Dienstag,
16. November 2010 |
Schade,
bei meinem letzten Aufenthalt gab es hier im Haus noch ein herzhaftes Frühstück.
Jetzt als Motel 6 gibt es nur noch Kaffee. Da frühstücke ich doch lieber
wieder gegenüber im Farmers Boys. Dach
auf und los, denn das Beste gibt‘s zum Schluß: Heute kommt noch eine
Lieblingsstraße, die 2, der Angeles Crest National Scenic Highway, der
sich durch die San Gabriel Mountains schlängelt. Im Internet habe ich
unterwegs nochmal nachgesehen, er ist noch immer bzw. schon wieder
zwischendrin gesperrt. Das hält mich aber nicht davon ab, ihn heute mal
von dieser Seite zu befahren und zwar so schnell wie möglich. Die Sitze
im Mustang sind ja erprobt und für gut befunden. Die Kurven können also
gar nicht eng genug sein; sie spenden mir wirklich reichlich Spaß. Kein
einziges Auto muß überholt werden und wegen der Sperrung begegnet mir
auch keins. Nur gut, daß niemand neben mir sitzt und rumjammert. Dann die
einzige Begegnung (der merkwürdigen Art): Ein einsamer Schneepflug kommt
mir entgegen. Ein Schneepflug?! Weit und breit liegt kein Schnee!
Halluziniere ich schon? Aber er war tatsächlich echt, vielleicht mußte
er Geröll wegschieben. Das ist dann aber wirklich das allereinzige
Fahrzeug in dieser Stunde. „Freude am Fahren“ – hier paßt der
Spruch. Der Fahrspaß überwältigt mich. Auch ein Mustang verleiht Flüühüüügel!
Ich kann wirklich fliegen! Ich könnte vor Freude in die Hose pinkeln. Die
Straße wurde ganz allein für mich aus dem Berg gehauen.
Ich
bin mit größtem Vergnügen erneut ganz allein im Universum unterwegs!
Ich bin ein intergalaktischer Zeitreisender mit einem Körper aus glänzendem
Chrom, mit todbringenden Laserpistolen - und mit einem riesigen Schwanz
aus rostfreiem Stahl! Ich bin für immer unsterblich! Ich bin ganz einfach
der Größte! Die
geneigten Leser erkennen es unschwer, und ich bitte, diese mentale
Entgleisung und Überschätzung meiner selbst zu entschuldigen:
Adrenalin und Endorphine schütten mich massenhaft zu. Adrenalin
wird in der Nebenniere gebildet und bei Belastungen ausgeschüttet. Seine
Hauptfunktion ist die Anpassung des Herzkreislaufsystems und des
Stoffwechsels an stressbedingte Belastungen. Adrenalin steigert u.a. die
Pulsfrequenz, das Herzminutenvolumen und den Blutdruck. Durch die Ausschüttung
des Adrenalins werden Zucker und Fette für
den höheren Energiebedarf bereitgestellt. Über erhöhte Atemfrequenz
wird der für die Energiegewinnung in den Zellen benötigte Sauerstoff zur
Verfügung gestellt. Endorphine sind körpereigene Drogen. Sie werden in Extremsituationen
vom Körper selbst produziert. Sie verschaffen eine wohlig-glückliche
Stimmung bis zur Ekstase, (regen den Schlaf an) und erhöhen die
Wahrnehmung. Damit haben sie eine vergleichbare Wirkungsweise wie körperfremde
Opiate. Endorphine sind die Glückshormone des Körpers. Ich
habe Glück: Fünfzig Kilometer kann ich so ungestört, ohne Zwischenfall
und wie ein Irrer durch die Gegend rasen, ohne Zeit für Fotos - bis die
blöde Sperre am Mount Wilson mir den Weg blockiert. Ein paar Arbeiter
sind zu sehen und ich erkundige mich bei ihnen nach dem Grund der
Sperrung. Die Straße ist (schon wieder) verschüttet. Letztes Mal war
eine Brücke zerstört gewesen, jetzt sind es Erdrutsche. Diese Straße
ist offenbar ständig irgendwo unterbrochen. Faustgroße Steine lagen oft
auf der Fahrbahn, ich mußte beim schnellen Fahren ordentlich aufpassen.
Die fehlenden letzten dreißig Kilometer kenne ich ja schon, es ist also
nicht so schlimm.
Ich
wende und fahre ein paar Meilen zurück, dann kann ich die einzige
vorhandene Nebenstraße runterfahren. Sie heißt später Angeles Forest
Highway und schenkt mir auch nochmal reichlich viel Freude. Erneut habe
ich Glück, ein Sheriff begegnet mir, als ich zufällig „normal“
fahre. Er läßt mich unbehelligt. Ich fahre die Straße „just for
fun“ (nur zum Spaß) bis ans „falsche“ Ende, wende, und sause die
gesamte Straße zurück und weiter bis Sunland, einem kleinen Vorposten
von Los Angeles. Eigentlich
wollte ich es ja schon viel früher tun, aber erst jetzt gibt es eine
Gelegenheit dazu: Das Auto sieht inzwischen unheimlich schmutzig aus und
der Mustang muß einfach dringend gewaschen werden! Vorne an der Stoßstange
jede Menge toter Insekten, an der Seite und hinten reichlich viel Staub.
Auf dem Dach mehrere Kleckse von dem, was Vögel ausscheiden. Die Prozedur
ist dann auch rasch erledigt, schade, daß ich es nicht viel eher gemacht
habe, jetzt sieht das Auto endlich wieder vernünftig aus und ich bekomme
morgen bei der Rückgabe keinen Ärger.
Hier
in Sunland komme ich gleich auf die Autobahn I 210 und dann auf die I 10.
Hundert Meilen weit muß ich auf der meist mindestens vierspurigen
Autobahn mit viel Verkehr mitschwimmen, was natürlich wenig Spaß bringt,
aber ich bin ja befriedigt.
Als
Nachtisch habe ich mir noch zwei kleine Straßen ausgesucht: Die erste ist
die 243, der Banning Idyllwild Panoramic Scenic Highway durch den San
Bernardino National Forest. Er windet sich ebenso steil wie elegant in die
Berge hinauf. Ruckzuck bin ich schon wieder auf 7.000 Fuß. Solche Straßen
können die Amis mindestens ebenso gut wie Österreicher oder Schweizer in
die Berge schlagen. Eine Gruppe getarnter und überklebter Autos (Erlkönige)
kommt unverhofft an mir vorbei.
Am
Lake Fulmor, einem fast spiegelglatten See, der mir deswegen schon beim
letzten Mal aufgefallen war, halte ich diesmal kurz zum Fotostopp an. Auch
hier hüpfen mir ein paar Erdhörnchen vor den Füßen herum. Leider habe
ich schon wieder nichts zum Füttern dabei.
Es
verblüfft mich immer wieder, wie leer die Straße ist und daß mich kein
dummer Schleicher behindert. Denn überholen wäre hier reichlich riskant.
Natürlich wird es wieder saukalt, aber das Dach bleibt diesmal auf! Wenn
ich mich jetzt erkälte, ist es nicht mehr schlimm. Dann,
hinter Hemet und Lake Elsinore, nehme ich die 74, den Ortega Highway.
Meine zweite und allerletzte Nachspeise heute und überhaupt. Hier kommt
mir eine einzige unendlich lange Autoschlange entgegen, während ich lange
Zeit alleine die Kurven und den Berg hinuntersausen kann. Ich fürchte
schon, daß die Autobahn unten gesperrt ist und der Verkehr umgeleitet
wird, weil mir so viele Autos entgegen kommen, was aber nicht der Fall
ist, es sind tatsächlich nur Leute, die da unten zwischen L.A. und S.D.
arbeiten und jetzt alle nach Hause wollen.
Es
wird gerade dunkel, als ich in San Juan Capistrano kurz anhalte und mein
Dach schließe, um dann auf die I 5 Richtung Süden ins Orange County
abzubiegen, aber nicht in das von „OCC“, die sind im US-Staat New
York. Was jetzt kommt, stellt sich als der blanke Horror heraus. Wie fast
alle Tage schmerzen natürlich auch heute wieder meine Augen. Heute war es
besonders unangenehm. Aber jetzt habe ich vierspurig stundenlangen zähflüssigen
Verkehr vor und hinter mir, ich mittendrin, ein einziger Lindwurm, mit
entsprechend gleißend hellen rubinroten Rück- und Bremslichtern vor mir,
die dauernd an- und ausgehen, und noch schlimmer, mit hundsgemeinen
strahlendweißen Scheinwerfern hinter mir. Am niederträchtigsten sind die
der unzähligen überdimensionierten Pick‑Ups, denn die sind viel höher
als der Mustang und bohren mit größter Freude ihre hundsgemeinen
grausamen tödlichen Scheinwerfer-Laserstrahlen aus der Höhe direkt schräg
nach unten über die drei Rückspiegel direkt in meine qualvoll
schmerzenden Augen. Erschwert und „bereichert“ wird das Ganze als i-Tüpfelchen
durch die entgegenkommenden vier Spuren mit entsprechendem weißem
Scheinwerferlicht auf der anderen Seite. Gesunden Augen tut das alles
schon nicht gut… Einziger
Balsam in dieser Situation ist dann die Mormonen-Kirche, die ich am ersten
Tag schon bewundert habe und deren makelloser weißer Marmor (?), jetzt im
Dunkeln strahlend hell und überaus eindrucksvoll beleuchtet wird und mir
gerade Ertrinkendem wie ein Fels in der Brandung Trost und Kraft spendet.
(Oder ist das alles nur eine Plastikfassade oder gar nur mit
Kunststofffarbe angestrichen??)
Mein
Hotel, das vorher gebuchte Howard Johnson Inn in San Diego ist etwas
schwer zu finden, denn seine Leuchtreklame ist kaputt oder ausgeschaltet.
Das Navi sagt, daß ich gerade dran vorbeigefahren sein muß. Da ich noch
volltanken muß, will ich an einer der Tankstellen fragen. Das gestaltet
sich aber als schwieriger als erwartet. Die erste Tankstelle (am/pm) nimmt
grundsätzlich keine Kreditkarten. Die zweite (Chevron) ist taghell
beleuchtet aber trotzdem geschlossen; sämtliche Tanksäulen sind mit
einem dünnen gelben Band umschlossen. Die dritte und teuerste (Shell)
verlangt jedesmal eine PLZ und nimmt nach entsprechender Eingabe doch
keine meiner Kreditkarten an. (Auch die sonst manchmal hilfreiche
„90210“ erweist sich hier als nicht nützlich.) Ich muß reingehen und
eine Karte hinterlegen. Der Chef (ein großer dickbäuchiger angsteinflößender
Neger) kommt beim Bezahlen zufällig aus seinem Büro heraus und ich frage
ihn nach dem Howard Johnson Motel. Klar, ist ja logisch, er weiß es
nicht, er besitzt die Tankstelle erst seit zwei Tagen! Aber, so kann man
sich täuschen, er telefoniert mit jemandem und gibt mir dann ein paar
hilfreiche Hinweise. Merkwürdig:
Viele lebendige nackte Frauen („Live Nude Women“) werden hier in San
Diego Downtown angepriesen. Das paßt gar nicht zu meinem sauberen
USA-Bild. (Wo sind eigentlich die lebenden nackten Männer?? Gibt es hier
keine Gleichberechtigung?) Das
Howard Johnson ist reichlich alt und schäbig; es kostet ja auch „nur“
72 Dollar. Ich hatte es ausgesucht, weil es in der Nähe des Flughafens
ist. Aber immerhin, zum wirklich allerersten Mal sehe ich leibhaftig in
einem amerikanischen Motel eine Handbrause mit Schlauch, genau wie man sie
bei uns hat. Sonst sind hier die Brauseköpfe grundsätzlich immer fest
oben an der Wand montiert. |