Sonntag, 13. September 2009

Zum Frühstück gibt es selbstgemachtes Brot, das mir nicht schmeckt, dazu etwas Butter und eine einzige Marmelade. Zum Kaffee gibt es noch nicht einmal Milch. Dann bringt uns der Patron mit dem Auto weg, und zwar ganz schön weit. Wir müssen zwar nur gegenüber auf die andere Seite des Tales, aber der Weg dorthin zieht sich, weil wir über eine weit entfernte Brücke müssen. Heute ist hier drüben Treibjagd, es werden Sangliers (Wildschweine) gejagt. Die armen Schweine! Später zu Hause lese ich im Wanderführer, daß es hier viel zu viele Wildschweine gibt und daß sie deshalb offiziell als „Schädlinge“ gejagt werden. Dazu der (ernst gemeinte) Rat: „Zwischen September und April eine rote Mütze nicht vergessen!“ Oje, wir haben schon Mitte September…

An einem Parkplatz werden wir beide „ausgesetzt“. Es geht natürlich gleich ein paar Kilometer einen Berg hinauf. Mein Elan läßt etwas nach, deshalb weiche ich vom steileren Wanderweg auf die Straße aus; die ist zwar etwas länger aber deutlich einfacher zu laufen und es gibt nur wenige Autos. Hanni ist sehr brav und kommt immer gleich zu mir, wenn sich mal ein Fahrzeug nähert.

Oben ist eine Chapelle (Kapelle), die ich gestern schon von weiter oben gesehen habe. Schade, leider ist die Tür verschlossen.
 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Logisch, jetzt geht es wieder abwärts, wie gewohnt steil und unbequem. Unten ist ein Ort, vielleicht gibt es dort ein kleines Café? Nein, gibt es nicht!

Also weiter, immer weiter runter, erst über eine Brücke und später durch eine Furt. Gut, daß es lange nicht geregnet hat, sonst hätte ich die Hose hoch- oder ausziehen müssen.

In der Wegbeschreibung wird eine „Schwimmstelle“ angekündigt. Und tatsächlich, in dieser Wildnis liegen zwei junge Männer und sonnen sich auf den großen Felsen liegend.

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Wir müssen weiter, immer weiter, ich habe schon längst wieder keine Lust und keine Kraft mehr. Dann wieder bergauf, mühselig, aber wenigstens auf einer Straße. Da, endlich ein Ort, da gibt es bestimmt ein Café. Ja, tatsächlich, ich sehe schon von weitem die Reklame. Schade, es ist noch geschlossen, erst in einer Stunde, um 5 Uhr nachmittags wird geöffnet. Die Tür ist abgeschlossen. Obwohl Leute drin sind. Pech gehabt.

Tja, und jetzt gibt es eine neue Herausforderung. Jetzt müssen wir ins Tal runter und den Berg drüben wieder rauf, dorthin, wo wir morgens noch gefahren sind. Gab es bisher steile Berge, dann ist das hier der bisherige Höhepunkt – bzw. Tiefpunkt! Fast senkrecht, wieder im Zick-Zack, wieder mit jeder Menge loser Schiefersteine, ui, ui, ui, aufpassen, nur nicht ins Rutschen kommen! „Sind wir hier denn noch richtig, das kann doch kein offizieller Wanderweg mehr sein“ denke ich. Aber nein, alles in Ordnung, die rotgelben Markierungen des „Grande Randonée de Pays, Tour du Tanargue“ sind ab und zu deutlich erkennbar. Ist schon recht erstaunlich!

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

 

Von weit oben sehe ich, daß die früher vorhandene Brücke weg ist, aber nach der Wegbeschreibung und nach den Markierungen bin ich richtig, also weiter, vielleicht gibt es eine neue Brücke, die ich von hier oben nicht sehen kann.

Es gibt natürlich keine neue Brücke! Die alte ist wirklich irgendwann von Wassermassen weggerissen worden. Niemand hat sich erbarmt und eine neue Brücke gebaut. Aber, ich habe ja immer Glück, ich kann Hanni hochnehmen und über ein paar große Steine trocken rübertragen. Gut, daß Trockenheit herrscht!

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Der Weg hier runter war schon hart, reichlich hart, aber jetzt geht der gleiche Weg aufwärts! Hanni macht das ja nicht viel aus, sie ist wie immer wie eine Gemse weit voraus und wartet ständig auf mich. Aber für mich ist es schwer, sehr schwer, hier hochzuklettern. Auch hier jede Menge Geröll. „Ich kann nicht mehr, ich will jetzt hier sterben! - Nein, zum Sterben ist jetzt nicht der rechte Zeitpunkt! Also weiter!“ mahne ich mich ständig und trete mir gedanklich in den Hintern.

Ein Wunder geschieht. Irgendwann bin ich oben an der Straße. Mit wirklich allerletzter Kraft klettere ich die letzte Böschung hinauf und lasse mich total erschöpft in das vertrocknete Gras am Straßenrand fallen. Und noch ein Wunder: Ein Mann steht da. Als ob er mich erwarten würde. Woher ich komme und wohin ich will, möchte er wissen. Er wohnt im Haus auf der anderen Straßenseite. Und er fragt mich doch tatsächlich, ob ich Wasser haben möchte. „Ja, ja, ja!“ Er geht ins Haus und kommt mit einer wundervollen Ein-Liter-Flasche herrlich kühlen Wassers zurück. Er nimmt noch nicht einmal die zwei Euro an, die ich ihm geben will. Dazu gibt er mir noch eine handvoll roter Trauben. Merci, Monsieur! Gesegnet sei er für seine Hilfe und für sein Mitleid! (Ich habe es schon so oft erlebt: In meiner größten Not naht immer Hilfe. Deshalb bin ich da auch meistens sehr gelassen.)

Sechs Kilometer sollen es noch sein! Wie soll ich die nur schaffen? Aber, die verehrte Leserin und der geneigte Leser werden es bereits ahnen, ich schaffe auch diese sechs Kilometer, wie immer unter Aufbietung sämtlicher Reserven.

Natürlich schlafen wir beide jetzt erst einmal eine Runde, bevor es zum Abendessen geht. Didier, so heißt unser freundlicher Patron, Didier versetzt mir einen Dolchstoß: Ich habe vorhin den falschen Weg genommen! Merde! (Das ist aber bedauerlich!) Ich hätte drüben erst noch ein Stück weiter hochlaufen müssen, bis zum nächsten Ort, und dann den staubigen Fahrweg runter, über die große Steinbrücke, und dann den Fahrweg wieder hoch! So einfach wäre es gewesen, aber ich mußte mich natürlich für die schwierige Variante entscheiden!

Weiter erzählt Didier, daß er hier oben in der Einsamkeit kein DSL hat und wohl auch nie bekommen wird. Eine Verbindung über Satellit empfehle ich ihm, aber das will er nicht. Seine Freundin sieht er nur selten, sie wohnt in Lyon, zwar nur 200 km entfernt, aber für sein altes Auto sehr weit. Er hat mir am Morgen schon ein paar seiner Zimmer gezeigt, die er hier vermietet. Alle sind pikobello sauber. Alle neu renoviert. Und alle sind liebevoll eingerichtet, bis zum letzten Detail. Überall Parkett-Fußboden. Alles Sanitäre perfekt. Geradezu unglaublich für französische Verhältnisse.

Der französische Notruf übers Handy soll übrigens die „15“ sein (Polizei „17“, Feuerwehr „18“). Davon habe ich überhaupt noch nie gehört. Ich dachte immer, der einheitliche Notruf in der EU ist schon lange die „112“?!

Zum Abendessen gibt es köstlich zartes fleischiges Huhn mit Kartoffeln und Kastanien, und zu unser beider Erquickung wieder von diesem wundervollen Rotwein. Hanni schmeckt’s auch gut, sie bettelt ununterbrochen und macht ein Männchen nach dem andern. Die Zigarre entfällt mal wieder wegen totaler Erschöpfung.

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