Samstag, 2. Mai 2009 Bluff – Camp Verde, 381 Meilen |
Auf
dem Parkplatz ein Wunder! Hier ist noch kein Feuer! Also renne ich
blitzschnell ins Zimmer zurück, ergreife meinen Rucksack mit den
Wertsachen und den Mopedschlüssel. Die Feuerwand lodert unverändert
direkt vor meinem offenen Fenster! Das Erstaunliche und Unheimliche ist,
aber das wird mir natürlich erst hinterher so richtig bewußt, jetzt
habe ich gar keine Zeit, um es zu erfassen, es brennt ohne irgendein Geräusch,
kein Knistern, kein Knacken, kein Prasseln ist zu hören, nichts, kein
Geräusch, als ob ich taub wäre, und obwohl mein Fenster ganz
aufgeschoben ist! Und kein Ansprechen des obligatorischen Rauchmelders
an der Zimmerdecke! Überhaupt, das ganze Motel ist ruhig, alles ist
still, alles schläft, nichts rührt sich, alles ist wie ein
schrecklicher Traum! Aber es ist kein Traum, alles ist rauhe
Wirklichkeit und bitterer Ernst! Vielleicht bin ich der einzige, der
sein Zimmer nach hinten raus hat. So können die anderen Gäste gar
nichts von den Flammen sehen. Selbst wenn sie jetzt wach wären, würden
sie nur auf den Parkplatz vorm Haus sehen können, und da sieht es noch
total ruhig und normal aus. Schnell
renne ich wieder raus, rufe noch schnell im Flur, so laut ich nur kann,
„Fire! Fire!“ und springe aufs Motorrad. Zuerst hatte
ich es am Abend mit dem Vorderrad zum Haus hin aufgestellt. Da aber alle
Harleys genau anders herum in einer ordentlichen Reihe nebeneinander
aufgestellt waren, einheitlich mit dem Hinterteil zum Haus, hatte ich es
nach dem Ausladen des Gepäcks wegen des ordentlicheren Bildes und trotz
meiner sprichwörtlichen Faulheit doch noch umgedreht. Mein Ordnungssinn
zahlt sich hier und jetzt aus, denn ich kann aufspringen und sofort
losfahren. Ich stelle das Moped ein paar Meter auf der anderen Seite des
Fahrweges und Parkplatzes erneut ab. Jetzt kann die Feuerwehr kommen,
das Wichtigste ist gerettet, mein Moped steht nicht mehr im Weg und es
kann ihm auch nichts mehr passieren. Dann
renne ich zurück ins Zimmer, auf dem Gang bewegen sich jetzt endlich
ein paar Menschen, ich höre vereinzelte Stimmen. Ich packe noch ein
paar meiner wichtigsten Klamotten in die offene Gepäcktasche und renne
wieder raus. Alles andere kann verbrennen, das werde ich wohl
verschmerzen können. Immer
noch nur mit Unterhose und Sandalen „bekleidet“, springe ich aufs
Moped und fahre auf die Straße. Ein paar Häuser weiter kann ich das
Moped erneut abstellen. Hier ist es stockdunkel, wie überall hier, Straßenbeleuchtung
kennt man hier wohl nicht, oder sie ist schon aus, deshalb lasse ich den
Motor laufen und habe so genügend Licht. Erstmal rasch anziehen und
alle Sachen so gut es geht verstauen. Endlich,
endlich kommt ein Feuerwehrauto mit lauter Sirene an. Spät! Viel zu spät!
Gleichzeitig sehe ich die Harleys in einer langen Reihe in
entgegengesetzter Richtung an mir langsam vorbeifahren. Als ich so weit
fertig bin, gehe ich zurück zum Ort des Geschehens. Inzwischen ist noch
eine Feuerwehr angerückt, sie steht am anderen Ende der beiden Häuser.
Wasser spritzt immer noch nicht, jedenfalls nicht hier vorne. Auch sonst
ist es still. Ein paar schweigende Zuschauer stehen herum. Zwei
Feuerwehrleute kämpfen vor uns mit den Schläuchen. Die Anschlüsse
passen nicht zusammen! Der eine hat nur eine winzige LED-Stirnleuchte.
Sonst gibt es kein Licht, nur das Flackern des Feuers. Es ist traurig,
den beiden unfähigen Torfnasen zusehen zu müssen. Zwei
Feuerwehrautos und zweimal zwei Leute erscheinen mir hier deutlich zu
wenig für die Brandbekämpfung. Ich halte es nicht mehr aus und muß
wieder weggehen. Noch zwei deutsche Ehepaare, schwäbisch sprechend, mit
einem Auto unterwegs, geben sich mir zu erkennen. Wie ich von ihnen höre,
haben die meisten Leute noch fast alle Sachen in den Zimmern, sind
einfach so wie sie waren, ins Freie geflüchtet. Wie soll das jetzt
weitergehen? Wo sollen wir alle schlafen? Es ist ein Uhr in der Nacht.
Von den Deutschen werde ich später nichts mehr sehen und weiß nicht,
was aus ihnen geworden ist. Ich
höre Rufe und laufe wieder in Richtung Motel. Endlich „marschiert“
das Wasser. Viel zu lange hat das gedauert, mindestens zwanzig Minuten,
seitdem ich aufgewacht bin! Na egal, hier kann ich nichts mehr machen.
Inzwischen ist auch ein Polizeiauto mit einem Cop angekommen. Der
Autoverkehr wird nicht angehalten, drei, vier Autos kommen langsam
fahrend vorbei. Ich
gehe zurück zum Moped, setze mich drauf und fahre langsam los. Was soll
ich hier noch? Morgen früh kann ich dann immer noch nachsehen. Da, nach
hundert Metern sehe ich die Harleys auf der linken Seite auf einem
kleinen Platz im schwachen Schein einer einsamen Laterne herumstehen.
Ich fahre zu ihnen rüber. Denn: In der Herde kann man besser überleben!
Wir sind alle reichlich durcheinander und beruhigen uns nur langsam. Ist
ja auch kein Wunder. Keiner weiß, was wir jetzt machen sollen. Sie
kommen aber alle zu mir und wir können miteinander reden. Auch zu
trinken bieten sie mir an, sie haben auch ein Auto dabei. Einer der Holländer
hat immer noch nur die Unterhose an, sie mußten flüchten, so schnell
es ging.
Nach
einer halben Stunde wird für uns das Post Office aufgemacht, denn davor
stehen wir, und wir können innen auf dem nackten Boden ausruhen oder
schlafen. Da ich sonst nichts habe, nehme ich meine Sandalen als
Kopfkissen und schlafe später auch tatsächlich ein. Nach einer
weiteren Stunde kommt eine Frau, vielleicht die Motelchefin, und teilt
uns mit, daß für uns eine Notunterkunft in der Nähe eingerichtet
worden ist. Dort können wir auf Schlafsäcken den Rest der Nacht
verbringen. Morgens stellt sich heraus, daß das hier eine Firma ist,
die Rafting Touren organisiert und daher das nötige Equipment hat, also
auch die Unterlagen für den harten Hallenboden und genügend Schlafsäcke
für uns alle und vor allem auch ausreichend Bodenfläche. Wild Rivers Expeditions ~ San Juan River Rafting Trips
Trotz
allen Unglücks schlafe ich irgendwie. Ein merkwürdiger Lärm weckt
mich unsanft in der Nacht. Was ist denn das? Ach so, es regnet. Auf dem
Hallendach aus Blech wird jeder Regentropfen verstärkt. Mist, ich hatte
das Moped nachts noch hergeholt und auf Sandboden abgestellt. Einer der
Holländer hatte mir sogar seine Taschenlampe mitgegeben. Sehr
freundliche Leute, obwohl es Harley-Fahrer sind. (Ist Spaß, ich habe
hier schon eine ganze Reihe hilfsbereiter Harleyfahrer kennengelernt!
Umgekehrt gibt es natürlich auch unter uns GoldWingern Spinner und
Idioten.) Ich hatte nur eine schmale Holzleiste unter den Seitenständer
geschoben. Wenn sich der jetzt in den nassen Schlamm eindrückt, fällt
das Moped um, und direkt daneben ist ein Auto abgestellt. Ich stehe auf,
habe zum Glück noch die geliehene Taschenlampe, und sehe nach. Alles
OK. Um
7 Uhr wachen wir alle „richtig“ auf und legen die Schlafsäcke
zusammen. Es regnet noch immer. Mein Moped steht noch brav. Natürlich
laufen wir im Gänsemarsch alle rüber zum Motel. Die Häuser stehen
noch! Unversehrt! Jetzt im Tageslicht ist alles eigentlich nicht so
schlimm wie es zuerst aussah. Doch ich verspüre keinerlei
Erleichterung, die Todesangst war einfach zu stark. Die
Feuerwehr ist inzwischen längst abgerückt, nur ein Polizeiwagen steht
noch an der Registration. Hinterm Haus steigt noch immer Rauch auf. Die
Zimmer sind eigentlich gar nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen
worden, nur die Außenwand ist an manchen Stellen etwas angekokelt.
Mein
Zimmer ist voller Rauch. In der Aufregung hatte ich vergessen, das
Fenster zuzuschieben. Trotzdem, vom Brandmelder immer noch kein Ton! Wir
können alle unsere persönlichen Dinge zusammenraffen. Wir hören von
der Chefin, daß auch die Sprinkler nicht angegangen sind und dadurch
kein zusätzlicher Schaden entstanden ist. Ich
sehe noch mal aus meinem Fenster raus. Davor liegen zwei, drei Meter grüne
saftige Rasenfläche, am ganzen Haus entlang, dahinter die abgebrannten
Sträucher und Bäume. Diese Rasenfläche und der Umstand, daß es glücklicherweise
keinen Wind gab, haben wohl Schlimmeres verhindert.
Ich
frage die Chefin dann später im Büro nach der Ursache des Feuers.
Nicht die Holländer mit ihrem Grill waren es, wie ich es schon viel zu
vorschnell vermutet hatte, (ich bitte aufrichtig und herzlich um
Entschuldigung, liebe holländische Freunde, aber es hätte ja noch
etwas Glut in der Asche sein können und der Verdacht mußte sich
einfach jedem aufdrängen), nein, andere junge Leute waren es, Ortsansässige,
die ausgerechnet in dieser Nacht nebenan ein Barbecue veranstalten mußten
und besoffen waren; sie sind bereits als Täter ermittelt. Nachdem
ich noch mal im Zimmer nachgesehen habe und meine restlichen Sachen
trotz des Regens irgendwie eingepackt habe, fahre ich endgültig los.
Ich bin noch immer tief erschüttert, der Schrecken und die Todesangst
waren einfach zu heftig. Ständig hört man hier von abgebrannten Häusern
und verbrannten Menschen. Dazu die Lautlosigkeit, draußen in den
Flammen wie drinnen im Motel. Das hätte eine schreckliche Katastrophe
werden können. Die schlimmste Nacht in meinem Leben war es auf jeden
Fall. Ich bin total am Ende. Die ständig immer wieder aufkommenden
Erinnerungen an die Nacht schiebe ich weg, weit weg, will mich damit
nicht befassen. Nicht jetzt! Nach
ein paar Kilometern sehe ich einen verwaisten offenen Imbißstand mit
Dach darüber. Da kann ich mich samt Moped unterstellen und mich erstmal
um- und richtig anziehen und die Sachen etwas ordentlicher verstauen. Es
regnete den ganzen Morgen und es gab bisher einfach noch keine Möglichkeit,
die wenigen Regensachen, die ich dabei habe, Schuhe, Jacke, Handschuhe,
rauszusuchen und anzuziehen. Dann
geht es weiter. Immer nach vorne schauen und darauf konzentrieren! Nicht
an die Nacht denken! Wo ist eigentlich das Handy? Handy? Ich halte an
und sehe (wühle) nach. Es ist nicht da. Mist, das hatte ich doch beim
ersten Rausrennen auf den großen Stein vorm Haus gelegt. Also umdrehen,
noch mal zurück. Ich fahre hintenrum auf den Hof, will den Ort des
Schreckens nicht so deutlich sehen. Und ich habe Glück, da liegt es ja
noch, mitten auf dem Stein, zusammen mit meiner Lesebrille, aufgeklappt.
Na, das Handy kann ich vergessen. Es war eingeschaltet, weil ich auf
Uwes SMS gewartet hatte und lag nun eine halbe Nacht im Regen, da hat es
bestimmt einen Kurzschluß gekriegt. Trotzdem nehme ich unverzüglich
den Akku raus und lege alles erstmal ins Handschuhfach. Dann
fahre ich noch mal den gleichen Weg wie vorhin. Ich will nicht frühstücken,
tue es aber trotzdem. In Mexican Hat. Was predige ich immer jedem, ob er
es hören will oder nicht: Frühstück muß sein, sonst kannst Du Deinen
Tag nicht ordentlich bewältigen! Also überrede ich mich selbst und würge
ein paar Bissen runter, spüle mit viel Kaffee nach. Dann
fahre ich weiter Richtung Monument Valley. Nach einiger Zeit hört sogar
der Regen auf. Der berühmte Mexican Hat? Uninteressant! Nur weg hier.
Immer weiter weg. Erst weigere ich mich, Fotos zu machen, bin jetzt
wirklich nicht in der Stimmung dafür. Aber der Anblick der markanten
Sandsteinberge ändert dann doch meine Meinung. Wie gerne war ich bisher
immer hier. Welch gute Erinnerungen habe ich an Monument Valley. Hatte!
Bisher! Ich rede mir gut zu („Laß Dich nicht so hängen!“) und
mache dann doch ein paar lustlose Fotos.
Ist
eigentlich ganz schön hier. Und viel besser als in der anderen
Richtung, in der wir sonst immer hierher gekommen sind. Ich kann also
nur jedem empfehlen, sich in meiner jetzigen Richtung von Nord nach Süd
Monument Valley zu nähern, also von Mexican Hat nach Kayenta. Ich kann
das beurteilen, bin ja fast schon Monument Valley-Spezialist. Und jetzt
kommt sogar die Sonne wieder raus. In
Tuba City biege ich links auf die 264 ab und fahre dann über Leupp,
Winona und Flagstaff und über die 89A nach Sedona. Unterwegs erlebe ich
einen kleinen Sandsturm (ist übrigens kein normaler Sand, sondern eher
Staub!) und überhaupt heftigen Seitenwind. Die Kamera packe ich
vorsichtshalber lieber unter meine Jacke, denn der Staub legt sich
wirklich in jede Ritze. Aber bei meiner gedrückten Stimmung ist mir das
sowieso alles egal. Das einzige worauf ich achte, ist, jedes kleine
Aufkommen einer Erinnerung an letzte Nacht sofort weit wegzuschieben.
Ich kann und will mich nicht daran erinnern. Nicht jetzt!!
Schon
wieder bin ich knapp an Benzin. Aber ab Flagstaff geht es meistenteils
ja nur noch bergab. Darauf konzentriere ich mich jetzt. Schadet eben
auch nichts, wenn man sich ein bißchen auskennt.
Und
es geht alles gut, bis Sedona komme (rolle) ich und tanke. Ist jetzt
eigentlich ganz angenehm mit der Tankerei. Das Benzin ist hier wieder
ganz schön billig. Einen total leeren Tank der GoldWing aufzufüllen
kostet höchstens mal 11, 12 $, also etwa 8 bis 9 Euro. In Deutschland
kostet dieser Tank voll Benzin meistens um die 30 Euro. Schade, daß ich
letztes Jahr mit dem großen Schluckspecht-Wohnmobil (30 l auf 100 km)
gerade die teuersten Spritpreise aller Zeiten in den USA erwischt hatte,
damals meist deutlich über 4 $ die Gallone für billigstes
Normalbenzin. Zur Zeit im Frühjahr 2009 kostet eine Gallone dieses
Benzins nur noch halb soviel, so zwischen 1,89 $ und 2,19 $, ganz selten
mal bis 2,49 $.
Aber
auch in Sedona will ich nichts von der schönen Umgebung wissen. Ich bin
echt am Ende und will jetzt nur noch ein Zimmer. Sedona:
Eisenoxid verleiht den Felsen ihre rötliche Farbe. Es soll hier unerklärliche
Phänomene geben, Handyakkus entleeren sich viel schneller als sonst,
Kompasse funktionieren nicht mehr, Mensche träumen intensiver. Ich
schaffe es noch bis Camp Verde und nehme mir da ein schönes Zimmer für
89 $ im Hampton Inn. Das Handy ist inzwischen trocken und ich baue es
zusammen. Ein Wunder: Es funktioniert noch! Nachdem es so lange Zeit im
Regen lag! Ich kann es kaum fassen. Einen
PC für die Gäste gibt es endlich auch mal wieder, so kann ich
wenigstens nach Hause schreiben, aber natürlich erwähne ich nichts von
der Katastrophe. Die sollen sich ja nicht unnötig aufregen. Essen mag
ich heute abend nichts, nur eine Zigarre. |