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Tag
15 Dienstag,
26. April 2011 Die
Fahrt durch die Nacht war ruhiger als sonst. Ein paar Stopps an Bahnhöfen
gab es. Am Morgen um sechs geht die Sonne über grünen Wiesen auf, auf
denen Nebel noch faul herumliegt. Einzelne kleine Zypressen sehen im Dunst
aus, als stünden Menschen mit den Händen in den Hosentaschen herum.
Unsere Strecke ist inzwischen längst elektrifiziert. Heute werden wir
endlich wieder einen schönen sonnigen Tag bekommen. Schlanke hohe Weiden
stehen an den mäandernden Bächen herum. Seit Ankara fährt unser Zug in
westlicher Richtung. Ich frühstücke wie immer gleich um 7 Uhr und
bin wie so oft der erste Passagier im Speisewagen. Es ist überaus
angenehm, in Ruhe zu frühstücken und die Eindrücke der Fahrt dabei zu
genießen. Unser
Zug bahnt sich den Weg durch tiefe Schluchten des Kapiorman-Gebirges. Ein
kleiner Fluß begleitet uns. Eine großzügige, ganz neue Autobahn wird
nebenan gebaut. Dann ist auch eine elegante Schnellbahntrasse nach Ankara
neben uns, mit vielen Tunnels und oft geständert, bestimmt noch lange im
Bau, bestimmt mit reichlich EU‑Geldern finanziert. Da Türken keinen
Umweltschutz und wohl auch keine grüne Partei kennen, ist hier leicht
bauen. Gelb leuchtender Raps wächst an sämtlichen Böschungen. Ohne die
allfälligen Moscheen mit ihren hohen schlanken Minaretten könnten wir
auch in der Schweiz fahren. Eigentlich
ein Widerspruch: Dafür, daß Moslems keinen Wein trinken dürfen, wird
hier viel davon angebaut. Der
ständige Smalltalk unter meinen Fahrgästen nervt mich immer mehr.
Genauso die vielen Weisheiten, die ständig abgesondert werden - und
die doch jeder kennt. Die Leute haben viel zu wenig Interesse an der
Landschaft. Für mich völlig unverständlich. Letzter
Tag im Zug, deshalb wird auch kein Tagesplan für heute mehr aufgehängt.
Wir bleiben immer neben der Autobahn, die auch schonmal mitten durch
kleine Orte führt. Eines
meiner Ziele dieser Reise, nämlich schöne Eisenbahnfotos zu erhalten,
konnte ich leider nicht erreichen. Eisenbahnfreunde werden hier also keine
Erfüllung finden. Außer in den Erste-Klasse-Abteilen läßt sich keines
der ansonsten schmutzigen Fenster öffnen. Auch sonst konnte ich keine
Fotos eisenbahn-technischer Einrichtungen machen. Neue
Autos müssen hier offenbar in geschlossenen Waggons transportiert werden.
Ich sehe einen entsprechenden Verladebahnhof. Nach
wie vor stehen gelbe „deutsche“ Bahnhofshäuschen an der Strecke, auch
an großen Bahnhöfen. Wir nähern uns unserer Endstation: Istanbul. Mit
einem Auge bin ich froh, übermorgen wieder zu Hause zu sein. Vielleicht
bin ich aber auch nur für arabische Länder oder für Reisegruppen
solcher Größe ungeeignet? Plötzlich
sehe ich Hochseeschiffe links neben uns, auch ein paar gefährlich
aussehende Kriegsschiffe; wir haben einen vorerst noch schmalen Arm des
Marmarameers in Izmit erreicht. Längst
ist es wieder bewölkt, aber es sieht warm draußen aus, die Leute laufen
mit kurzen Ärmeln herum. Riesige Containerterminals, eine noch größere
Ölraffinerie, Walzwerke und viele andere große Betriebe, im Vergleich zu
Syrien ist hier alles sauber und ordentlich. Auch teuer aussehende Villen
mit großen Panoramafenstern sehe ich. Wir bleiben am Ufer, oft auch
direkt am Wasser. Um 9:30 Uhr sind es noch 58 km, um 10:00 Uhr
noch 30 km, um 10:50 Uhr ist es immer noch 1 km bis zur
Endstation Haydarpascha. Ganz kurz vor 11.00 Uhr erreichen wir unsere
Endstation. Mit zweieinhalb Stunden Verspätung. Das Abteil ist ja von übersichtlicher
Größe, da brauche ich keine Sorge zu haben, etwas liegen zu lassen. Bis
vor kurzem sollen die Abteile noch enger gewesen sein, da hatte man noch
uralte Waggons aus der ehemaligen DDR. Wie
immer bei meinen Urlauben bin ich auch jetzt wieder etwas traurig, am Ziel
angekommen zu sein; ich könnte gut und gerne nochmal zwei Wochen
Bahnfahren dranhängen. So eine Reise im Sonderzug ist wirklich angenehm,
kein Umsteigen, immer dieselben Leute, der gewohnte Speisewagen, das Bett
immer dabei, der feste Platz im Bus, interessante Besichtigungen, ja, ich
könnte mich daran gewöhnen. Aber es kommt ja jetzt noch das „Häppchen“
Istanbul. Vor
dem palastähnlichen Bahnhof steht als Blickfang die obligatorische kleine
alte Dampflok der türkischen Bahngesellschaft. Wenigstens mit den Augen
kann ich sie noch kurz streicheln, während wir alle zur Fähre eilen müssen. Angenehm:
Unser Gepäck wird auch hier ohne unsere eigenen Bemühungen aus den
Waggons geholt, zum Hotel transportiert und dort auf unseren Zimmern
verteilt. Wir brauchen uns um nichts zu kümmern. Nur die Leute in der 1. Klasse
hängen etwas in der Luft, weil ihnen offenbar nichts darüber mitgeteilt
worden ist und sie sind etwas sauer darüber. Haydarpascha
- Google-Suche
mit vielen Fotos Bahnhof
Istanbul Haydarpasa – Wikipedia Der
Bahnhof wurde 1906 in nur zwei Jahren von deutschen Firmen gebaut und
sieht immer noch prachtvoll aus. Wir
besteigen eine für uns gecharterte Fähre, die unsere Gruppe von Asien
nach Europa bringt. Die zwanzigminütige Überfahrt in der Sonne ist wegen
des Windes etwas frisch aber wunderschön. Sie erinnert mich an unsere Fährüberfahrt
nach Seattle rüber, damals, vor ein paar Jahren, in den USA. Ingrid
(meine Ingrid) und ich reden heute noch oft davon. Die Stadt liegt breit
in der Sonne vor uns, am Rande viele moderne Wolkenkratzer, viele Schiffe
und Boote, das Wasser ist so blau und klar, wie es gar nicht besser sein
kann. Elegante weiße Möwen begleiten unser Schiff. Schön. Und viiel zu
kurz! Eine vielarmige Wasserfontäne begrüßt uns freudig spritzend. Die
zugesagten Busse warten schon auf uns. Sibel auch. Sie empfängt uns in
unserem „blauen“ Bus wie versprochen und führt uns durch die Stadt.
Sie erzählt, daß Istanbul fünfzehn Millionen Einwohner hat und auch
schon über achttausend Jahre alt sein soll, und daß das Goldene Horn,
eine Bucht, die im europäischen Teil etwas ins Land hineinragt, ungefähr
sieben Kilometer lang ist. Hochhäuser sehe ich am Rande der Stadt im
Dunst, fast so viele und fast so hoch wie in Frankfurt. Hier herrscht
eindeutig Helmpflicht, jeder der vielen Zweiradfahrer hat einen auf.
Fahrradfahrer sehe ich allerdings keinen einzigen. Soll hier nicht kürzlich
ein internationales Radrennen gewesen sein? Der
Verkehr ist etwas zähflüssig auf unserem Weg zur Chora Kirche mit den
weltberühmten und einzigartigen Mosaiken und Fresken. Der Name bedeutet
„in den Feldern“, weil die Kirche früher außerhalb der Stadt lag.
Mir fallen hier ganz besonders ein paar prächtige Mosaiken in leuchtenden
Farben von Jesus und Maria auf, alles ist üppig vergoldet. Ich bin
wirklich außerordentlich beeindruckt. Schade: Ich würde gerne länger
bleiben, aber auch hier ist mir viel zu viel Gedrängel und Geschubse,
deshalb bin ich dann schnell wieder draußen. Chora
Kirche - Google-Suche mit vielen Fotos Die
Stadt ist voller Tulpen, es müssen viele Millionen sein. Tulpen stammen
ursprünglich aus der Türkei, sie wurden nur vor fünfhundert Jahren von
den Holländern über die Österreicher vereinnahmt und in den
Niederlanden weiter kultiviert. Auf unserer Fahrt kommen wir auch am
Orient Express Bahnhof Sirkeci vorbei. Hier endet(e) der berühmte aus
London oder Paris kommende Luxuszug. Ein neuer Bahnhof und ein
Eisenbahntunnel werden gerade gebaut, aber dieser Bahnhof wird (vorerst)
dem Orient Express weiter zur Verfügung stehen, und angeblich nur ihm. Bahnhof
Istanbul Sirkeci – Wikipedia Unser
Mittagessen bekommen wir programmgemäß und auf Einladung der
Reiseleitung im Armada Hotel, fünf Gänge, erneut absolut professionell.
Auch mit den Getränken, aber die müssen wie immer bezahlt werden. Also
das können die Türken perfekt. Die Getränke sollten in Euro bezahlt
werden, mit türkischer Lira wären sie (umgerechnet) zweieinhalb Mal so
teuer. Aber
wir sind ja nicht nur zum Vergnügen hier, deshalb geht es gleich in den
Bussen weiter zur Sultan Achmed Moschee (wegen der unzähligen weiß/blauen
Kacheln auch „Blaue Moschee“ genannt). Schuhe müssen ausgezogen und
in einer zur Verfügung gestellten Plastiktüte mit herumgetragen werden.
Frauen brauchen hier kein Kopftuch zu tragen. Sultan
Ahmed Moschee - Google-Suche mit vielen Fotos Sultan-Ahmed-Moschee
- Wikipedia Dann
geht es zu Fuß rüber in die gleich daran anschließende Hagia Sophia.
Sie ist eine ehemalige byzantinische (also christliche) Kirche, war dann
lange Moschee und ist heute ein Museum. Bedauerlich: Viel zu viele
Menschen wimmeln mir hier herum. Mir ist es unangenehm, ständig von unhöflichen
Leuten angerempelt zu werden. Trotzdem: Natürlich ist die Hagia Sophia
auch wieder außerordentlich beeindruckend, ob ihrer Schönheit und Größe.
Besonders staunen muß ich, als ich höre, daß die riesigen Steine sämtlich
mit „Seidenfäden“ geschnitten worden sein sollen. Die Hagia Sophia
galt früher angesichts ihrer riesigen freitragenden goldenen Kuppel als
achtes Weltwunder. Hagia
Sofia - Google-Suche mit vielen Fotos Zum
Abschluß steigen wir noch in die nahegelegene Basilika Zisterne hinab.
Hier handelt es sich um einen im Jahre 535 gebauten beeindruckenden
Wasserspeicher mit unzähligen hohen Säulen. Um genau zu sein: Es sollen
336 Säulen sein. Um die Wasserqualität ständig zu kontrollieren,
schwimmen jede Menge Fische herum. Hier wurde eine Szene aus dem
James-Bond-Film „Liebesgrüße aus Moskau“ gedreht. Wieder quetschen
sich unheimlich viele Leute im rötlichen Halbdunkel auf den schmalen
feuchten Holzstegen herum ‑ und versuchen dauernd, mich
unauffällig ins kalte Wasser zu schubsen. Mit
den Bussen geht es weiter zu einem großen Restaurant auf der Spitze am
Goldenen Horn mit wunderbarer Aussicht auf die Stadt im Sonnenuntergang
hinunter. Es gibt aber nur einen Sesamkringel mit etwas bröckeligem
Ziegenkäse, und etwas Tee oder Kaffee. Richtig kalt ist es hier oben. Auf
dem Rückweg ins Hotel setzt der Bus mit seiner rechten vorderen Ecke
auf der Straße auf, so steil sind die Gassen hier oben am Goldenen
Horn. Leider läßt sich die Tür nicht mehr öffnen, um den Schaden in
Augenschein zu nehmen, oder Leute rauszulassen, um den Bus zu erleichtern.
Er muß mit Gewalt weiter übers Pflaster kratzen, bis er wieder
freikommt. Allabendlicher dichter Feierabendverkehr, es geht nur langsam
voran, die Galata-Brücke ist wie immer total verstopft. Unser
Hotel „The Marmara Taksim“ ist zufälligerweise an eben diesem berühmten
Taksim-Platz, oben, auf einem der sieben Hügel Istanbuls, und hat zwanzig
Etagen. Glücklicherweise läßt sich hier die Tür am Bus wieder öffnen,
der Schaden am Bus ist wohl nicht so stark wie erst befürchtet. Natürlich,
obwohl ich der allererste an der Rezeption bin, ist für mich kein
Zimmerschlüssel da, ich bin nicht auf der Liste unserer Reiseteilnehmer
zu finden. Schon wieder! Ich muß bis zum Schluß warten, dann klärt sich
das Rätsel auf: Ich stehe mit meinem Vornamen als Nachname auf der Liste.
Als Einziger. Warum passiert nur mir das immer wieder? Auch
hier ist die Sicherheitskontrolle wieder sehr lasch. Mein Zimmer bietet
einen schönen Ausblick auf die Stadt und ist akzeptabel. Zwei normale
Betten, alles vorhanden, großes Fenster, ordentliches Badezimmer, nur der
Föhn ist altersschwach, und es ist etwas staubig. Nina Heinemann hätte
hier bestimmt ihren schon bekannten lustvollen Ekel bei einer Überprüfung.
Und ihre weißen Handschuhe wären jetzt schwarz. Ich sehe lieber nicht so
genau nach. Wir sind ja auch „nur“ in der Türkei, da darf man den Maßstab
nicht so hoch anlegen. Mein
Zimmer schaut in die richtige Himmelsrichtung, aber leider taucht die
Sonne gerade hinter dicken schwarzen Wolken unter. Dabei war es den ganzen
Tag relativ sonnig. Schade, der Sonnenuntergang fällt heute wieder aus.
Morgen soll es sogar regnen. Wie immer gibt es ZDF und zusätzlich, öfter
mal was neues, RTL im kleinen Flachbild-Fernseher. Auch heute wieder ständig
die englische Hochzeit. Aber immerhin läßt sich ein schmaler Flügel des
großen Fensters öffnen. Ich
will oben im Restaurant noch etwas essen und dann zu einem Drink meine
Zigarre rauchen. Ist natürlich nicht erlaubt. Daher esse ich nebenan bei
Burger King einen Whopper. Die Pommes sind glühendheiß, dafür ist der
Burger weniger als lauwarm. Dies ist mit Abstand der schlechteste Burger
in meinem Leben. (Aber ich habe auch noch nicht so viele davon gegessen.) Und
noch ein Superlativ: Istanbul soll die Stadt mit dem heftigsten Verkehr
sein, aber ich war noch nicht in Bombay, Saigon, Bangkok oder sonst wo. |