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Tag, Montag, 20. August 2007
Von Le Rey nach Mas du Seigneur |
Die Sonne scheint, es wird bestimmt wieder ein schöner und heißer
Tag. Ganz schön teuer hier, statt sonst unter 50 Euro kostet es hier 62
Euro; dafür gibt es auch kein Trinkgeld. Beim Esel sehe ich auch nur
wieder trockenes Heu herumliegen. Ich erkläre der Chefin mühsam auf
Englisch, sie versteht mich kaum oder will mich nicht verstehen, daß
das Gepäck später abgeholt wird. Ist mir aber auch egal, ich laufe
einfach ohne alles los, nur das Zaumzeug habe ich dem Esel angelegt. C’ést très bon! Eute isch brauche nisch so viel su tragen. Blöd wie ich bin laufe ich erst einmal einen Kilometer in die
falsche Richtung. Aber ohne Gepäck läuft der Esel heute etwas
leichter, wenn auch nicht viel schneller. Wenigstens muß ich heute
nicht so ziehen. Vielleicht habe ich es inzwischen aber auch noch etwas
besser heraus, wie man mit ihm gehen muß, bin ja schließlich schon ein
erfahrener Eselflüsterer. Wie wir so auf der Straße den Berg
hochwandern, werden wir plötzlich überholt. Ein Radfahrer kurbelt mühselig
den Berg rauf. Er staunt wahrscheinlich ebenso über uns wie wir über
ihn, langsam, ganz langsam verschwindet er vor uns hinter einer Kurve.
War mal eine Abwechslung in all dem Einerlei.
So ein Esel denkt immer nur an das Eine: Das Wort mit dem „F“.
Ja, genau, Fressen! Er will immer und überall nur Fressen. Ich muß ständig
aufpassen, daß das nicht überhand nimmt. Aber natürlich, ich lasse
ihn auch oft etwas essen, so ein Esel ist schließlich auch nur ein
Mensch. Eine Sorte von Unkraut, äh, Wildkraut, schmeckt ihm ganz
besonders und ich lasse ihn dann auch oft.
Mmh, schmeckt das gut! Warum läß misch meine Meister nisch meehr essen? Wir aben doch
Zeit genüg!? Immer sieht er misch so! In der Wegbeschreibung ist eine alte römische Straße angekündigt.
Wir finden sie auch, ich staune aber dann doch Bauklötze. Steil
bergauf, nur über nicht oder kaum begehbare Felsen, die zwei tiefen dünnen
Spurrinnen sind nach 2.000 Jahren immer noch deutlich zu erkennen. Ich
weiß nicht, wie die Römer es geschafft haben, mit ihren Karren hier
hochzukommen. Oder runter. Noch mehr staune ich, daß der Esel es
schafft, hier hochzukommen. Er ist überaus brav und geduldig und ist
nie bockig oder gar „stur wie ein Esel“. Römische "Straße" Danach machen wir Rast an einer alten Burgruine. Der Ausblick ist
schön, so schön, geradezu atemberaubend, ich kann ihn gar nicht
beschreiben. Weit reicht der Blick, über Berge und Täler, sehr weit.
Dazu Sonne, Wolken und viel blauer Himmel. Nicht zu vergessen die
Stille, was heißt hier Stille, es ist eine wundervolle Ruhe, so
ungewohnt wie angenehm, und dann natürlich die gute reine Luft. Wir haben wieder ein kleines Picknick mitbekommen, wieder nur
Tomaten und etwas Käse und einen Apfel, den natürlich Vanille erhält.
Hanni bekommt ein paar von zu Hause mitgenommene Friskies. Etwas weiter im Tal, noch gut zu erkennen, ein Eisenbahn-Viadukt
mit einer ganzen Reihe Bögen. Die Augen schweifen umher, es gibt immer
noch etwas Neues zu entdecken. Trotzdem, wir müssen weiter, wollen ja
noch ankommen. Jetzt geht es nur noch den Berg hinunter, ein breiter Weg, wohl zur
Holzabfuhr verbreitert, in einigen Serpentinen, holprig, aber jetzt,
nach soviel Übung leicht zu laufen. Der Esel läuft willig nebenher.
Dann noch ein gutes Stück geteerte schmale Straße, Hanni lege ich
besser wieder an die Leine. Auch hier wieder, wie immer, nur ein, zwei
Autos, die nicht lästig sind. Irgendwann unterwegs bin ich mir nicht mehr so ganz sicher, auf dem
rechten Weg zu sein und will zurück. Ja, ich will zurück, aber der blöde
Esel nicht. Er will sich nicht umdrehen. Ich muß ihn mühselig
schieben, drücken, überreden und wir laufen alle drei zurück. Dann
sehe ich an einer Markierung, daß es doch der richtige Weg gewesen war
und drehe erneut um. Was beweist, daß man geistig auch einem Esel
unterlegen sein kann – ich jedenfalls. Vanille kannte den Weg und
wollte mir doch einfach nur zu verstehen geben, daß wir ursprünglich
auf dem richtigen Weg waren. So eine Mensch is alt auch nur eine Mensch! Menschen sind doch dümm!
Aber sie haben alt auch nur so eine kleine Kopf. Warum ört meine
Meister nisch auf misch? Ja, prima, bald sind wir am Ziel. Aber jetzt geht es den Berg
hinauf, ganz schön steil, in vielen engen Serpentinen, ich zähle so
etwa gefühlte 37 Stück. Hinterher, oben, heißt es, es sind „nur“
zwölf. Aber sie reichen mir. Trotzdem, irgendwann kommt man immer ans
Ziel, auch heute Nachmittag. Mit Müh und Not erreichen wir den Hof,
nein, unsere heutige Herberge, Mas du Seigneur. Eine junge Frau sieht
uns kommen und kommt uns freundlich entgegen – und umarmt mich
herzlich. Dabei kennt sie mich doch gar nicht! Es ist Yvonne, eine
Deutsche aus der Nähe von Baden-Baden. Sie hat einen Elsässer, also
„keinen Franzosen“ geheiratet. Serge. Ich lerne ihn auch gleich
kennen. Der Esel wird versorgt, er bekommt heute einen Eimer Preßlinge
und etwas Baguette. Mein Gepäck ist wie versprochen schon da. Serge beginnt, sich mit mir zu unterhalten und zum ersten Mal auf
dieser Wanderung lege ich mich nachmittags mal nicht ins Bett, sondern
finde es viel angenehmer, hier in der warmen Sonne zu sitzen, mich
angeregt zu unterhalten und die wunderschöne Aussicht nach Süden zu
genießen. Serge und Yvonne sind alte, ganz alte erfahrene Mopedfahrer
mit vielen zigtausend Meilen durch USA und Australien und was weiß ich
noch überall. Sie haben sich hier nach jahrelanger Sucherei dieses
Anwesen gekauft, nach und nach umgebaut und renoviert und empfangen außer
den Wanderern auch noch jede Menge Biker aus Frankreich und Deutschland.
Sie inserieren übrigens auch häufig in der Zeitung „Tourenfahrer“. Ich erfahre, daß das Haus schon über 400 Jahre alt ist. Aber das
ist eigentlich noch nicht sehr alt, in der Gegend gibt es Häuser, die
600 Jahre und älter sind. Hier gibt es aber Strom und Komfort, sogar
einen recht großen Swimming-Pool, Satelliten-Fernsehen, wöchentliche Müllabfuhr,
einen täglichen Bäcker und einen Briefträger. Serge erzählt, auch hier in Süd-Frankreich ist der Sommer dieses
Jahr kein richtiger Sommer gewesen. Auch hier war es die meiste Zeit zu
kühl. Dann zeigt mir Yvonne mein Zimmer. Es ist wunderschön eingerichtet
und liebevoll dekoriert. Leider geht das Fenster nur auf den Innenhof,
aber als Wanderer zahle ich ja einen etwas niedrigeren Preis. Zwei alte
Holzbetten und sogar ein eigenes Badezimmer mit Waschbecken, Dusche und
Toilette. Was habe ich das entbehrt. So ein Komfort. Alles sauber und
anheimelnd. Hier fühle ich mich wohl und beschließe spontan, übermorgen
noch einmal für zwei Tage herzukommen.
Endlich mal wieder ein
"richtiges" Badezimmer... Ich lege mich dann aber doch noch etwas
hin, das Abendessen ist wie immer für acht Uhr angekündigt. Pünktlich
sind wir am Pool, aber heute abend ist es etwas kühl, wir gehen lieber
rein ins Haus, nachdem wir alle vierzehn Gäste den Aperitif zu uns
genommen haben. Drinnen sitzen wir an einem etwas verlängerten Tisch
und es gibt etwas ganz besonders Leckeres: Zerdrückte Oliven auf
Baguette-Scheiben. Mmh, ich denke gerne daran zurück. Dann eine Scheibe
Lachs mit Paprikascheiben und Hirse, dann Käse und, endlich, mal wieder
einen Kaffee nach dem Essen, wenn auch kein Espresso, aber man darf ja
nicht zu viel verlangen. Zigarre entfällt, wie jetzt schon so oft, es
ist mir draußen einfach zu kalt. Yvonne ist ein richtiger Schatz. Sie hat
ja gleich gemerkt, daß ich Rückenschmerzen habe und hat mir eine
Voltaren-Tablette für heute abend nach dem Essen versprochen, die ich
dann auch gleich auflöse. Die Kombination mit Rotwein, eigentlich war
es doch gar nicht so viel Rotwein, ist etwas merkwürdig, der Rest des
Abends ist irgendwie etwas verschwommen. Ausnahmsweise darf ich sogar
die Abkürzung durch die Küche in mein Zimmer nehmen.
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