Mittwoch, 9. September 2009

Heute geht es endlich los! Aber zunächst einmal schwimme ich ein paar Bahnen im hauseigenen Schwimmbad oben auf dem Berg. Die Wassertemperatur ist gerade noch erträglich.

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Die Aussicht ist wundervoll und ich genieße sie und die Ruhe, die mich hier oben umgibt. In manchen Tälern liegt noch morgendlicher Dunst schläfrig herum. Danach lassen wir uns beide ein für französische Verhältnisse üppiges Frühstück schmecken. Das Auto bleibt hier, leider muß ich den Schlüssel abgeben.

Und dann geht es wirklich los, d.h. wir laufen endlich los. Mein Rucksack ist nicht zu schwer bepackt, ich habe nur etwas Baguette und ein paar Flaschen Mineralwasser mitgenommen. Das übrige Gepäck wird jeweils vom Hotelier zur nächsten Unterkunft gebracht werden.

Das Wetter bleibt nach wie vor sonnig und warm. Eigentlich wird es nie zu heiß. Und das bleibt auch alle Tage so.

Der Weg ist oft steinig, sehr steinig, ausgesprochen steinig. Wie immer habe ich Sorge, daß sich Hanni ein Pfötchen verletzen könnte – oder ich. Aber auch damit haben wir wieder Glück, nichts wirklich Schlimmes wird uns geschehen. Wenngleich der Weg immer öfter zu einer Herausforderung wird. Nicht allein der Steine wegen, auch wegen der vielen steilen Auf- und Abstiege.

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Ich habe vom Organisator eine ausführliche Wegbeschreibung und eine Wanderkarte mitbekommen. Trotzdem, gelegentlich muß ich doch sehr scharf überlegen und rätseln – und hoffen, daß ich noch auf dem richtigen Weg bin. Und bin es dann auch – meistens. Ich wollte ja einen Abenteuerurlaub haben - und den bekomme ich hier. (Vielleicht bin ich auch nur zu blöd für einfache Wegbeschreibungen. Oder zu schlau…?)

Der neue Rucksack („Titan X2“) bewährt sich hervorragend. Ich schwitze kaum auf dem Rücken. Glücklicherweise wird er ja auch immer genau um so viel leichter, wie wir beide trinken.

Der Weg führt durch Largentière, eine kleine Stadt, in der früher Argent (Silber) gefördert wurde. Hier mache ich kurz Rast und genieße ein eiskaltes Cola und viel Wasser. „So lasse ich es mir schon eher gefallen, ab und zu eine Rast mit kalten Erfrischungen“ denke ich gutgelaunt. (Aber Pustekuchen, das wird bis auf eine Ausnahme die einzige Möglichkeit einer Rast sein.)

Danach geht es durch eine aufgegebene Seidenfabrik und sofort wieder steil einen Berg hinauf.

 

Die fabelhafte Welt der Ardèche

 

Mein Trost bei all dieser Plackerei: Sämtliche Adern werden bei diesen heftigen Anstrengungen gut durchgespült, und das kann ja nichts schaden...

Dann, am Ende des Tages, komme ich doch noch vom rechten Weg ab. Die fragliche Stelle ist eindeutig falsch beschrieben. Deshalb mache ich einen unnötigen Umweg von ein paar Kilometern. Und das, obwohl ich wirklich am Ende meiner Kräfte bin. Auf der Straße versuche ich Auto-stop, ein paar Autos kommen vorbei, aber niemand erbarmt sich, keiner hält an, niemand nimmt uns die paar Kilometer mit, meine mühsam erhobene Hand wird übersehen, alles Winken bleibt vergebens.

Aufgeben gilt nicht. Daher quäle ich mich immer weiter. Ich wußte gar nicht, daß ich so viele Muskeln habe. Jetzt weiß ich es ziemlich genau. Weil jeder einzelne schmerzt.

Wo ist der Bauernhof nur? Natürlich befindet sich der Hof mal wieder gerade außerhalb meiner Wanderkarte. (Warum habe ich immer wieder solche Situationen?) Ich muß improvisieren und herumrätseln. Zurück geht schon lange nicht mehr. In den Straßengraben darf ich mich auch nicht legen, da komme ich nicht mehr hoch. Also immer weiter vorwärts. Ah, rechts da drüben auf dem Berg, das könnte es sein. „Lieber Gott, laß es unser Ziel sein!“ Und meine Bitte wird oben erhört, ein Schild an der Straße weist tatsächlich dort hin, ich komme jetzt nur von der anderen Seite als ursprünglich vorgesehen. Einen Kilometer, gefühlte vier Kilometer, muß ich mich noch bergauf quälen.

Mit wirklich letzter Müh und Not erreiche ich den Bauernhof, in dem wir heute Abend übernachten werden. „Bienvenue“ (Herzlich Willkommen). Der Wirt erwartet uns schon und zeigt mir freundlich unser Zimmer im Erdgeschoß. Die Tür ist gleichzeitig das Fenster und läßt sich nicht verriegeln. Na, ist OK, ich bin ja nicht ängstlich.

Fürs Abendessen bin ich zu kaputt. Nur die selbstgemachte Tomatensuppe kriege ich noch runter. Das vorzügliche Omelette mit Kastanienmus und grünen Bohnen kann ich nur noch probieren. Den hauseigenen Vin rouge verweigere ich, nur Wasser, viel Wasser trinke ich. Zigarre entfällt natürlich. Hanni geht es dagegen immer noch relativ gut.

Der Maitre ähnelt mit seinem gezwirbelten Schnurrbart Jean Pütz. Zum Glück können wir uns englisch unterhalten, mein französisch ist doch wieder etwas verloren gegangen.

Wie tot falle ich aufs Bett, kein Waschen, kein Duschen, kein Zähneputzen, kein Schlafanzug, kein frische Wäsche für morgen bereitlegen. Ich kriege gerade noch Pullover, Schuhe und Hose ausgezogen.

Hanni knurrt nachts öfters, aber wir haben Glück, niemand schleicht sich zu uns rein, niemand ermordet, oder, noch schlimmer, vergewaltigt uns.

vorige StationZurückVornächste Station

Reise Übersicht