Tag
14 Ostermontag,
25. April 2011 Der
Weckruf reißt mich um halb fünf aus den Federn. Ingrid erwartet uns
unten in der Lobby und sorgt für pünktliche und vollzählige Abfahrt;
sie ist extra für uns Ballonfahrer früh aufgestanden. Pünktlich um fünf
werden wir von drei großen VW-Bussen abgeholt und in schneller Fahrt bei
Nacht und Nebel eine halbe Stunde über absolut einsame Straße in das Büro
der Ballonflug-Firma gefahren. Natürlich:
Die Asiaten von gestern sind auch schon wieder da. Jeder bekommt eine
Karte mit Sicherheitshinweisen, eine Tasse Tee oder Kaffee und einen
Sesamkringel zum Frühstück. Kein einziges Auto ist hier sonst unterwegs,
nur viele Kleinbusse, die die Ballonfahrer eifrig hin- und
hertransportieren. Wir sind 35 Leute aus dem Zug. Jeder mußte 150 Euro
schon ein paar Tage zuvor in bar bezahlen. Nach einer weiteren halben
Stunde geht es zum Startplatz unseres Ballons. Aber unserer ist nicht der
einzige, ich zähle ungefähr vierzig (40!) aufgerichtete Heißluftballons,
die ihre Startvorbereitungen gerade treffen. Insgesamt soll es hier über
neunzig Ballons geben. Auch den größten Heißluftballon der Welt. Für
bis zu 36 Personen! Teilweise dicht gedrängt stehen sie nebeneinander,
ein paar berühren und quetschen sich sogar, die ersten Ballons steigen
schon auf. Unser
Korb ist riesig, es gibt vier Abteilungen für jeweils fünf bis sechs
Leute, je nach Körperfülle der Passagiere, dazu der Pilot in seiner
eigenen Box. Wir klettern in den Korb hinein, wer will, kann auch eine
Stehleiter zu Hilfe nehmen, und dann warten wir alle gespannt auf unseren
Start. Wir müssen uns zur Probe hinknien, damit bei der Landung später
nichts schief geht. Es
dauert noch ein paar Minuten und dann geht es endlich los, dicht über ein
paar im Weg stehende Felsen, unser Pilot versteht sein Handwerk und
steuert geschickt an allen Hindernissen vorbei. Ich sehe ein paar Ballons,
die tief unten bleiben und deren Piloten die Körbe mit den Passagieren
noch länger dicht über die Felsen steuern. Mit Hilfe seilgesteuerter
Klappen im Inneren des Ballons kann der Pilot den Ballon sogar drehen. Im
Prospekt wird uns eine Fahrt über die „märchenhafte Landschaft
Kappadokiens“ versprochen. „Fotografieren
bis der Doktor kommt“. Daran muß ich, hier im Korb stehend, denken.
Unser
Pilot fährt ein bißchen „besonnener“, um nicht zu sagen
langweiliger, gleich rauf in die Höhe, später läßt er den Ballon
nochmal etwas sinken und wieder höher steigen, um dann nach viel zu
kurzer Zeit, nach einer knappen Stunde zu landen. Schade, die Sonne kommt
heute nicht raus, deshalb bleiben alle Farben grau in grau. Aber wir können
uns auch freuen, bei Regen wären alle Starts abgesagt worden. Unten
wuseln die Kleinbusse, Transporter für die Körbe und die Traktoren wie
pflichtbewußte Hütehunde über die Straßen, um alles wieder
einzusammeln. Die meisten Ballons sind noch in der Luft, wir sind bei den
ersten, die landen. Die Temperatur war erträglich, nur nach der Landung
erfrieren uns die Hände. Ich hatte vorsichtshalber außer dem Pullover
auch noch meine Regenjacke übergezogen. Wir
landen auf einer Wiese, die Hilfsleute halten den Ballon ein paar Minuten
am Boden fest, bis der Transportanhänger für den schweren Korb da ist,
wir stehen alle noch im Korb, und dann gibt der Pilot nochmal etwas Gas
und der komplette noch heiße Ballon mit uns im Korb wird auf den Anhänger
gehoben und zum Schluß mit Spanngurten darauf befestigt. Erst dann dürfen
alle aus dem Korb herausklettern. Der riesige Ballon muß sich jetzt
hinlegen und die heiße Luft darf raus. Ein Schlückchen Sekt, eine
Urkunde und die Trinkgelder wechseln die Besitzer. Anschließend
saust der VW-Bus mit uns zurück ins Hotel zum Frühstück. Jetzt herrscht
hier noch mehr Gedrängel als am Abend zuvor, der Raum ist total überfüllt
und es ist noch enger als vorhin im Ballonkorb, ein gestern Abend noch
offener Raum ist jetzt sogar ganz verschlossen. Kein Wunder, beim Zurückkommen
habe ich unten neben dem Hotel elf große Reisebusse gezählt. Anschließend
packe ich meine Sachen im Zimmer zusammen und sehe noch jetzt um halbzehn
ein paar Ballons herumfahren. Glücklich die Leute darin, sie haben
vielmehr davon, mußten aber wahrscheinlich auch mehr bezahlen. Der Himmel
ist noch immer etwas trüb. Abfahrt
in unseren Bussen erfolgt um halbzehn, direkt zu den drei
Feenschornsteinen, die drei Grazien, drei spitze hohe Basaltsäulen, auf
denen dicke Felsen liegen, die nicht runterpurzeln (wollen). Dann
fahren wir weiter nach Göreme. Dreißig unterirdische frühchristliche
Kirchen mit byzantinischen Freskenmalereien soll es hier geben.
Leider sind hier unter strengster Strafandrohung (mindestens
Todesstrafe) keinerlei Fotos erlaubt, aufmerksame Wächter wachen scharf
darüber. Jetzt kommt natürlich die doofe Sonne raus, heute Morgen bei
den Ballons hätte ich sie gebraucht. Gruppenweise
dürfen wir für ein paar Minuten in die Apfelkirche. Sie kostet
Extra-Eintritt. Gut, daß wir das Rumkriechen gestern schon ausreichend geübt
haben. Ich bin froh, schnell wieder rauszukommen. Draußen blüht der
Ilex. Kameras ballern aus tausenden Objektiven. Ich habe rasch genug von
all den Höhlen und Höhlenkirchen, vom babylonischen Sprachwirrwarr und
vor allem vom Gewimmel und Getümmel der vielen Menschen und trinke lieber
nach der engen Apfelkirche einen heißen Apfeltee und rauche eine Zigarre,
während ich auf die andern warte. Das Gedrängel der vielen Menschen
nervt mich schrecklich. Die Asiaten sind auch schon längst wieder da. Das
im Prospekt versprochene „unterirdische Kloster mit Mönchszellen und
Speisesaal“ wurde uns vorenthalten und ich habe es nicht gesehen. Einer
unserer Passagiere im Bus kennt sich botanisch aus und erklärt uns auf
der Weiterfahrt die hier wachsenden Gräser und Blumen. Unter anderem
erfahren wir, daß viele Pflanzen, die wir zu Hause eigentlich als
urdeutsch kennen, hier aus dieser anatolischen Gegend stammen, z.B. Apfelbäume,
Kirschbäume, Birnbäume, Aprikosen, Weißdorn, aber auch Schafe und
Ziegen. Auch die gerade blühende Resede, mit der man früher Kleidung
gelb färben konnte. Und die Kornblume ist gar nicht typisch deutsch oder
wenigstens europäisch, nein, sie stammt auch hier aus dieser Gegend. Im
Bus rezitiert Ingrid Goethes Osterspaziergang und schenkt uns allen damit
ein besonders schönes Osterei: Vom Eise
befreit sind Strom und Bäche, Unser
Mittagessen bekommen wir gegen halb eins, wieder in einem ausreichend großen
Restaurant, wieder ein riesiger Laden mit unzähligen Sitzplätzen, von außen
kann man die Größe des Ladens gar nicht erkennen. Heute gibt es für
jeden, der möchte, nach der Suppe eine ganze Forelle auf ein paar Erbsen. Über
einen Mitreisenden erfahre ich, daß es lt. Jürgen wohl gestern eine
offizielle Reisewarnung für Syrien gegeben haben soll und daß die
Grenzen nach Syrien geschlossen worden sein sollen. Da sind wir ja gerade
noch rechtzeitig rausgekommen. Glück muß man haben. Ein
paar Reisende sprechen immer häufiger davon, daß die Abteile durchaus
etwas sauberer sein könnten. Jetzt
höre ich schon von einem zweiten Paar, daß man sich hier sehr
alleingelassen fühlt. Es gibt einfach viel zu wenige Informationen von
„oben“. Ich empfinde es genauso. Warum erhalten wir nicht mehr Infos? Unsere
Zeit wird knapp, um zwei Uhr sitzen wir schon wieder im Bus und halten
noch kurz in Avanos an einer Brücke über den Kizihrmak, den mit ca. 1.300 km
längsten Fluß der Türkei. Der „rote Fluß“ ist heute nicht
rot, sondern ganz normal grau wie jeder Fluß. Die Gänse und Enten auch
nicht, denen wir in Ruhe zusehen können, die sind auch ganz normal.
Avanos ist eine Töpfer- und Keramikstadt, aber keiner von uns will hier
etwas kaufen. Dieser Stopp ist eigentlich unnötig. Ein versprochener
Fotostopp vorher wäre mir und ein paar anderen Mitreisenden und
Mitreisedinnen lieber gewesen. Sibel
nennt das ganze hier eine „lunarische Landschaft“. Wir waren viel zu
kurz hier, vielleicht fahre ich noch einmal hierher. Ich habe von Plänen
meiner österreichischen Freunde gehört, demnächst mit den Motorrädern
hierherzufahren… Wein
wächst hier reichlich. Ich komme ja aus einer Weinanbaugegend, aber hier
sind im Gegensatz zu unseren Rebstöcken alle Zweige ratzekahl
abgeschnitten, nur die nackten kahlen Stämme gucken zurzeit noch aus der
Erde, keine gespannten Drähte, einfach nichts. Der Weinanbau ist hier
offenbar erheblich leichter als bei uns. Zumal der Boden meistens völlig
flach und eben ist. Die wärme- und feuchtigskeitsspeichernden Lavasteine
sind bestimmt sehr nützlich für einen ergiebigen Wein. Natürlich
regnet es schon wieder auf der halbstündigen Fahrt zum Bahnhof Baska Brü
(Bogdazköprü), aber wir haben ja auch April. Um halbvier laufen wir
schnell über den Schotter zum Zug und in unsere Abteile. Sibel
verabschiedet sich erst einmal und fliegt im Flugzeug zurück in ihre
Heimatstadt Istanbul. Ingrid
hält uns den Rest Ihres Vortrages über die fünf Säulen des Korans im
Speisewagen. Die Lautsprecheranlage gibt immer wieder Anlaß zu
Beanstandungen, sodaß sie schließlich ausgeschaltet bleibt. Eine
Autobahn läuft lange neben uns her. Udo berichtet mir von einer viel schöneren
Ballonfahrt. Einer, bei der die Passagiere oft die Felsen (fast) berühren
konnten. Nach Ingrids Vortrag bittet die Ärztin, endlich alle
Liquidationen bei ihr zu bezahlen. Die
Landschaft wird jetzt wieder hügeliger, sanfte grüne Hügel und
dazwischen große Getreidefelder. Dazu passen die vielen riesigen silbrig
glänzenden Siloanlagen entlang der Bahnstrecke, die durchaus mit
amerikanischen Betrieben konkurrieren könnten. Hier hinter Kayseri gibt
es auch moderne Lichtsignalanlagen. Hier werden lange Strecken der Gleise
komplett erneuert. Die Türkei tut etwas für ihre
Eisenbahn-Infrastruktur. Eigentlich fast bis Istanbul liegen neue Schienen
und Betonschwellen neben unserem Schienenweg und warten auf ihren Einbau
oder sind bereits verlegt. Alte morsche Eichenschwellen sind oft neben
unserer Strecke aufgestapelt. Alle Bahnhofsgebäude sind immer noch
einheitlich gelb gestrichen. Es ist unser letzter Abend, deshalb wird das
Trinkgeld für das Bahnpersonal eingesammelt, mindestens 30 Euro soll
jeder Passagier geben. Rätselhaft:
Unser Zug stoppt ständig für längere Zeit, jetzt am späten Nachmittag
auch wieder, obwohl gar kein Gegenzug kommt. Die Sonne sagt uns leise Gute
Nacht und wir stehen noch immer in der Pampas. Die Lichter in dem kleinen
Dorf gegenüber, jenseits eines kleinen Baches, gehen nach und nach an.
Draußen wird es dunkel – und wir stehen noch immer, nein, stimmt
nicht, wir sind zwischendurch hundert Meter vorgefahren. Auf freier
Strecke, pünktlich um 19 Uhr gibt es Abendessen. Wieder gibt es eine
Flasche Rotwein pro 4er‑Tisch, gratis, von der Reiseleitung
gesponsert. Wir stehen noch immer. Was ist nur los? Keine Information von
der Reiseleitung dringt zu uns durch. Das Signal ganz vorne bleibt stur
auf Rot. Um 20:45 Uhr geht es endlich wieder weiter, bis zum nächsten
Bahnhof, wo wir weiter warten müssen. Von der Reiseleitung kommt nur die
dünne Durchsage, daß wir zwei Stunden Verspätung haben – bis jetzt.
Da gehe ich lieber schlafen. Um
1:45 Uhr neuerlicher Stopp. Wir halten im Hauptbahnhof Ankaras. Die türkische
Hauptstadt ist doch ein großer Unterschied zur jordanischen oder gar
syrischen. Auf dem Perron, uns direkt gegenüber, steht ein (in Spanien
gebauter) blitzsauberer, nagelneuer eleganter
Hightech-Hochgeschwindigkeitszug YHT (HT65000) der türkischen Bahn,
ich kann ihn lange betrachten. TCDD-Baureihe
HT65000 – Wikipedia Unschwer
zu erkennen, wir sind jetzt endgültig zurück in der Zivilisation.
Ministerpräsident Erdogan scheint ein Segen für die Türkei zu sein. Auf
jeden Fall tut er offenbar alles, um sein Land voranzubringen, hört man. |