Montag, 14. September 2009

Gutgelaunt, ausgeruht und frohen Mutes nehmen wir beide Abschied von Didier und seinem wunderschönen Wohnsitz. Au revoir, mon cher ami. Wer absolute Ruhe, heile Natur und erholsame Einsamkeit sucht, kann hier einen wahrhaft idyllischen Urlaub verbringen.

Wir müssen den Berg, den wir vorgestern herunterkamen, wieder raufklettern, was fast unmöglich ist. Aber wir beide schaffen es, Hanni leicht und einfach, wie ein Schmetterling, ich schwer und unbeholfen, wie ein Nilpferd...

Etwas fällt mir immer wieder auf: Nirgends liegt Müll oder Abfall herum. Nichts. Keine Dosen oder Flaschen, keine Zigarettenschachteln oder sonst etwas. Schon gar keine Kühlschränke. Oder Waschmaschinen. Noch nicht einmal ein Autoreifen. Die Franzosen, die doch früher nie so ordnungsliebend waren und das ganze einfach als „Laissez-faire“ bezeichneten, haben tatsächlich Interesse an ihrer Umwelt bekommen und sich offensichtlich deutlich gebessert.

Oben geht es gleich wieder einen Berg runter. Anfangs geht es ja noch ganz moderat abwärts, obwohl man auch hier schon mal über Felsen klettern muß, aber dann kommt der (bisher) schwierigste Abstieg dieser Wanderung! Schon wieder fast senkrecht und natürlich wieder auf sehr viel losem Geröll. Ganz unten im Tal sehe ich eine große Steinbrücke, über die wir drübermüssen.

Der Abstieg gelingt, ohne daß uns beiden etwas passiert, alles geht gut. Unten machen wir erst einmal eine kurze Rast auf dem Brückenmäuerchen. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. In der Wegbeschreibung heißt es zur ersten Variante: „Dieser Weg ist ... sehr steil und sollte nur von geübten Wanderern genommen werden.“ Es wird deshalb ein Alternativweg angeboten. Daher muß ich mich jetzt entscheiden. Ist ja klar, daß ich den direkten Weg nehme. Alternativen sind nur etwas für Weicheier, Laumänner, Angsthasen...

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Strafe für Selbstüberschätzung muß sein. Und sie wird mir sofort zuteil. Der Weg ist jetzt nämlich kein Weg mehr, sondern eine Bergwand, die wir beide erklimmen müssen. Ja, die verehrte Leserin und der geneigte Leser lesen richtig: Es folgt eine Bergbesteigung!

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

An nahezu senkrechten Felsen müssen wir beide raufklettern, manchmal hochziehen, Hanni muß ich mehrmals hochheben, aber sie schafft es, wie eine Bergziege, ganz ohne Angst. Ich dagegen muß mich ganz schön zusammenreißen. Gedanken wie „Besser nicht nach unten gucken“ und „Wenn wir jetzt abrutschen, sind wir unten Matsch“ schleichen sich immer wieder in meine Gedanken. So etwa muß sich Reinhold Messner bei einer seiner Bergbesteigungen gefühlt haben. (Eigentlich könnte ich mich jetzt auch schon für eine Kilimandscharo-Besteigung anmelden.) Tatsächlich ist der heutige Weg manchmal nicht ganz ungefährlich und überhaupt die absolute Krönung, die Königsetappe, die größte Herausforderung dieser Wanderung. Sämtliche Superlative passen auf dieses Teilstück. Eigentlich müßte ich Seile und überhaupt eine Bergsteigerausrüstung dabei haben. Um es etwas leichter zu haben, werfe ich Ballast ab, das heißt, ich schütte alles restliche mitgenommene Wasser aus! Ich nehme mir vor, zuhause den Organisator zu verklagen. (Nein! Ist nur Spaß! Ich wollte es doch so!)

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

(Angeblich mir wohlmeinende und hier nicht namentlich genannt werden wollende Familienmitglieder unterstellten mir nach dem Lesen dieses Reiseberichts, daß ich von der Beschwerlichkeit dieses Wanderweges bereits vorher gewußt hätte. Ich betone deshalb gerne noch einmal an dieser Stelle und sozusagen an Eides statt, daß mir dieses Merkmal der Wanderung vorher nicht bekannt war!)

Irgendwann haben wir den Berg bezwungen, ohne Schäden an Leib und Ausrüstung, sind oben, am Gipfelkreuz, äh, naja, am Aussichtsturm auf dem Tour de la Brison, mit der angekündigten wunderschönen Aussicht. Doch das Panorama ist kein genügender Ersatz für die erlittenen Qualen. Ich hätte vorhin wohl doch den Alternativweg wählen sollen. Aber ich bin zu schlapp, um darüber nachzudenken oder um mich darüber zu ärgern und mache mich nach kurzer Verschnaufpause gleich wieder auf die Socken, will jetzt nur noch heim. Also wieder abwärts, der Weg ist jetzt sehr einfach, ab und zu nehme ich die Straße, weil mir der holprige Weg quer durch die Serpentinen oft zu anstrengend erscheint; lieber etwas weiter laufen, dafür aber etwas leichter.

Von Bergen und Tälern, Bächen und Brücken, Bäumen und Wäldern habe ich jetzt erst einmal genug. Und auch von stachligen Kastanien!!

Es geht unserem Ausgangspunkt entgegen. Zum Schluß verpasse ich irgendeine Abzweigung, weil die Wegbeschreibung mal wieder ungenau oder vielleicht auch wieder falsch ist und mache erneut einen winzigkleinen Umweg, was diesmal aber nicht schlimm ist. Vor allem, weil ich hier auf weichem Waldboden in einem Mischwald mit viel Farn und wenig Kastanienbäumen laufe, sodaß ich endlich mal nicht dauernd von ebendiesen bombardiert werde und endlich auch mal etwas anderes sehe.

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Inzwischen habe ich mich auch schon längst wieder von den vormittäglichen Strapazen erholt. Bald sehe ich unser Hotel schon von weitem und bin enorm erleichtert. Ich habe es wieder mal geschafft und nichts ist passiert! Alles ist gut gegangen! Kein Knöchel verstaucht, keine Pfote aufgeschnitten, überhaupt keine Verletzung! Und Spaß gemacht hat es natürlich auch. Trotz aller Schinderei.

Diesmal bekomme ich ein Zimmer, das direkt neben dem vom ersten Tag liegt, wieder im zweiten Stock, wieder am Ausgang. Obwohl ich erneut danach frage und gerne einen Aufpreis bezahlen würde, bekomme ich kein besseres Zimmer mit Aussicht.

Endlich gibt es mal wieder einen sèche-cheveux (Föhn), und endlich ist unser Zimmer wieder mal abschließbar. Jetzt ist erst einmal Schlafen angesagt.

Nach zwei Stunden begeben wir uns beide ausgeruht zum Abendessen. Leider ist es draußen schon etwas kühl, sodaß ich lieber innen im Speiseraum Platz nehme. Ich sitze am Fenster mit herrlicher Aussicht weit übers Land. Die Sonne zieht sich gerade diskret zurück und langsam schleicht sich Dunkelheit heran. Nach und nach tauchen immer mehr Lichter in der weiten Landschaft auf. Und dann immer mehr Sterne. Als Apéritif gibt es eine Art Sekt mit Pfirsichsaft. Lecker!

Übers Handy höre ich, daß es zuhause richtig kalt sein soll. Naja, der Sommer war dieses Jahr ja eigentlich sowieso nicht so besonders. Endlich habe ich wieder Verbindung ins Netz, das war unterwegs meistens nicht vorhanden.

Zum Abendessen gibt es Pastete, dann Fisch mit Reis, eine ebenso üppige wie köstliche Käseplatte und hausgemachtes Tiramisu. Dazu eine ordentliche kleine Flasche Rotwein aus der Region und einen Espresso. Jede Menge Holländer und Belgier wohnen hier im Hotel. Auch ein paar wenige Deutsche.

Inzwischen bin ich längst wieder glücklich und zufrieden. Schön war es, trotz aller Quälerei, trotz aller Schinderei. So ganz allein. Ohne jedes Geschwätz mit irgendwelchen wahrscheinlich fremden Leuten. Ich liebe es, ein paar Tage so ganz allein mit mir und Hanni zu sein. Ich freue mich schon auf unsere nächste Wanderung im kommenden Jahr, habe auch schon wieder etwas in Planung...

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