Tag
13 Ostersonntag,
24. April 2011 Frohe
Ostern! Heute ist Ostersonntag. In
der Nacht fuhren wir noch bis Adana, einer großen Stadt im Süden der Türkei.
Hier blieben wir im Bahnhof bis kurz nach sieben Uhr stehen. Alles sauber
und ordentlich da draußen, mit Freude sehe ich, daß wir zurück auf der
Erde sind. Endlich wieder grüne saubere Bäume und schöne Blumen.
Saftiges Gras. Endlich eine vergleichsweise saubere intakte Stadt. Endlich
jemand, der den Boden auf dem Bahnsteig kehrt, obwohl der Bahnsteig schon
sauber ist. Die gewohnte kleine Dampflok steht vor dem Bahnhofsgebäude. Um
7 Uhr stehe ich auf, Frühstück im Zug. In der Nacht hat es etwas
geregnet, jetzt ist es immer noch bewölkt und kühl draußen. Später,
nach der Weiterfahrt, gaukelt mir ein typischer Metro-Markt vor, schon
wieder zu Hause in Deutschland zu sein. An
der Wand im Gang hängt der veraltete Tagesplan von gestern; er wird erst
gegen zehn Uhr ausgewechselt. OK, es ist ja Feiertag. Schade: Es regnet
schon wieder. Regentropfen klopfen an mein Fenster. Und fließen herunter
wie Tränen. Und verderben mir die Fotos. Fährt
die Landschaft an uns vorbei oder fahren wir durch die Landschaft? Auf
jeden Fall ist das hier Fernsehen de luxe, geradezu mit Kulturanspruch,
wie auf Arte. Ein Film mit langsam wechselnder Kulisse. Eigentlich
sieht die Landschaft draußen wie bei uns in Deutschland aus. Leichte Hügel,
dahinter Berge, das Amanusgebirge, von Wolken und manchmal sogar von
Schnee gekrönt. Kleine Dörfer. Wenn nur die vielen Moscheen nicht wären.
Ab und zu Tunnel, (siebenunddreißig sollen es insgesamt sein), Brücken
und Viadukte, von denen es immer mehr werden. Schafe. Ziegen. Pinienwälder.
Dazwischen lockern einzelne Olivenbäume die Landschaft auf. Ein
angenehmer Ausblick und eine angenehme Art des Reisens. Wenn nur nicht überall
viel so viel Müll herumläge. Doch ich will nicht unzufrieden oder gar
miesepetrig sein. Türken sind aber auf jeden Fall die besseren Araber. (Hätte
ich vorher nicht gedacht…) Beim
Frühstück verteilt die ältere Dame, Frau Luchs, mit der ich mich schon
ein paar Mal gut unterhalten habe, angeschmolzene Schokoostereier an
einige Mitreisende. Leichter Dunst liegt über der Landschaft; die Sonne
fehlt mir. Saubere und ordentliche Schilder mit der jeweiligen
Kilometer-Angabe und ebensolche senkrechte Telegrafenmasten mit intakter
Leitung fallen mir auf. Wie schon gestern Abend schlängelt sich unser Zug
mit langsamer Fahrt an steilen Berghängen entlang und gibt oft weite
Ausblicke in tiefe Täler preis. Ich kann es bestätigen: Wir Deutsche
haben gute Arbeit abgeliefert. Und die bis zu 35.000 Arbeiter auch… Während
ich, im Speisewagen sitzend, versuche, ein paar der prachtvollen Ausblicke
wenigstens auf meine innere Speicherkarte zu brennen, unterhalten sich die
Leute lieber über Politik, deutsche Politik. Wir
sind unterdessen längst im Taurusgebirge. Die angekündigte Fahrt auf dem
Wurmfortsatz bis an die Endstation in Mersin am Mittelmeer wurde leider
auch gecancelt, leider auch ohne weitere Erklärung, obwohl ich dort doch
herzliche Grüße unseres Schwiegersohns hätte abgeben sollen.
Bedauerlich: Immer mehr kleine und große Programmpunkte fallen weg. Draußen
sieht es inzwischen aus, als führen wir durch die Schweiz. Hohe Berge
sehen ernst auf uns runter. In grauen Felswänden krallen sich leuchtend
gelb blühende grüne Ginsterbüsche fest. Saftiggrüne Ficusbäume gibt
es hier, viel höher als in Deutschland. Wegen der vielen Regentropfen an
den Scheiben sind keine vernünftigen Fotos des lauthals angekündigten
schönsten Streckenstücks möglich. Zwei
Gegenzüge warten am kleinen Bahnhof Hacikiri auf uns. Vorne ein
Personenzug, direkt dahinter ein längerer Containerzug, der erst noch
etwas vorfahren muß, damit wir an der Weiche auf unsere eingleisige
Strecke zurück können. Danach schlüpfen wir schon wieder in den nächsten
Tunnel, die sich jetzt überhaupt ständig abwechseln; einer folgt dem
andern, dazwischen oft nur ein paar Meter Luft. Eigentlich könnte man
sagen: Ein Tunnel gibt dem andern die Klinke in die Hand. Oder nein, diese
Metapher paßt nicht und ich lasse sie lieber weg. Nach
den verregneten Bergen sind wir inzwischen auf einer weiten sonnigen
Hochebene. Eine neue elegant geschwungene Autobahn verläuft schon länger
parallel zu unserer Trasse, zusammen mit einer Landstraße. Es geht immer
weiter leicht aufwärts. Die Vegetation liegt hier oben noch deutlich zurück. Von
immer mehr Kranken höre ich. Ich habe noch immer Glück und bin noch
immer von allen Darmproblemen verschont geblieben. Mir geht es anhaltend
gut. Längst
haben alle Leute ihre Reisepässe zurück, die türkische Grenzkontrolle
war nicht spürbar. Schade,
auch hier wird in den Dörfern Müll verbrannt, trotz vieler kleiner Müllcontainer.
Udo und Barbara laden mich in ihr Luxusabteil nach hinten zum Plaudern
ein. Schön hier, sieht doch deutlich komfortabler aus. Alles schönes
dunkles poliertes Holz, die bequemen Betten sind jetzt zu komfortablen
Sitzbänken zurückverwandelt, zwei weitere bequeme Stühle mit Armlehnen,
ein ordentliches Badezimmer. In jedem Abteil eine eigene Notbremse. (Ich
kann mich jetzt nicht mehr erinnern, in unseren Waggons überhaupt eine
einzige gesehen zu haben.) Und, eigentlich am wichtigsten: Zwei große
saubere Fenster, mindestens eines läßt sich weit aufschieben. So sind
korrekte Fotos möglich. Nicht wie bei mir da vorne mit Riesenverrenkungen
durch einen winzigen Spalt des schmalen aufgekippten Oberlichts… Hier
lasse ich es mir gefallen: Zwei Großbild-Fernseher, an denen die
Landschaft vorbeifährt. Mit einem Wort: Bequem und komfortabel! Warum
habe ich diese Kategorie nicht gebucht? OK, war wegen des unverschämt
hohen Zuschlags wirklich zu teuer für einen einzelnen Reisenden. Hier
hinten hat auch die gesamte Reiseleitung Quartier bezogen. Ist ja klar.
Auch hier, wie im gesamten Zug, ordentliche Namensschilder an den Türen.
Längst ist es wieder wolkig/sonnig. Kleine
Städte gibt es, „ordentliche“ Fabriken und Industriebetriebe,
leichter Wohlstand, Geschäfte, manchmal sogar geteerte Seitenstraßen,
das Schlimmste haben wir hinter uns. Einige Bergspitzen im Nordwesten sind
immer noch schneebedeckt. Mittagessen
gibt es um zwölf, natürlich ist es wieder viel zu laut im Speisewagen.
Heute gibt es den Fisch, den es eigentlich letzten Freitag hätte geben müssen.
Erneut wird es regnerisch. Ob wir Morgen unsere geplante Ballonfahrt
machen können? Viel Getreide wird hier auf der Hochebene angebaut. Störche
sieht man herumstehen. Und wunderschön rosablühende Mandelbäume. Eines
fällt mir besonders störend im Zug auf: Die Leute quatschen
ununterbrochen über frühere Reisen in Namibia, Vietnam, Kambodscha,
Russland und was weiß ich und auch über alles andere, ohne dabei auch
nur einmal rauszuschauen. Schade, „Perlen vor die Säue geworfen“,
nennt man das, glaub‘ ich. Hier
eine weitere Nachlässigkeit der Reiseleitung: Ich muß unserer Ärztin
eine Seite aus meinen Reiseunterlagen herausreißen, damit sie überhaupt
eine Preisliste für ihre Honorare hat. Bei dieser Gelegenheit sieht sie
zum letzten Mal nach meiner Wunde, alles OK, ich brauche mir keine Sorgen
mehr zu machen. Wieder mal Glück gehabt. Ich weiß gar nicht, ob ich noch
gegen Tetanus geschützt gewesen wäre. Jetzt
höre ich, daß die Türen zwischen den Waggons gefährlich sind und
unbedarfte Reisende „beißen“ können, ein paar Leute haben schon mehr
oder weniger schwere Blessuren durch automatisch zufahrende Türen
erlitten. Unsere
Fahrt führt an Yesilhisar vorbei. Nach wie vor ist unsere Strecke
eingleisig und wir müssen gelegentlich anhalten und Gegenzüge
vorbeilassen. Einmal müssen wir deutlich länger warten. Grund: Ein Auto
wurde auf dem Gleis von unserem Vorzug angefahren, ich sehe später noch
das zerquetschte Auto, einen Abschleppwagen und Polizei unmittelbar an der
Strecke stehen. Wir
sind jetzt längst in Anatolien. Am Bahnhof Incesu stoppen wir um 14:40 Uhr
und müssen wieder mit leichtem Gepäck aussteigen. Es gab keine
ordentliche Ankündigung dafür, einer steigt aus und immer mehr Leute aus
unserem Zug folgen ihm dann fluchtartig über die Gleise und reichlich
Schottersteine in die bereitstehenden Busse. Unsere
neue türkische Reiseleiterin heißt Sibel und sie erklärt uns mit ihrem
eigenartigen Akzent, daß jetzt Regenzeit ist, was wir auch so deutlich
sehen können, schließlich regnet es kräftig. Ab Mai wird es heiß und
trocken. Nur 3% der Türkei liegt in Europa, der Rest, 97%, in Asien. Kann
das eine Berechtigung für die Türken sein, der EU beizutreten? Ich meine
Nein! Türken sind Asiaten und keine Europäer. Wir
fahren eine Stunde durch die Gegend, während Sibel über alles Mögliche
quasselt, langatmig und dabei die Menschheitsgeschichte und andere Dinge
nach ihren Wünschen verbiegend. Ihr Geplapper hört gar nicht auf, da war
es mit Tarif besser, gar nicht zu reden von Hassan, der stets informativ
und witzig war und von dem ich gar nicht genug bekommen konnte. Sibel erklärt
uns die gesamte türkische Geschichte, ob wir wollen oder nicht. Benzin
ist hier ausgesprochen teuer, fast zwei Euro für Benzin, Diesel etwas
billiger. Hier hat man weltweit die teuersten Benzinpreise. Trotzdem
fahren alle Leute herum, als wäre das Benzin kostenlos. Unser
Weg geht ein Stück über eine vierspurige Straße nach Nevsehir (auf
deutsch: Neustadt). Wir sind in Kappadokien. Im riesigen Freilichtmuseum Göreme
(auf deutsch: „Du siehst mich nicht!“). Früher war hier den Christen
von den Arabern das Beten verboten worden. Deshalb haben die Leute seit
dem neunten Jahrhundert Höhlen in den weichen Tuffstein geschlagen und
konnten dort wohnen und beten. Tuffstein? Tuffstein ist „verfestigte
Asche“. (Diese gibt es, wo es früher Vulkane gab. Auch in meiner Nähe,
in der Eifel, wo man früher Steine daraus gemacht und sehr stabile Häuser
damit gebaut hat.) Daher die Wohnhöhlen und Höhlenkirchen hier überall.
Aha, und deshalb der ungewöhnliche Name. Es sollen über 200.000 Höhlen
sein. (Wer will sie gezählt haben?) Und viele unterirdische Höhlenkirchen
soll es geben. Hier
hat der Tuffstein kegelförmige Berge gebildet. In diesen konnte man früher
vergleichsweise einfach die Gänge und Höhlen heraushauen. Nach oben und
tief nach unten. Unsichtbar für die bösen Araber, die die frühen
Christen ständig geärgert haben. Im Laufe der Zeit sind die äußeren Wände
durch die Erosion abgebröckelt und überall sind die Wohnhöhlen dadurch
sichtbar geworden. Sie sehen fast aus wie Schweizer Käse. Nach
Bezahlung des Eintritts steigen wir runter, durch enge, ganz enge niedrige
verwirrende Gänge. Damit man sich nicht verirrt, sind überall rote
Pfeile für den Weg nach unten und blaue Pfeile für den Weg zurück nach
oben aufgemalt. Tief und steil geht es hinunter, dabei wollte ich doch gar
nicht zum Mittelpunkt der Erde. Hier herrscht ein wirres Durcheinander,
wieder alle möglichen Sprachen, Menschen vieler Nationalitäten, einer
schiebt den anderen, jeder versucht bei seiner Gruppe zu bleiben, wieder
viele Asiaten, dann unsere fünf Gruppen, die sich nicht vermischen sollen
– und Blödnasen, die sich trotzdem noch an einem vorbeidrängen müssen.
Auch hier ist es von Vorteil, klein zu sein. Endlich wieder einmal. Kommt
ja sonst nicht so oft vor. Wir müssen alle ganz tief gebückt durch die
steilen Gänge kriechen. Aua, größere Leute stoßen sich gerne immer mal
wieder den Kopf. Sensible und klaustrophobe Menschen bekommen hier
bestimmt heftige Platzangst. Heiß
wird es einem hier drin, manchmal riecht es trotz der Luftschächte
unangenehm nach Körperschweiß. Alle Klamotten sind feucht oder sogar naß. Ich
bin sehr erleichtert, als wir endlich wieder draußen in Freiheit sind.
Also, das hätte ich nicht haben müssen, den Eintritt hätte ich mir
sparen können. Auf dem Weg vom Bus hierher hat es stark geregnet. Hanni,
meine schweizerische Bekannte, hat mir dankenswerterweise einen Schirm
geliehen und ich möchte ihr hier noch einmal herzlich danken. Zwei
Schirme dabei und doch keinen zur Hand. Das muß ich auf der nächsten
Reise ändern. Kartoffeln,
Zwiebeln, Getreide werden hier angebaut. Dazu natürlich überall wieder
Schaf- und Ziegenherden. Aprikosenbäume blühen zurzeit. In
den Höhlen, die hier besichtigt werden können, darf natürlich niemand
mehr wohnen. Es gibt aber auch noch viele bewohnte Höhlen oder Höhlen,
die zum Lagern von Obst und Gemüse verwendet werden. Die Leute knüpfen
hier Teppiche mit besonders kräftigen Farben, um das viele Grau der Höhlen
etwas zu verschönern. Gut
finde ich, daß fast jedes Haus Sonnenkollektoren auf dem Dach für die
Warmwasserbereitung hat. An
den berühmten Kegelfelsen und Feenschornsteinen kommen wir vorbei. Die
meisten Sehenswürdigkeiten Kappadokiens sind hier auf engem Raum
verteilt. Schade, daß es gar nicht aufhören will zu regnen. Ich glaube,
daß wir auch an der Felsenburg von Uchisar vorbeigekommen sind. Wie
jeder Tourist auf Türkeifahrt müssen auch wir eine Teppichknüpferei
besuchen. Die erste hat zu, schließlich ist heute Ostern und Sonntag.
Aber die zweite ist trotz des regnerischen und späten Nachmittags noch geöffnet.
Wir bekommen die üblichen vier, fünf Mädchen an den Webstühlen präsentiert,
die übliche Tasse Tee oder Kaffe – und die übliche Teppichvorführung.
Im Nu sind hunderte Teppiche in mehreren Lagen vor uns aufgerollt, alles
sehr professionell, wie immer. Ich schaue mit großem Vergnügen dabei zu.
Dann tauchen aus allen Richtungen die Verkäufer auf. Ich bin erleichtert,
daß die Türen wieder geöffnet und wir herausgelassen werden, ohne daß
wir etwas gekauft haben. Halt, ich muß mich korrigieren, zwei Leute
fehlen im Bus, wir können noch nicht abfahren. Tatsächlich, die beiden
haben einen Teppich auf die Schnelle bestellt. Es war so von ihnen geplant
und sie hatten die Maße parat. Der Tag ist für die Teppichfirma
gerettet. Wir andern müssen deshalb noch ein paar wenige Minuten warten. Kurz
darauf sind wir im Hotel Dinler, ein T-förmiger Riesenkasten. Ich wohne
immerhin im 4. Stock mit schöner Aussicht auf die Stadt, wenn ich sie
auch morgen früh nicht werde bewundern können. Das Hotel hat angeblich fünf
Sterne, obwohl es kein Bidet (zum ersten Mal seit Petra) im Bad gibt. Die
Schlüssel werden diesmal ausnahmsweise rasch verteilt, es gibt nur den üblichen
Stau an den Aufzügen, die gerne schonmal nicht abfahren, wenn sie zu
schwer beladen sind. Acht große Reisebusse stehen vor dem Hotel und ständig
kommen noch neue dazu. Das Hotel hat seine beste Zeit schon lange hinter
sich, es ist deutlich runtergekommen und eine Renovierung ist dringend
erforderlich. Ganz erbärmlich sind die Fußleisten anzusehen. Im großen
Außenpool ist kein Wasser. Schade, die andern sind bestimmt wieder in
einem ihrer doofen Wohlfühlhotels, diesmal soll es sogar ein Felsen-Wohlfühlhotel
sein… Im
Fernseher gibt es diesmal immerhin schon zwei deutsche Programme, ZDF und
SAT1. Und sogar ein amerikanisches… |