3. Tag, Dienstag, 14. August 2007

Ein Tag mit dem Esel

Während der Nacht überlege ich mir, daß mir das alles doch etwas zu schwierig werden könnte, Esel in der einen Hand, Hund in der anderen, dazu alle zwei Minuten Karte studieren, über zweihundert Kilometer in zwölf Tagen. Wie soll ich da noch zum Fotografieren kommen?

Um 7.30 Uhr stehe ich auf. Dann folgt ein einfaches Frühstück. Das Brot nenne ich Steinofenbrot, weil es so hart ist und an Steine erinnert. Ich lasse mir erst einmal von Christian Brochier, dem Eselvermieter, den gesamten Stevenson-Weg erklären. Er macht mich beim Briefing noch auf einige andere Unwägbarkeiten aufmerksam, z.B. könnte sich Hanni an den vielen scharfen Steinen an der Pfote verletzen, oder auch der Esel, oder sogar ich, manchmal gibt’s fürs Handy kein Funknetz unterwegs, dann das Wetter, das in diesem Sommer auch hier viel zu kühl und zu regnerisch ist, also er rät mir, zwar nicht direkt, aber „zwischen den Zeilen“, davon ab, den geplanten Robert Louis Stevenson-Weg alleine zu gehen.

Das macht nichts, ich hatte es ja sowieso schon vor, ich ändere einfach meinen Plan. Heute laufe ich erst einmal den Ein-Tages-Rundweg mit dem Esel und sehe mir mal an, wie das klappt. Also runter zu den Eseln, Hanni bleibt wieder oben. „Mein“ Esel ist eine Eselin und heißt Vanille. Sie soll wie alle anderen Esel lammfromm sein.

Ah, oui, da kommt ja meine neue Meister. Klein und dick, c’est très bon! Dann rennt er nisch so avec moi!

Also Zaumzeug anlegen, die Decke genau nach Vorgabe auf dem Rücken plazieren, dann das Tragegestell drauf und mit den vier Gurten um Brust, Bauch und Hinterteil festmachen, dann die beiden Packtaschen aus grobem Leinen einhängen.

Dann führe ich den Esel hoch ans Haupthaus, der Einfachheit halber spreche ich jetzt immer von „dem“ Esel, obwohl es doch eine Eselin ist, binde ihn unter Zuhilfenahme der gestern neu erlernten Knoten an und lege mein Gepäck für den Tag in die beiden Packtaschen. Ja, und dann geht es auch schon los. Es ist 11 Uhr. Christian hat mir eine Wanderkarte mitgegeben, auf der mein Weg für heute eingezeichnet ist.

Der Esel, der Hund und ich  

Erst einmal immer den Berg hinauf zum Col de Chalsio und weiter auf dem Grat bis auf ca. 1100 m Höhe und dann über den Col de Banette zurück zur Herberge. Hanni kann ich gleich wieder von der Leine loslassen, sie ist gut erzogen und hört (meistens) aufs Wort, und der Esel paßt tatsächlich auf, nicht auf den Hund zu treten, wenn er ihm mal durch die Beine wuselt. Es sind zwar nur ca. zwölf Kilometer, aber die haben es in sich. Der Weg ist total steinig und sehr schwer zu laufen. Dazu muß ich den Esel ständig hinter mir herziehen. Sobald ich stehen bleibe, fängt er an zu fressen. Er frißt alles was grün, gelb oder braun ist, frisch, verwelkt oder vertrocknet. Alles außer Farn und Ginster.

Merde, meine Meister läßt misch einfach nicht essen! Isch abe doch immer Ünger! Und diese kleine Chien läuft mir immer durch die Beine! Ich muß aufpassen auf die kleine Ünd!

Hier oben gibt es unheimlich viele Kastanien und noch viel mehr Heidekraut, orange, rosa, rot, alle Rottöne bis hin zum Violett.

Der Esel, der Hund und ich  

Dazu manchmal schon reife Brombeeren, Heidelbeeren, Birken, Eichen, Buchen, Kiefern (oder sind das Pinien?), ein paar Apfelbäume und was weiß ich noch alles. Überall eine herrlich weite Aussicht über die umliegenden Berge der Cevennen. Es ist warm und sonnig, eigentlich schon zu warm, ich schwitze ganz schön. Hier oben auf dem Berg kann ich hunderte Kilometer weit blicken. Bei klarem Winterwetter soll man von hier die Alpen, die Pyrenäen und das Mittelmeer sehen können. Die Landschaft ist sehr schön, geradezu beeindruckend. Keine Städte, keine Industrie, keine Straßen, keine Autos, keine Menschen, nur reine Natur. Hier kann ich atmen. Hier bin ich Mensch. Hier darf ich’s sein. Hier bin ich frei.

Hier wie überall in den Cevennen gibt es nur ganz wenig Einwohner, hauptsächlich Schafe, Esel, Pferde, Kühe, und nur wenige Menschen. Die Gegend ist arm, sehr arm, ich kam schon auf der Herfahrt durch winzig kleine verfallende Dörfchen. Die Häuser sind alle aus Bruchstein gebaut, ohne jeden bei uns üblichen Komfort. Später erfahre ich, daß es sogar noch Häuser ohne Strom geben soll. (Glaub’ ich aber nicht.) Die meisten „Dörfer“ bestehen oft nur aus ein, zwei, drei, vier Häusern. Aber die Landschaft entschädigt für alles, mich jedenfalls.

Der Weg ist sehr steinig und sehr schwer zu gehen. Trotzdem macht das alles reichlich Spaß. Die neu gekauften Lowa-Schuhe mit entsprechenden Socken (mit „L“ für links und „R“ für rechts!) laufen prima. Obwohl ich bisher noch nie gewandert bin, machen mir meine Füße keine Probleme, keine einzige Blase, nichts! (So eine Wanderung kann man mit Frauen bestimmt nicht machen, die haben doch immer gleich Blasen und was weiß ich sonst noch alles an den Füßen…)Trotzdem bin ich froh, daß wir gegen 4 Uhr alle drei heil zu Hause ankommen. Ich bringe Vanille zu den andern Eseln und befreie sie vom Gepäck; prompt wälzt sie sich vor Freude im Staub herum. Ich lege mich mit Hanni erstmal für zwei Stunden ins Bett zur Erholung, wo wir auch sofort einschlafen.

Ah, c’est bien, so eine wünderbare Bad in die Staub. Die andere Esel-Weiber gücken ganz neidisch. Sogar die immer so geile Antoine kommt herüber, aber isch beachte ihn gar nisch…

Neue Gäste sind angekommen. Zwei Deutsche, aus Remscheid, Martin und Ulla. Wir drei sind heute ganz alleine und können uns so in Ruhe unterhalten. Sie haben ihre 5-Tages-Tour bei einem hiesigen Veranstalter („mistral echanges“) gebucht und haben von dort neben vielen ausführlichen Unterlagen auch eine wunderbare deutschsprachige Wegbeschreibung für jeden Tag bekommen. Das ist ja viel leichter, als ständig die riesige Karte aufschlagen und nach winzigsten Details suchen zu müssen!

Zum Abendessen ziehe ich mich wieder an. Heute gibt es Gurkensalat, Quiche, Käse und Obst, also ganz lecker und ganz in meinem Sinne. Aperitif und Rotwein sind selbstverständlich. Zigarre auch. Um 10.30 Uhr schlafen wir beide.

 

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