Samstag, 2. Mai 2009
Bluff – Camp Verde, 381 Meilen


Im Traum sehe ich ein Bild. Format 4:3. Schön gemalt. Lebhaft. Alles orange, ein bißchen rot dazwischen. Wirklich schön. Sehr schön. Orange?! Schön?! Mit einem Schlag bin ich wach. Scheiße, das ist Feuer, es brennt! Feuer!! Das Haus brennt!!! Nein, das ist kein Traum!!!! Ich stürze ans Fenster und sehe nach rechts und links: Eine einzige Wand aus Flammen steht vor meinem Fenster! Sofort ergreift mich Todesangst, wie ich sie nicht beschreiben kann und auch nicht beschreiben will. Es ist schrecklich! Nacktes Entsetzen preßt mein Herz zusammen! Alle Häuser in den USA sind aus Holz gebaut, hier natürlich auch. Eine riesige Feuerwand lodert vor dem Fenster! Bestimmt steht das ganze Haus bereits in Flammen und ich bin vom Feuer eingeschlossen und ich werde nicht mehr rauskommen! Und direkt nebenan ist die Tankstelle! Schnell, blitzschnell springe ich in Unterhose und Badeschuhe, reiße die Tür auf, im Flur ist noch kein Feuer, die Ausgangstür ist gleich links, durchs Türfenster ist draußen auch noch kein Feuer zu sehen, also raus, nur raus, schnell raus ins Freie!

 

Von Nashville nach Phoenix

Von Nashville nach Phoenix

Von Nashville nach Phoenix

 

Auf dem Parkplatz ein Wunder! Hier ist noch kein Feuer! Also renne ich blitzschnell ins Zimmer zurück, ergreife meinen Rucksack mit den Wertsachen und den Mopedschlüssel. Die Feuerwand lodert unverändert direkt vor meinem offenen Fenster! Das Erstaunliche und Unheimliche ist, aber das wird mir natürlich erst hinterher so richtig bewußt, jetzt habe ich gar keine Zeit, um es zu erfassen, es brennt ohne irgendein Geräusch, kein Knistern, kein Knacken, kein Prasseln ist zu hören, nichts, kein Geräusch, als ob ich taub wäre, und obwohl mein Fenster ganz aufgeschoben ist! Und kein Ansprechen des obligatorischen Rauchmelders an der Zimmerdecke! Überhaupt, das ganze Motel ist ruhig, alles ist still, alles schläft, nichts rührt sich, alles ist wie ein schrecklicher Traum! Aber es ist kein Traum, alles ist rauhe Wirklichkeit und bitterer Ernst! Vielleicht bin ich der einzige, der sein Zimmer nach hinten raus hat. So können die anderen Gäste gar nichts von den Flammen sehen. Selbst wenn sie jetzt wach wären, würden sie nur auf den Parkplatz vorm Haus sehen können, und da sieht es noch total ruhig und normal aus.

Schnell renne ich wieder raus, rufe noch schnell im Flur, so laut ich nur kann, „Fire! Fire!“ und springe aufs Motorrad. Zuerst hatte ich es am Abend mit dem Vorderrad zum Haus hin aufgestellt. Da aber alle Harleys genau anders herum in einer ordentlichen Reihe nebeneinander aufgestellt waren, einheitlich mit dem Hinterteil zum Haus, hatte ich es nach dem Ausladen des Gepäcks wegen des ordentlicheren Bildes und trotz meiner sprichwörtlichen Faulheit doch noch umgedreht. Mein Ordnungssinn zahlt sich hier und jetzt aus, denn ich kann aufspringen und sofort losfahren. Ich stelle das Moped ein paar Meter auf der anderen Seite des Fahrweges und Parkplatzes erneut ab. Jetzt kann die Feuerwehr kommen, das Wichtigste ist gerettet, mein Moped steht nicht mehr im Weg und es kann ihm auch nichts mehr passieren.

Dann renne ich zurück ins Zimmer, auf dem Gang bewegen sich jetzt endlich ein paar Menschen, ich höre vereinzelte Stimmen. Ich packe noch ein paar meiner wichtigsten Klamotten in die offene Gepäcktasche und renne wieder raus. Alles andere kann verbrennen, das werde ich wohl verschmerzen können.

Immer noch nur mit Unterhose und Sandalen „bekleidet“, springe ich aufs Moped und fahre auf die Straße. Ein paar Häuser weiter kann ich das Moped erneut abstellen. Hier ist es stockdunkel, wie überall hier, Straßenbeleuchtung kennt man hier wohl nicht, oder sie ist schon aus, deshalb lasse ich den Motor laufen und habe so genügend Licht. Erstmal rasch anziehen und alle Sachen so gut es geht verstauen.

Endlich, endlich kommt ein Feuerwehrauto mit lauter Sirene an. Spät! Viel zu spät! Gleichzeitig sehe ich die Harleys in einer langen Reihe in entgegengesetzter Richtung an mir langsam vorbeifahren. Als ich so weit fertig bin, gehe ich zurück zum Ort des Geschehens. Inzwischen ist noch eine Feuerwehr angerückt, sie steht am anderen Ende der beiden Häuser. Wasser spritzt immer noch nicht, jedenfalls nicht hier vorne. Auch sonst ist es still. Ein paar schweigende Zuschauer stehen herum. Zwei Feuerwehrleute kämpfen vor uns mit den Schläuchen. Die Anschlüsse passen nicht zusammen! Der eine hat nur eine winzige LED-Stirnleuchte. Sonst gibt es kein Licht, nur das Flackern des Feuers. Es ist traurig, den beiden unfähigen Torfnasen zusehen zu müssen.

Zwei Feuerwehrautos und zweimal zwei Leute erscheinen mir hier deutlich zu wenig für die Brandbekämpfung. Ich halte es nicht mehr aus und muß wieder weggehen. Noch zwei deutsche Ehepaare, schwäbisch sprechend, mit einem Auto unterwegs, geben sich mir zu erkennen. Wie ich von ihnen höre, haben die meisten Leute noch fast alle Sachen in den Zimmern, sind einfach so wie sie waren, ins Freie geflüchtet. Wie soll das jetzt weitergehen? Wo sollen wir alle schlafen? Es ist ein Uhr in der Nacht. Von den Deutschen werde ich später nichts mehr sehen und weiß nicht, was aus ihnen geworden ist.

Ich höre Rufe und laufe wieder in Richtung Motel. Endlich „marschiert“ das Wasser. Viel zu lange hat das gedauert, mindestens zwanzig Minuten, seitdem ich aufgewacht bin! Na egal, hier kann ich nichts mehr machen. Inzwischen ist auch ein Polizeiauto mit einem Cop angekommen. Der Autoverkehr wird nicht angehalten, drei, vier Autos kommen langsam fahrend vorbei.

Ich gehe zurück zum Moped, setze mich drauf und fahre langsam los. Was soll ich hier noch? Morgen früh kann ich dann immer noch nachsehen. Da, nach hundert Metern sehe ich die Harleys auf der linken Seite auf einem kleinen Platz im schwachen Schein einer einsamen Laterne herumstehen. Ich fahre zu ihnen rüber. Denn: In der Herde kann man besser überleben! Wir sind alle reichlich durcheinander und beruhigen uns nur langsam. Ist ja auch kein Wunder. Keiner weiß, was wir jetzt machen sollen. Sie kommen aber alle zu mir und wir können miteinander reden. Auch zu trinken bieten sie mir an, sie haben auch ein Auto dabei. Einer der Holländer hat immer noch nur die Unterhose an, sie mußten flüchten, so schnell es ging.

 

Von Nashville nach Phoenix

 

Nach einer halben Stunde wird für uns das Post Office aufgemacht, denn davor stehen wir, und wir können innen auf dem nackten Boden ausruhen oder schlafen. Da ich sonst nichts habe, nehme ich meine Sandalen als Kopfkissen und schlafe später auch tatsächlich ein. Nach einer weiteren Stunde kommt eine Frau, vielleicht die Motelchefin, und teilt uns mit, daß für uns eine Notunterkunft in der Nähe eingerichtet worden ist. Dort können wir auf Schlafsäcken den Rest der Nacht verbringen. Morgens stellt sich heraus, daß das hier eine Firma ist, die Rafting Touren organisiert und daher das nötige Equipment hat, also auch die Unterlagen für den harten Hallenboden und genügend Schlafsäcke für uns alle und vor allem auch ausreichend Bodenfläche.

Wild Rivers Expeditions ~ San Juan River Rafting Trips

 

Von Nashville nach Phoenix

 

Trotz allen Unglücks schlafe ich irgendwie. Ein merkwürdiger Lärm weckt mich unsanft in der Nacht. Was ist denn das? Ach so, es regnet. Auf dem Hallendach aus Blech wird jeder Regentropfen verstärkt. Mist, ich hatte das Moped nachts noch hergeholt und auf Sandboden abgestellt. Einer der Holländer hatte mir sogar seine Taschenlampe mitgegeben. Sehr freundliche Leute, obwohl es Harley-Fahrer sind. (Ist Spaß, ich habe hier schon eine ganze Reihe hilfsbereiter Harleyfahrer kennengelernt! Umgekehrt gibt es natürlich auch unter uns GoldWingern Spinner und Idioten.) Ich hatte nur eine schmale Holzleiste unter den Seitenständer geschoben. Wenn sich der jetzt in den nassen Schlamm eindrückt, fällt das Moped um, und direkt daneben ist ein Auto abgestellt. Ich stehe auf, habe zum Glück noch die geliehene Taschenlampe, und sehe nach. Alles OK.

Um 7 Uhr wachen wir alle „richtig“ auf und legen die Schlafsäcke zusammen. Es regnet noch immer. Mein Moped steht noch brav. Natürlich laufen wir im Gänsemarsch alle rüber zum Motel. Die Häuser stehen noch! Unversehrt! Jetzt im Tageslicht ist alles eigentlich nicht so schlimm wie es zuerst aussah. Doch ich verspüre keinerlei Erleichterung, die Todesangst war einfach zu stark.

Die Feuerwehr ist inzwischen längst abgerückt, nur ein Polizeiwagen steht noch an der Registration. Hinterm Haus steigt noch immer Rauch auf. Die Zimmer sind eigentlich gar nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, nur die Außenwand ist an manchen Stellen etwas angekokelt.

 

Von Nashville nach Phoenix

 

Mein Zimmer ist voller Rauch. In der Aufregung hatte ich vergessen, das Fenster zuzuschieben. Trotzdem, vom Brandmelder immer noch kein Ton! Wir können alle unsere persönlichen Dinge zusammenraffen. Wir hören von der Chefin, daß auch die Sprinkler nicht angegangen sind und dadurch kein zusätzlicher Schaden entstanden ist.

Ich sehe noch mal aus meinem Fenster raus. Davor liegen zwei, drei Meter grüne saftige Rasenfläche, am ganzen Haus entlang, dahinter die abgebrannten Sträucher und Bäume. Diese Rasenfläche und der Umstand, daß es glücklicherweise keinen Wind gab, haben wohl Schlimmeres verhindert.

 

Von Nashville nach Phoenix

 

Ich frage die Chefin dann später im Büro nach der Ursache des Feuers. Nicht die Holländer mit ihrem Grill waren es, wie ich es schon viel zu vorschnell vermutet hatte, (ich bitte aufrichtig und herzlich um Entschuldigung, liebe holländische Freunde, aber es hätte ja noch etwas Glut in der Asche sein können und der Verdacht mußte sich einfach jedem aufdrängen), nein, andere junge Leute waren es, Ortsansässige, die ausgerechnet in dieser Nacht nebenan ein Barbecue veranstalten mußten und besoffen waren; sie sind bereits als Täter ermittelt.

Nachdem ich noch mal im Zimmer nachgesehen habe und meine restlichen Sachen trotz des Regens irgendwie eingepackt habe, fahre ich endgültig los. Ich bin noch immer tief erschüttert, der Schrecken und die Todesangst waren einfach zu heftig. Ständig hört man hier von abgebrannten Häusern und verbrannten Menschen. Dazu die Lautlosigkeit, draußen in den Flammen wie drinnen im Motel. Das hätte eine schreckliche Katastrophe werden können. Die schlimmste Nacht in meinem Leben war es auf jeden Fall. Ich bin total am Ende. Die ständig immer wieder aufkommenden Erinnerungen an die Nacht schiebe ich weg, weit weg, will mich damit nicht befassen. Nicht jetzt!

Nach ein paar Kilometern sehe ich einen verwaisten offenen Imbißstand mit Dach darüber. Da kann ich mich samt Moped unterstellen und mich erstmal um- und richtig anziehen und die Sachen etwas ordentlicher verstauen. Es regnete den ganzen Morgen und es gab bisher einfach noch keine Möglichkeit, die wenigen Regensachen, die ich dabei habe, Schuhe, Jacke, Handschuhe, rauszusuchen und anzuziehen.

Dann geht es weiter. Immer nach vorne schauen und darauf konzentrieren! Nicht an die Nacht denken! Wo ist eigentlich das Handy? Handy? Ich halte an und sehe (wühle) nach. Es ist nicht da. Mist, das hatte ich doch beim ersten Rausrennen auf den großen Stein vorm Haus gelegt. Also umdrehen, noch mal zurück. Ich fahre hintenrum auf den Hof, will den Ort des Schreckens nicht so deutlich sehen. Und ich habe Glück, da liegt es ja noch, mitten auf dem Stein, zusammen mit meiner Lesebrille, aufgeklappt. Na, das Handy kann ich vergessen. Es war eingeschaltet, weil ich auf Uwes SMS gewartet hatte und lag nun eine halbe Nacht im Regen, da hat es bestimmt einen Kurzschluß gekriegt. Trotzdem nehme ich unverzüglich den Akku raus und lege alles erstmal ins Handschuhfach.

Dann fahre ich noch mal den gleichen Weg wie vorhin. Ich will nicht frühstücken, tue es aber trotzdem. In Mexican Hat. Was predige ich immer jedem, ob er es hören will oder nicht: Frühstück muß sein, sonst kannst Du Deinen Tag nicht ordentlich bewältigen! Also überrede ich mich selbst und würge ein paar Bissen runter, spüle mit viel Kaffee nach.

Dann fahre ich weiter Richtung Monument Valley. Nach einiger Zeit hört sogar der Regen auf. Der berühmte Mexican Hat? Uninteressant! Nur weg hier. Immer weiter weg. Erst weigere ich mich, Fotos zu machen, bin jetzt wirklich nicht in der Stimmung dafür. Aber der Anblick der markanten Sandsteinberge ändert dann doch meine Meinung. Wie gerne war ich bisher immer hier. Welch gute Erinnerungen habe ich an Monument Valley. Hatte! Bisher! Ich rede mir gut zu („Laß Dich nicht so hängen!“) und mache dann doch ein paar lustlose Fotos.

 

Von Nashville nach Phoenix

Von Nashville nach Phoenix

Von Nashville nach Phoenix

Von Nashville nach Phoenix

Von Nashville nach Phoenix

 

Ist eigentlich ganz schön hier. Und viel besser als in der anderen Richtung, in der wir sonst immer hierher gekommen sind. Ich kann also nur jedem empfehlen, sich in meiner jetzigen Richtung von Nord nach Süd Monument Valley zu nähern, also von Mexican Hat nach Kayenta. Ich kann das beurteilen, bin ja fast schon Monument Valley-Spezialist. Und jetzt kommt sogar die Sonne wieder raus.

In Tuba City biege ich links auf die 264 ab und fahre dann über Leupp, Winona und Flagstaff und über die 89A nach Sedona. Unterwegs erlebe ich einen kleinen Sandsturm (ist übrigens kein normaler Sand, sondern eher Staub!) und überhaupt heftigen Seitenwind. Die Kamera packe ich vorsichtshalber lieber unter meine Jacke, denn der Staub legt sich wirklich in jede Ritze. Aber bei meiner gedrückten Stimmung ist mir das sowieso alles egal. Das einzige worauf ich achte, ist, jedes kleine Aufkommen einer Erinnerung an letzte Nacht sofort weit wegzuschieben. Ich kann und will mich nicht daran erinnern. Nicht jetzt!!

 

Von Nashville nach Phoenix

 

Schon wieder bin ich knapp an Benzin. Aber ab Flagstaff geht es meistenteils ja nur noch bergab. Darauf konzentriere ich mich jetzt. Schadet eben auch nichts, wenn man sich ein bißchen auskennt.

 

Von Nashville nach Phoenix

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Und es geht alles gut, bis Sedona komme (rolle) ich und tanke. Ist jetzt eigentlich ganz angenehm mit der Tankerei. Das Benzin ist hier wieder ganz schön billig. Einen total leeren Tank der GoldWing aufzufüllen kostet höchstens mal 11, 12 $, also etwa 8 bis 9 Euro. In Deutschland kostet dieser Tank voll Benzin meistens um die 30 Euro. Schade, daß ich letztes Jahr mit dem großen Schluckspecht-Wohnmobil (30 l auf 100 km) gerade die teuersten Spritpreise aller Zeiten in den USA erwischt hatte, damals meist deutlich über 4 $ die Gallone für billigstes Normalbenzin. Zur Zeit im Frühjahr 2009 kostet eine Gallone dieses Benzins nur noch halb soviel, so zwischen 1,89 $ und 2,19 $, ganz selten mal bis 2,49 $.

 

Von Nashville nach Phoenix

Von Nashville nach Phoenix

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Aber auch in Sedona will ich nichts von der schönen Umgebung wissen. Ich bin echt am Ende und will jetzt nur noch ein Zimmer.

Sedona: Eisenoxid verleiht den Felsen ihre rötliche Farbe. Es soll hier unerklärliche Phänomene geben, Handyakkus entleeren sich viel schneller als sonst, Kompasse funktionieren nicht mehr, Mensche träumen intensiver.

Ich schaffe es noch bis Camp Verde und nehme mir da ein schönes Zimmer für 89 $ im Hampton Inn. Das Handy ist inzwischen trocken und ich baue es zusammen. Ein Wunder: Es funktioniert noch! Nachdem es so lange Zeit im Regen lag! Ich kann es kaum fassen.

Einen PC für die Gäste gibt es endlich auch mal wieder, so kann ich wenigstens nach Hause schreiben, aber natürlich erwähne ich nichts von der Katastrophe. Die sollen sich ja nicht unnötig aufregen. Essen mag ich heute abend nichts, nur eine Zigarre.

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