Mittwoch,
10. November 2010 |
Im
Wal-Mart wird Sonnenbrille Nummer vier erworben. Bei Nummer zwei ist
mittlerweile ein Bügel abgebrochen. Nanu,
der Himmel zieht sich zu und es nieselt etwas. Sollte sich das Wetter
wirklich ändern? Nein, nein, als ich vom Frühstück zurückkomme, ist
der Spuk schon vorbei und die Sonne kommt gleich wieder raus. Ich muß ein
kleines Stück auf der gestrigen Straße zurück. Wieder ein Check-Point.
Eine Beamtin muß sich besonders hervortun und ich muß ihr meinen
Kofferraum zeigen. In Mexiko letztes Jahr war‘s auch nicht schlimmer mit
diesen Kontrollen, nein, viel einfacher. Dann biege ich auf eine winzige
Straße nach Norden ab. Hier wird es wohl endlich keine Stopps mehr geben. Ich
fahre weiter, gutgelaunt und keiner Schuld bewußt, ausnahmsweise auch mal
nicht zu schnell. Ganz Amerika ist ausgestorben, ich bin das einzige noch
herumfahrende Auto. Das einzige? Nein, von hinten rückt ein weißer Van
immer näher heran und schaltet kurz hinter mir und nicht ganz unerwartet
seine rot/blauen Blinklichter an. Ich fahre schuldbewußt rechts ran, mein
Herz rutscht ganz nach unten und bubbert erstmal preßlufthammermäßig.
Ich überlege krampfhaft: Was habe ich Schlimmes gemacht? Zwei Cops kommen
rechts und links ans offene Auto, jeweils eine Hand an ihren albernen
Colts. (Sehe ich wirklich so gefährlich aus??) Woher, wohin, warum?
fragen sie mich schon wieder. Ist
Amerika nun ein freies Land oder nicht? Nein, ist es nicht. Denn ich muß
lang und breit erklären, daß ich keine breiten Straßen mag, auch nicht
die hier in der Nähe, stattdessen lieber hier diese kleine schmale Straße
befahre, in friedlicher Absicht gekommen und überhaupt ein total
unschuldiger Typ aus Good Old Germany bin. Die beiden Torfnasen sehen es
ein, sie müssen mich wohl schon länger beobachtet haben, wissen genau,
daß ich mal zu einem Foto angehalten habe. Also,
unter einem freien Land verstehe ich etwas ganz Gegensätzliches. Ich sage
ihnen meine Meinung und sie sind offensichtlich etwas angefressen. Aber
verhaften geht nicht, abknallen auch nicht, deshalb lassen sie mich zähneknirschend
laufen, äh, fahren. Ein gemeinsames Foto wird natürlich abgelehnt. Darüber
bin ich später froh, denn ich will die beiden Idioten auch gar nicht in
meine Kamera reinlassen. Solche Leute können sich mit ihrem beschränkten
Kleingeist gar nicht vorstellen, daß man hier einfach so zum Spaß herumfährt.
Ich beschließe, meine Einstellung ab sofort zu ändern und diese
Check-Points als kurzweilige Unterhaltung und lustige Abwechslung
anzusehen, dann werden sie mich jetzt auch nicht mehr so sehr stören. Nach
einiger Zeit wird die Straße unpaved, also staubig. Und später, nach
zehn Meilen, wieder asphaltiert. So sind die Amis halt mit ihren Straßen.
Man muß sich auf dem Land immer gewärtig sein, daß die eigentlich schön
geteerte Straße plötzlich zu einer staubigen Piste wird. Also, ich fahre
die 1024 rauf und wie erwartet enttäuscht sie mich nicht. Die 2083 geht
weiter nach Norden und nach Ozona rauf, dann lasse ich mich ohne weiteren
Blick in die Karte ganz allein vom Navi über viele verschiedene und
verworrene Straßen nach Carlsbad leiten. Weit
entfernt sehe ich eine lange Reihe Windräder. Die sind in den USA
eigentlich noch eine Seltenheit. Photovoltaik, Solardächer, Kollektoren,
alles Fehlanzeige hier im Süd-Westen. Dabei hätten die hier ja die
Sonne, die uns fehlt. Wenn ich an die Exzesse bei uns in Deutschland
denke, so viel teurer Aufwand bei so wenig Sonne. Und wir alle müssen
diesen Quatsch mit immer höheren Strompreisen bezahlen… Stattdessen
tauchen jetzt immer mehr unentwegt emsig und stoisch nickende „Pferdeköpfe“
(Ölförderpumpen) auf. Ach so, ich bin ja auch in Texas. LKW
machen oft bereitwillig Platz beim Überholen. Sonst gibt es meistens nur
Pick-Ups um mich herum. Der Tag zieht sich, die Straße auch, immer gerade
Stücke, ein kleiner Knick und wieder gerade weiter. Was ich sonst grundsätzlich
nie mache, weil ich es für besonders spießig halte: Ich klappe heute
Nachmittag sogar die Sonnenblende zur Seite! Fehlt nur noch der
obligatorisch-spießige Wunderbaum an meinem Innenspiegel! Wolfgang
(Mitglied im VDS) schreibt zum Begriff „Spießer“: "Die Klage über den Spießer, mag sie auch manchmal selbstgerecht
klingen, ist doch immer die Klage des Unterlegenen, der sich bedroht fühlt",
schrieb Jens Jessen unlängst in der "Zeit". Spießer
seien gerade diejenigen, die andere als Spießer bezeichnen. Die
aktuelle Debatte über das Wort scheint dieser Theorie Recht zu geben. Wo
keine klaren Regeln mehr gelten, gerät alles und jeder unter Verdacht. So
plädiert die Fernsehschaffende Annika Kuhl im SPIEGEL ONLINE-Gespräch für
eine neuerliche Ausweitung des Begriffes: "Schon alleine Familie zu
haben, könnte spießig sein." Mein
Benzin wird zwar etwas knapp, aber es reicht; mit einer Tankfüllung komme
ich beruhigende über 400 Meilen weit. Am Abend in Carlsbad habe ich
immerhin noch „genügend“ Sprit (für 16 Meilen) im Tank. Hier
passiert es mir mal wieder zum ersten Mal seit Jahren, daß keine meiner
drei Kreditkarten an der Tanksäule akzeptiert wird und daß ich tatsächlich
eine Karte innen beim Cashier hinterlegen muß. Als ich vom Bezahlen
wieder rauskomme und das berühmte Sch‑Wort („Sch“ vorne und „eißladen“
hinten) leise vor mich hinmurmele, spricht mich eine mir entgegenkommende
Frau an, die das schlimme Wort deutlich vernommen hat. Sie war ein paar
Jahre in Deutschland, in Friedberg/Hessen, zusammen mit ihrem dort
stationierten Mann und sie freut sich, mal wieder einen leibhaftigen
Deutschen getroffen zu haben. Ich
möchte heute Abend wirklich keinen Burger und kein Steak essen, deshalb
entscheide ich mich für ein KFC und bin dort sehr glücklich und
zufrieden. Meine
Unterkunft habe ich mir im hiesigen Best Western genommen. Es ist mit 102 $
teuer und ließ sich nur wenig runterhandeln. Aber es gibt kostenloses
Wasser in Flaschen, einen Gäste-PC und ein kostenloses Frühstück im
Restaurant. Leider geht schon wieder kein Fenster auf. Aber sechs
Jungfrauen, nein, äh, sechs Kissen versüßen meinen Schlaf. (Übrigens:
Best Western nehme ich jetzt so häufig wegen der miles‑and-more-Punkte.
So kommen schnell ein paar tausend zusätzliche Meilen zusammen…) Natürlich
hat sich jede Menge Staub im Kofferraum breit gemacht. Hoffentlich hat er
nicht der auf dem Stativ montierten und im Kofferraum liegenden Kamera
geschadet. |