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Freitag,
5. November 2010 |
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Nachts
habe ich, wie auch schon vorletzte Nacht, ein paar Züge gehört; sie stoßen
ständig ihr filmtypisches und langgezogenes Gehupe aus, was einen aber
nicht wirklich stört. Einer der Züge ist fünf Minuten und elf Sekunden
lang. Ein kräftiges Breakfast aus der normalen Speisekarte ist im Übernachtungspreis
enthalten, was dann den Preis des Zimmers relativiert, also deutlich günstiger
macht. Schließlich kann so ein Breakfast leicht zehn Dollar plus Tip (= Trinkgeld)
ausmachen. Wie
immer scheint die Sonne und zwar wieder kräftig, geradezu gleißend.
Schon bald schmerzen beide Augen, sie kratzen, brennen und stechen. Ich
nehme an, daß die Sonnenstrahlen die Ursache sind. Meine mitgebrachte
Sonnenbrille ist offenbar zu schwach. Deshalb erstehe ich erst einmal (ja,
schon wieder) einen Strohhut. (Habe ja auch erst zehn zu Hause rumliegen…)
Vernünftige Sonnenbrillen gibt es hier leider nicht in diesem winzigen
Tankstellen-Shop. Die
Landschaft ist flach, sehr eben, nur Wüste, Steppe und Prairie, aber um
mich herum stehen ständig hohe Berge. Ganz unvermittelt tauchen riesige
Kakteen auf, unzählige, bald umzingeln sie mich geradezu, ich bin im
Kaktusland angekommen. Aber es gibt hier nicht nur die überall
rumlungernden armleuchterförmigen Saguaros, die zum Sinnbild für den
Wilden Westen der USA geworden sind. Nein, viele andere Kakteen wachsen
hier mit größtem Behagen, z.B. knöchrige Ocotillos mit ihren dürren
schlanken Zweigen, süßaussehende Chollas mit ihren teddybärähnlichen
Armen und viele andere Kakteen, deren Namen ich (noch) nicht kenne. Und
riesige Agaven. Aber das sind keine Kakteen. Hier
muß ich die inzwischen schon sechste Polizeisperre so geduldig wie möglich
über mich ergehen lassen, längst sind auch Hunde und Spiegel dabei, die
Hunde, um Drogen und Menschen in den Kofferräumen zu finden und die
Spiegel, um damit unter den Autos nachzusehen. Es
geht die 85 runter, genau südlich, in den
Organ Pipe Cactus National Park, bis an die Grenze nach Lukeville.
Ich wundere mich, daß so viele Autos mit mir nach Süden, nach Mexiko
streben. Aber dann fällt es mir ein, heute ist Freitag, da wollen die
Amis wohl ein schönes lockeres Wochenende (mit reichlich Sex and Drugs)
drüben verbringen. Und
ich darf wieder mal nicht mit, schade, denn an der Grenzstation muß ich
wie immer brav umdrehen, darf ja nicht über die Grenze nach Mexiko, der
Vermieter hat es strikt verboten. Auch hier, kurz hinter der Grenze, ragen
respektable Berge auf. Ich
möchte diesmal eine staubige Piste in die Berge und ins Sonoyta Valley
befahren, wende aber nach ein paar Meilen. Ich hätte eigentlich mal
wieder für die Durchfahrt bezahlen müssen – und es würde viel zu
lange dauern. Deshalb bin ich lieber einsichtig und bald schon wieder auf
dem normalen Rückweg. In
Why, einem Ort bestehend aus zwei Tankstellen, wo ich vorhin den Hut
gekauft habe, biege ich auf die 86 ab. Die Straße ist noch unverändert
gut. Auch die Berge sind noch alle da. Auch die Sternwarte auf dem Kitty
Peak, die ich noch lange sehen kann. Ich fahre weiter nach Westen bis
Three Points, wo es auf der 286 schon wieder runter nach Süden und dann
nach Osten geht. Die meisten Dörfer sind verlassen, ganz anders als im
Norden. Kakteen begleiten mich heute den ganzen Tag. Und die Sternwarte
ist auch immer noch zu sehen. Obwohl
es auch hier einen Grenzübergang gibt, bleibt diese Straße leer. Endlich
bin ich wieder der einzige überlebende Mensch auf der Erde. Wenn mir
wirklich mal ein Auto begegnet, werde ich mit Handzeichen gegrüßt und grüße
natürlich kollegial zurück. Auf sanften Hügeln wächst hohes rötlich-goldenes
Gras. Schon
oft gab es eine Polizeikontrolle der Border Police, aber hier tut sich ein
Wichtigtuer besonders wichtig und ich muß jetzt sogar meinen Paß
herauskramen. Hier (und auch später noch öfters) haben sie sogar
ausfahrbare transportable Wachttürme an den doofen Check‑Points
aufgebaut. Es
folgen noch unzählige dieser lästigen Kontrollen, an fast allen jetzt
mit dieser lästigen Paßkontrolle und noch lästigeren dummen Fragen. Man
sucht gleichermaßen nach ins Land geschmuggelten Mexikanern wie nach
Drogen. Mehrmals schnüffelt ein Hund an meinem Hinterteil (des Autos)
herum. Ich glaube eigentlich nicht, daß das besonders effektiv ist, es stört
nur den Verkehr. Ich fühle mich dabei immer wieder stark an die früheren
DDR-Kontrollen erinnert. Von einem freien Land kann hier unten im Süden
jedenfalls keine Rede sein. Ganz im Gegenteil: Amerika ist kein
freies Land. Unter „Freiheit“ verstehe ich etwas anderes. Auch wenn
jeder Waffen aller Art im WalMart und überhaupt in jedem Supermarkt
kaufen kann und in seiner Tasche haben darf, aber diese unzähligen
Polizeikontrollen passen nicht zu einem freien Land und sind einfach nur lästig.
Es wimmelt nur so von den Border Control-Polizeiautos. Man sieht sie
massenhaft, überall, auch auf den Sandpisten mitten in der Wüste. Ob das
an der EU-Ostgrenze auch so schlimm ist? Es
folgt ein kurzes Stück Autobahn I 19, wo die Entfernungen ausnahmsweise
und nur hier, in Kilometern angegeben werden; aber nicht die Tempolimits. In
einem Motel8 erscheint mir der geforderte Preis von 56 Dollar plus tax zu
hoch und ich versuche es in einem Motel 6, wo die Reklametafel vorhin
einen Preis in Höhe von 39,99 $ (plus tax) angepriesen hatte, das Office
ist aber unbesetzt und es warten schon mehrere Leute. Ich habe keine Lust,
mich hinten anzustellen und vielleicht noch ewig lang warten zu müssen
und fahre kurzerhand in ein neu aussehendes Best Western, wo ich für das
Zimmer zwar 114 $ bezahlen muß, aber dafür wahrscheinlich auch ein
bißchen mehr Komfort und Sauberkeit erhalte. Wenn
schon das Zimmer so teuer ist, muß ich am Essen sparen, deshalb gehe ich
ins angrenzende Carl’s; es ist billig und schlecht. Pech gehabt, wieder
mal an der falschen Stelle gespart… |