aufhören. Die
Reiseleitung lädt uns hier oben zu einem Kaffee oder Tee ein und ich kann
meine Zigarre im Trockenen sitzend genießen. Udo ist immer noch krank im
Zimmer. So gefährlich hätte ich mir einen Ritt auf dem Kamel nicht
vorgestellt. Barbara ist alleine im Basar unterwegs und läßt sich von
einem „freundlichen“ Ladenbesitzer „unverbindlich“ zu einem gemütlichen
Tee und Gebäck einladen. Ergebnis: Ein teurer Schal und viel Geld finden
neue Besitzer. Der
Besuch im Nationalmuseum fällt aus, weil der Reiseleitung plötzlich einfällt,
daß wir in Demonstrationen geraten könnten. Im Wohlfühl-Hotel soll es
mindestens ein Einzelzimmer gegeben haben, das kein Fenster hat. In einem
solchen Zimmer könnte ich nicht schlafen. Gut, daß ich diese Kategorie
nicht gebucht habe. Inzwischen hat der Regen aufgehört. Zurück
im Hotel föhnen erst mal alle Leute ihre nassen Sachen trocken. Als
Motorradfahrer habe ich da ja genug Erfahrung, wenn auch mit etwas
schlechtem Gewissen ob der Energieverschwendung. Manche Leute hatten sogar
Wasser in den Schuhen stehen. Tarif
besorgt unterdessen zwanzig Schirme à drei Euro. Ich habe ja extra
einen kleinen für diese Reise gekauft, aber er liegt gut aufgehoben im
Zug. Alle erwarten, daß es keinen weiteren Regen mehr geben wird, nachdem
die Schirme gekauft sind – und so ist es auch. Ich werde den Schirm
nicht mehr benötigen. Regenschirme nennt man hier übrigens
Sonnenschirme. In
und vor der Zitadelle gab es übrigens keinen einzigen der sonst so
aufdringlichen fliegenden Händler. Ich weiß nicht, ob sie der Regen
abgeschreckt hat. Um
12:15 Uhr geht unsere Tour weiter, wir fahren dreißig Kilometer
nordwestlich zum Simeonskloster und sind jetzt nur noch ein paar wenige
Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Unterwegs sehe ich Polizei
und Militär verstärkt vor den Moscheen. Hier
oben wird es etwas heller und der zwischenzeitliche kurze Regen hört auf.
Oliven-, Mandel- und Eukalyptusbäume wachsen hier, dazwischen immer
wieder Zypressen. Und die obligatorischen Schafherden. Der rotbraune Boden
ist offensichtlich sehr fruchtbar. Auch
dieses Kloster ist mehrmals von Erdbeben zerstört worden, wurde aber
immer wieder aufgebaut und vergrößert, auch hier sind genug alte Mauern
zu besichtigen, die sich in den Regenpfützen spiegeln. Ein kleiner
anderthalb Meter hoher Stein steht im Zentrum. Dies soll der Fuß der Säule
sein, von der aus der heilige St. Symeon (ja, ich weiß, heilig und
St. ist doppel gemoppelt), jahrzehntelang („vierzig Jahre“) predigte. Tarif
erzählt uns über die hiesigen Müllprobleme. Die Müllabfuhr wurde vor
zwanzig Jahren von Privatgesellschaften übernommen und seitdem ist alles
zusammengebrochen. Es ist wirklich so schlimm, daß sich Tarif für sein
eigenes Land schämt. Zu den Verkehrsgesetzen berichtet er, daß es solche
hier zwar gibt, diese aber kaum beachtet werden. Auch eine Führerscheinprüfung
gibt es, die man aber nicht mit der unseren vergleichen kann. Mopeds
werden ganz ohne Führerschein gefahren, Motorräder gibt es offiziell
nicht und sind immer ins Land geschmuggelt. Helmpflicht kennt man hier natürlich
nicht. Unsere üblichen Mineralöl-Firmen und ihre großzügigen
Tankstellen gibt es hier nicht; sie sind alle klein und schäbig. Inzwischen
ist es wieder hügeliger geworden. Die Felsen bestehen aus Kalkstein. Auf
den saftiggrünen Wiesen wachsen viele gelbe Blumen und dunkelroter Mohn.
(Mohn gehört nun mal zu meinen Lieblingsblumen.) Ich
beobachte immer wieder Leute in unserer Gruppe, die sogar ausgedruckte
Internetseiten dabeihaben, oder gar mit Neonmarker markierte Landkarten.
So „strebsam“ möchte ich nicht sein. Viele
alte knorrige Olivenbäume wachsen hier und verschönern die Gegend. Unser
im Freien geplantes Picknick auf dem Rückweg wird in einem „rustikalen
Restaurant“ abgewickelt, ich würde es „primitiv“ nennen, wobei es
wohl für die Reiseleitung recht schwierig gewesen sein soll, überhaupt
diesen Raum zu besorgen, wir sind ja immerhin mit allem Drum und Dran fast
hundertzwanzig Leute. Nach
dem Essen trinke ich zwei sehr gut schmeckende mit Kardamom bestäubte
Espressi. Getränke werden großzügigerweise von der Reiseleitung übernommen.
Bier und Wein gibt es allerdings nicht. Die Sonne lugt jetzt immer wieder
hervor. Wir
machen noch einen kleinen Abstecher zu einer Totenstadt (Qatoura), aber außer
ein paar Löchern und kleinen Höhlen in den Felsen gibt es nicht viel zu
sehen. Die Kinder des nahen Dorfes kommen natürlich angerannt, um uns zu
bestaunen. Schade, daß ich nicht genug Münzen habe, die sind hier überhaupt
knapp. Auf
der Rückfahrt vom Kloster werden wir reichlich durchgeschüttelt, sogar
unser armer Bus tut mir leid. Kleine Kinder gibt es in den Dörfern genug.
Die
beiden Frankfurter auf der Rückbank direkt hinter mir hören nicht auf zu
quasseln, und da man im Bus immer denselben Platz innehat, fällt es mir
immer schwerer, sie gerne zu haben. Sie kommen mir manchmal wie Statler
und Waldorf aus der Sesamstraße vor, oder wie die beiden von
„Badesalz“. Keine dreißig Sekunden Ruhe, ständig und ohne Pause sind
sie am Plappern mit jeder Menge Allgemeinplätzen und selbstverständlichen
Weisheiten und ihrem Gelache. Ich müßte mir die Ohren zuhalten und laut
vor mich hin singen, aber stundenlang? Tagelang?? Kuh
und Hühner passen hier übrigens prima in eine Garage. Ich sehe viele
Beweise dafür. Alle Häuser haben Flachdächer, aber es regnet hier ja
auch kaum. Moscheen verfügen grundsätzlich über Lautsprecher-Batterien,
manchmal sind es fast so viele, daß sie mich an Granatmörser beim Militär
erinnern. Statt mit Granaten wird mit schrecklichem Singsang geschossen.
Auf den Feldern werden auch Linsen angebaut. An
einer uralten Römerstraße halten wir und „müssen“ ein paar hundert
Meter darauf laufen, bis wir wieder in die Busse einsteigen dürfen. Ostern
wird hier in den arabischen Ländern übrigens auch gefeiert. Ich sehe
viele syrische Familien beim Picknick „im Grünen“, nur daß sie
alle mitten im Müll und Staub und Unrat sitzen, und daß es ihnen
offenbar nichts ausmacht. Aber sie machen ja noch nicht einmal vor ihrer
eigenen Haustür sauber. Leitplanken kennt man hier übrigens auch nicht. Unser
Abendessen gibt es im Hotelrestaurant. Um 21.00 Uhr liege ich im
Bett. |