Sonntag, 26. April 2009 Snyder – Amarillo, 416 Meilen |
Wie
erhofft kein Regen, aber es ist kühl und trüb. Der Wind bläst wie
gestern durch die Landschaft. Die Straße ist und bleibt heute meistens
lang und breit und gerade, schade. Aber dafür habe ich auch schon mal
120 Meilen auf dem Tacho = fast Endgeschwindigkeit. Die
Kühe müssen mich schon von weitem hören, denn meine Musik aus dem
MP3-Player ist heute etwas lauter als sonst. (Die original Lautsprecher
der amerikanischen GoldWing sind aber auch ganz besonders gut – und
laut, saumäßig gut und laut – und trotzdem stets noch sauber und
klar!) Erst wenden die Kühe mir völlig entgeistert ihre Köpfe zu,
aber dann fangen sie doch tatsächlich gleich an mitzugrooven.
Jedenfalls sieht es im Rückspiegel so aus. Von Elvis, Tina, Phil, Cat,
Fleetwood Mac, den Stones und all meinen vielen andern Freunden werden
sie noch nicht viel gehört haben und von Andrea Berg, Hubert von
Goisern und DJ Ötzi bestimmt schon mal rein gar nichts. Radiohören
kann man in den USA übrigens nicht, es gibt nur Gequatsche und Werbung,
Werbung, Werbung. Und natürlich Werbung. Und wenn dann mal
ausnahmsweise ein Song kommt, ist es immer einer der fünf aktuellen
Hits, die einem dann schnell aus den Ohren kommen. Die
Erde ist hier tiefbraun, rötlichbraun. Die Baumwollfelder sind gerade
abgeerntet, überall liegen noch Baumwolllöckchen herum. Manchmal sehe
ich stundenlang kein anderes Auto. Auf dem Highway 70 fahre ich durch
Spur und Silverton. Ich versuche es auch mal wieder mit einer kleinen
Nebenstraße, habe diesmal aber kein Glück, eine Brücke ist gesperrt,
muß umdrehen und wieder zurück.
Natürlich,
wie schon oft, mein Benzin wird mal wieder knapp. (Der Tank an einer
GoldWing ist eindeutig zu klein!) Die Warnlampe schreit schon längere
Zeit. Auf der Karte kein Ort weit und breit, wo es eine Tankstelle geben
könnte! Das Navi kündigt die nächste Tankstelle in 26 Meilen
Entfernung an, leider in der falschen Richtung, ist auch sowieso viel zu
weit dorthin. Außerdem fahre ich nur zurück, wenn
es mal gar nicht anders geht. Was mache ich jetzt? Ob ich diesmal
wirklich (zum allerersten Mal) Pech haben sollte und trocken
liegenbleibe? Nein! Ich bin doch ein Glückskind, habe in meinem Leben,
wenn es drauf ankam, immer Glück gehabt, so auch heute. Ich
habe noch nie eine so einfache, geradezu primitive Tankstelle gesehen,
aber der liebe Gott hat sie extra und nur für mich in den Schotter
gestellt, zwei rostige Säulen mit einem neuen Kassenautomaten, ohne
Reklameschild, ohne lebenden Menschen, etwas abseits der Straße, beim
Vorbeifahren überhaupt schwer zu erkennen, beinahe wäre ich dran
vorbeigesaust, weit und breit ist alles einsam und verlassen, ich habe
sie nur ganz zufällig entdeckt und ich befürchte schon, daß sie
leergesaugt ist, oder daß sie tot ist, aber meine Skepsis ist total
unbegründet, sie funktioniert einwandfrei, spendet meinem Tank auf
Anhieb und ohne jeglichen Widerstand lebenswichtiges Manna.
Mit
so viel Labsal gestärkt geht es gutgelaunt weiter. Warum weigere ich
mich ständig, schon bei halbvollem Tank nachzutanken? Na gut, ich gebe
es zu, ich bin faul und bequem und bisher ist es ja auch immer
gutgegangen. Außerdem: Sobald ich nur mal kurz anhalte, um in der Karte
etwas nachzusehen, hält schon eins der nächsten Autos und fragt, ob
ich Hilfe benötige. Besonders hier auf dem Land. Deshalb bin ich mir
sicher, daß ich im Notfall jederzeit sofort ein paar Liter Benzin oder
auf jeden Fall Hilfe bekäme und zögere schon mal etwas lange mit dem
Nachfüllen. Meine
Stimmung ist zusammen mit dem Pegelstand im Tank sofort wieder auf den höchstmöglichen
Level hochgeschnellt. Obwohl Regen angekündigt worden war, ist es längst
wieder heiß und sonnig. Die
Straße bleibt breit und langweilig. Bis ich plötzlich und unvermittelt
erst durch eine Schlucht und dann an einen See komme: Lake McKenzie.
Hier lege ich eine kleine Pause ein. Und kurz darauf ein neues
Highlight: Der Palo Duro Canyon. Ich habe noch nie von ihm gehört und
habe ihn auch mal wieder nur rein zufällig gefunden. Er ist riesig,
eigentlich ein kleiner Grand Canyon, und so nennt er sich auch: „The
Grand Canyon of Texas“. Zuhause lese ich, daß er der zweitgrößte
Canyon der USA ist! Schade, keine Zeit, um hier länger zu verweilen,
ich bin etwas müde und will endlich mein Zimmer für die Nacht haben.
Das
ersehnte Zimmer finde ich bald darauf in Amarillo im Fifth Season Inn.
Weil ich olle Sparnase mal wieder den Zimmerpreis auf 46 $ runterhandeln
muß, bekomme ich auch ein entsprechend billiges, nein, schäbiges
Zimmer im rückwärtigen Teil des Motels. Auch die Leute hier vor den
Zimmern gefallen mir nicht. Die Atmosphäre hier hinten ist überhaupt
sehr bedrückend. Nein, das muß ich nicht haben, so sehr muß ich ja
nun auch wieder nicht sparen, deshalb tausche ich kurzentschlossen das
schäbige Zimmer gegen 20 $ Aufpreis in ein ordentlicheres um und bin
auch wieder vorne und wieder im ersten Stock und überhaupt endlich
wieder unter „normalen“ Menschen. Eigentlich
ist noch genug Zeit für die Cadillacs. Bereits in meiner Jugend habe
ich von ihnen gelesen und wollte sie natürlich schon immer sehen. Ja,
hier in Amarillo ist es, direkt an der Autobahn, wo sie 1974 von Chip
Lord, Hudson Marquez und Doug Michels hintereinander mit den Kühlerhauben
in den Wüstenboden gerammt worden sind und nur noch ab der A-Säule mit
ihren Hinterteilen aus der Erde ragen, zehn Cadillacs aus den Jahren
1949 bis 1963, leer, total ausgeschlachtet, von den „Künstlern“
aller Innereien beraubt, ursprünglich mal weiß, heute etwas bunter.
Sie sind so bunt, daß die Farbschicht inzwischen längst dicker ist als
das ursprüngliche rostige Blechkleid, denn jeder darf sie mit
mitgebrachter Sprühfarbe nach eigenem Gutdünken „grafittieren“. Während
ich drum rumlaufe, kommt doch tatsächlich eine Familie und sprayt die
Autos aus mitgebrachten Farbdosen in meinem Beisein an. (Die Leute haben
aber auch keinen Respekt. Vor nichts und niemandem.) Die Cadillacs
wurden zur Erinnerung an die hier vorbeiführende Old Route 66 in der
heißen Wüstenerde begraben. Die Autos ragen (angeblich) im selben
Winkel wie die Cheops-Pyramide in den blauen Himmel. Sie gelten als
Kunstwerk, ein Kunstwerk, das sein Aussehen im Laufe der Zeit ständig
ändert: Cadillac
Ranch, Amarillo, Texas
Ich
bin eigentlich etwas enttäuscht aber trotzdem froh, die Cadillacs überhaupt
gefunden und endlich mal mit eigenen Augen gesehen zu haben. Zurück
im Hotel rufe ich im Big Texan Steak Ranch an. Und schon nach ein paar
Minuten kommt Chauffeur Don in seinem (unbesprayten) weißen Cadillac
an, vorne auf der Motorhaube die bekannten riesigen Longhorn-Hörner.
Ich lasse mich zu dem berühmten Steakhouse fahren, um dort, natürlich,
ein kleines Steak mit 10 Unzen zu essen. Das große mit den 72 Unzen,
also über zwei Kilo Fleisch zuzüglich Salat, Shrimps, Kartoffeln, Brötchen
ist mir etwas zu groß. Für den seltenen Fall, daß man alles, wirklich
alles, innerhalb 60 Minuten aufißt, nein, auffrißt, mit allem Drum und
Dran, bekommt man sein Geld zurück und wird auf einer Siegerliste
verewigt. (Früher, in den 60er Jahren hat es mal 9,95 $ gekostet.
Inzwischen muß man immerhin schon 72 $ hinblättern, die vorher bezahlt
werden müssen.) Mir genügt es, den beiden Männern, die es gerade
versuchen, auf ihrer erhöhten Plattform beim Essen zuzusehen. Es wird
also immer wieder versucht, den fast aussichtslosen Kampf zu gewinnen.
Der derzeitige „Weltrekord“ liegt bei unfaßbaren 8 Minuten 52
Sekunden. (Muß ein Mülleimer gewesen sein…) In dieser Zeit könnte
ich wahrscheinlich noch nicht einmal mein im Vergleich dazu winziges
Ministeak für Zwerge aufessen. Die meisten Leute schöpfen die
erlaubten 60 Minuten aber reichlich aus. Die Gewinner der letzten Jahre
und alles andere mehr oder weniger Wissenswerte, zusammen mit einer
Live-Cam, findet man hier auf dieser lesenswerten Seite: Big Texan: Home of the FREE 72 oz. Steak
(Übrigens:
Konnie „Moin“ Reimann war mit Familie samt altem Cadillac und
Wohnwagen auf seiner Urlaubsreise nach Las Vegas auch schon hier, hat es
auch versucht, hat das Riesensteak aber noch nicht einmal bis zur Hälfte
geschafft. Er ist halt ein liebenswertes Großmaul – ich mag ihn
trotzdem, samt Familie…) Hier
noch ein paar besonders staunenswerte Besonderheiten, die ich der
Homepage entnommen habe: -
Die älteste Frau, die es geschafft hat, war eine 69-jährige Großmutter!
-
Der jüngste war ein elf Jahre alter Junge! -
Mindestens zwei Leute sollen gleich zwei Portionen hintereinander
aufgefressen haben! (Glaub ich aber nicht!) Danach
werde ich von Roger wieder stilvoll zurückgefahren. Die Fahrt kostet
eigentlich nichts, nur ein diesmal etwas großzügigeres Trinkgeld für
den Fahrer. Insgesamt hat mich das Abendessen
44 $ gekostet - und das war es mir auch wert. |