Mittwoch, 10. November 2010
Del Rio, TX – Carlsbad, NM  (405 Meilen)

Frühstück im IHOP. Ich habe mir ein „Garden-Omelett“ bestellt. Die in der Speisekarte versprochene reiche Auswahl an Gemüse entpuppt sich als ganz wenige gehackte winzigkleine grüne Paprika(partikel), zwei kleine Tomatenstückchen und drei dünne Champignon-Scheibchen. Das zeigt mal wieder die oft erhebliche Diskrepanz zwischen Werbung und Realität.

Im Wal-Mart wird Sonnenbrille Nummer vier erworben. Bei Nummer zwei ist mittlerweile ein Bügel abgebrochen.

Nanu, der Himmel zieht sich zu und es nieselt etwas. Sollte sich das Wetter wirklich ändern? Nein, nein, als ich vom Frühstück zurückkomme, ist der Spuk schon vorbei und die Sonne kommt gleich wieder raus. Ich muß ein kleines Stück auf der gestrigen Straße zurück. Wieder ein Check-Point. Eine Beamtin muß sich besonders hervortun und ich muß ihr meinen Kofferraum zeigen. In Mexiko letztes Jahr war‘s auch nicht schlimmer mit diesen Kontrollen, nein, viel einfacher. Dann biege ich auf eine winzige Straße nach Norden ab. Hier wird es wohl endlich keine Stopps mehr geben.

 

USA Reise November 2010

 

Ich fahre weiter, gutgelaunt und keiner Schuld bewußt, ausnahmsweise auch mal nicht zu schnell. Ganz Amerika ist ausgestorben, ich bin das einzige noch herumfahrende Auto. Das einzige? Nein, von hinten rückt ein weißer Van immer näher heran und schaltet kurz hinter mir und nicht ganz unerwartet seine rot/blauen Blinklichter an. Ich fahre schuldbewußt rechts ran, mein Herz rutscht ganz nach unten und bubbert erstmal preßlufthammermäßig. Ich überlege krampfhaft: Was habe ich Schlimmes gemacht? Zwei Cops kommen rechts und links ans offene Auto, jeweils eine Hand an ihren albernen Colts. (Sehe ich wirklich so gefährlich aus??) Woher, wohin, warum? fragen sie mich schon wieder.

Ist Amerika nun ein freies Land oder nicht? Nein, ist es nicht. Denn ich muß lang und breit erklären, daß ich keine breiten Straßen mag, auch nicht die hier in der Nähe, stattdessen lieber hier diese kleine schmale Straße befahre, in friedlicher Absicht gekommen und überhaupt ein total unschuldiger Typ aus Good Old Germany bin. Die beiden Torfnasen sehen es ein, sie müssen mich wohl schon länger beobachtet haben, wissen genau, daß ich mal zu einem Foto angehalten habe.

Also, unter einem freien Land verstehe ich etwas ganz Gegensätzliches. Ich sage ihnen meine Meinung und sie sind offensichtlich etwas angefressen. Aber verhaften geht nicht, abknallen auch nicht, deshalb lassen sie mich zähneknirschend laufen, äh, fahren. Ein gemeinsames Foto wird natürlich abgelehnt. Darüber bin ich später froh, denn ich will die beiden Idioten auch gar nicht in meine Kamera reinlassen. Solche Leute können sich mit ihrem beschränkten Kleingeist gar nicht vorstellen, daß man hier einfach so zum Spaß herumfährt. Ich beschließe, meine Einstellung ab sofort zu ändern und diese Check-Points als kurzweilige Unterhaltung und lustige Abwechslung anzusehen, dann werden sie mich jetzt auch nicht mehr so sehr stören.

 

USA Reise November 2010

USA Reise November 2010

 

Nach einiger Zeit wird die Straße unpaved, also staubig. Und später, nach zehn Meilen, wieder asphaltiert. So sind die Amis halt mit ihren Straßen. Man muß sich auf dem Land immer gewärtig sein, daß die eigentlich schön geteerte Straße plötzlich zu einer staubigen Piste wird. Also, ich fahre die 1024 rauf und wie erwartet enttäuscht sie mich nicht. Die 2083 geht weiter nach Norden und nach Ozona rauf, dann lasse ich mich ohne weiteren Blick in die Karte ganz allein vom Navi über viele verschiedene und verworrene Straßen nach Carlsbad leiten.

Weit entfernt sehe ich eine lange Reihe Windräder. Die sind in den USA eigentlich noch eine Seltenheit. Photovoltaik, Solardächer, Kollektoren, alles Fehlanzeige hier im Süd-Westen. Dabei hätten die hier ja die Sonne, die uns fehlt. Wenn ich an die Exzesse bei uns in Deutschland denke, so viel teurer Aufwand bei so wenig Sonne. Und wir alle müssen diesen Quatsch mit immer höheren Strompreisen bezahlen…

Stattdessen tauchen jetzt immer mehr unentwegt emsig und stoisch nickende „Pferdeköpfe“ (Ölförderpumpen) auf. Ach so, ich bin ja auch in Texas.

 

USA Reise November 2010

 

LKW machen oft bereitwillig Platz beim Überholen. Sonst gibt es meistens nur Pick-Ups um mich herum. Der Tag zieht sich, die Straße auch, immer gerade Stücke, ein kleiner Knick und wieder gerade weiter. Was ich sonst grundsätzlich nie mache, weil ich es für besonders spießig halte: Ich klappe heute Nachmittag sogar die Sonnenblende zur Seite! Fehlt nur noch der obligatorisch-spießige Wunderbaum an meinem Innenspiegel!

Wolfgang (Mitglied im VDS) schreibt zum Begriff „Spießer“:

"Die Klage über den Spießer, mag sie auch manchmal selbstgerecht klingen, ist doch immer die Klage des Unterlegenen, der sich bedroht fühlt", schrieb Jens Jessen unlängst in der "Zeit". Spießer seien gerade diejenigen, die andere als Spießer bezeichnen. Die aktuelle Debatte über das Wort scheint dieser Theorie Recht zu geben. Wo keine klaren Regeln mehr gelten, gerät alles und jeder unter Verdacht. So plädiert die Fernsehschaffende Annika Kuhl im SPIEGEL ONLINE-Gespräch für eine neuerliche Ausweitung des Begriffes: "Schon alleine Familie zu haben, könnte spießig sein."

Alter, das ist spießig!

Da erscheint zur rechten Zeit ein Buch der Münchner Journalistinnen Claudia Muschiol und Tine Kujawski mit dem sprechenden Titel "Cabrio war gestern, heute fahren wir Kombi" (Knaur, 286 Seiten, 8,95 Euro). Oberflächlich betrachtet geht es darin ums Älterwerden. Tatsächlich könnte man die Listen aber auch für ein klares Generationenbekenntnis zur Spießigkeit werten. Die "555 untrüglichen Anzeichen, dass wir nicht mehr 20 sind" lauten etwa: "Du kaufst Dir Coffee-Table-Books und gibst für die Dekoration deiner Wohnung mehr als 100 Euro aus". Oder: "Ausgehen heißt für dich essen gehen." Untrüglich auch: "Du kannst plötzlich Biedermeier, Jugendstil und Gründerzeit auseinander halten."

Unspießig sein ist ein Privileg der Jugend. Und das einzig untrügliche Zeichen dafür, dass man nicht mehr zwanzig ist, wäre ja streng genommen der 21. Geburtstag. Alle anderen 554 Anzeichen darf man deshalb getrost als Beweise für einen anderen Prozess werten.

Definieren wir das alte Wort also so: Älter werden heißt Spießer werden. Sollten Sie also schon 21 Lenze auf dem Buckel haben und Bücher von Claudia Muschiol kaufen (das 551. Anzeichen dafür, dass wir nicht mehr 20 sind): Willkommen im Club. Die Renaissance des Häkeldeckchens ist auch nur noch eine Frage der Zeit.

Mein Benzin wird zwar etwas knapp, aber es reicht; mit einer Tankfüllung komme ich beruhigende über 400 Meilen weit. Am Abend in Carlsbad habe ich immerhin noch „genügend“ Sprit (für 16 Meilen) im Tank.

Hier passiert es mir mal wieder zum ersten Mal seit Jahren, daß keine meiner drei Kreditkarten an der Tanksäule akzeptiert wird und daß ich tatsächlich eine Karte innen beim Cashier hinterlegen muß. Als ich vom Bezahlen wieder rauskomme und das berühmte Sch‑Wort („Sch“ vorne und „eißladen“ hinten) leise vor mich hinmurmele, spricht mich eine mir entgegenkommende Frau an, die das schlimme Wort deutlich vernommen hat. Sie war ein paar Jahre in Deutschland, in Friedberg/Hessen, zusammen mit ihrem dort stationierten Mann und sie freut sich, mal wieder einen leibhaftigen Deutschen getroffen zu haben.

Ich möchte heute Abend wirklich keinen Burger und kein Steak essen, deshalb entscheide ich mich für ein KFC und bin dort sehr glücklich und zufrieden.

Meine Unterkunft habe ich mir im hiesigen Best Western genommen. Es ist mit 102 $ teuer und ließ sich nur wenig runterhandeln. Aber es gibt kostenloses Wasser in Flaschen, einen Gäste-PC und ein kostenloses Frühstück im Restaurant. Leider geht schon wieder kein Fenster auf. Aber sechs Jungfrauen, nein, äh, sechs Kissen versüßen meinen Schlaf. (Übrigens: Best Western nehme ich jetzt so häufig wegen der miles‑and-more-Punkte. So kommen schnell ein paar tausend zusätzliche Meilen zusammen…)

Natürlich hat sich jede Menge Staub im Kofferraum breit gemacht. Hoffentlich hat er nicht der auf dem Stativ montierten und im Kofferraum liegenden Kamera geschadet.

Erster Tag ohne allzu sehr schmerzende Augen. Die Sonne ist also wirklich schuld daran. Heute ging es fast nur nach Norden.

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