Freitag,
16. Juli 2010
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Truthähne
kommen an den Futterplatz vor dem Fenster, sonst herrscht hier oben
absolute Stille, keine Autos, keine ohrenbetäubenden Harleys, gar
nichts. Ein Truthahn wäre übrigens auf Wunsch Benjamin Franklins
beinahe das Wappentier Amerikas geworden, aber zum Glück ist es dann ja
doch noch der Weißkopfseeadler geworden; der macht sich da ja nun
wirklich besser als die potthäßlichen Truthähne.
Heute
ist Autocross. Craig und ich haben uns dafür angemeldet. Unten am Rande der
Stadt ist ein Platz abgesperrt und ein Parcours
mit Cones
(Pylonen) abgesteckt. Diesen gilt es, so schnell wie möglich
zu durchfahren. Für umgefahrene Pylone gibt es natürlich
Strafsekunden. Letztes Mal war ich gar nicht mal so schlecht, wurde aber
zwei- von dreimal disqualifiziert, weil ich den Weg irrtümlicherweise
nicht richtig gefunden hatte. Heute ist ein weißer Strich auf dem
Platz, dem ich nur nachzufahren brauche.
‚Das wird einfach’ denke
ich so vor mich hin. Aber es dauert und dauert - und dauert. Um kurz
nach acht sind wir da, um eins bin ich mit der letzten Gruppe endlich
dran. Bis dahin muß ich in sengender Sonne (über 100° F) ohne
irgendeine Sitzgelegenheit ausharren. Naja, ein bisschen Schatten und
einen Platz auf der ausgeklappten Rückwand eines Anhängers finde ich
dann. Und kostenloses Wasser gibt es auch. Dreimal muß man fahren, die
beste Zeit wird gewertet. Ich will es kurz machen, ich fahre eine ganz
gute mittlere Zeit heraus und bekomme auch keine Strafsekunden
aufgebrummt. (Dieses Mal kommen alle drei Fahrten von mir in die
Wertung.) Obwohl es heute idiotensicher ist, werden doch wieder
reichlich Leute disqualifiziert. Ich hätte durchaus auch eine bessere
Zeit herausholen können, aber es widerstrebt mir einfach, ein fremdes
Auto, dazu eine so hervorragend erhaltene Corvette, immerhin ist sie über
zwanzig Jahre alt, in dieser Hitze zu sehr zu quälen.
Ein
dicker alter gehbehinderter Mann nimmt auch am Autocross teil; er kann
kaum aus dem Auto aussteigen. Erst er drei Runden, später dann seine
(ich bitte herzlich um Entschuldigung, aber es stimmt nun mal) besonders
häßliche Frau. Sie fahren eine sauteure ZR1. Dieses Auto hat
mindestens 600 PS und kostet drüben 110.000 Dollar. Nicht, daß ich es
den beiden nicht gönnte, aber genügte da nicht auch eine ganz normale
Corvette zum halben Preis und mit bestimmt immer noch ausreichenden 400
PS…? (US-Preise: C6
50.000 $, Z06 75.000 $,
ZR1 110.000 $. In Deutschland unverschämt viel mehr.) Wir
treffen uns danach mit unseren anderen Freunden zum Frühstück bei Subway und ich bekomme
endlich, endlich um kurz vor zwei etwas zu essen. (Ich war kurz vor dem
Verhungern.) Gut, OK, ich wollte ja auch etwas abnehmen. (Obwohl, ich muß
nicht wirklich abnehmen, ich habe ja schon lange einen
Super‑Waschbrettbauch –
gleich unter meiner Speckschicht…) Viele
GoldWing-Trikes fallen mir auf, eigentlich auf der gesamten Tour, es
werden auch jedes Jahr mehr. Hier in Sturgis ist übrigens ihre (Lehman-)Fabrik. Beim
Losfahren, ich schau wirklich nur noch schnell ein paar Sekunden nach
Chromteilen bei einem Corvette-Händler, sind die andern doch schon
wieder weg. Schon wieder? Ja, schon wieder!! Was sind denn das für
Torfnasen?! Ich warte ein paar Minuten, habe aber auch keine Lust, mich
so verarschen zu lassen. OK, denke ich, wenn sie mich nicht zum Devils
Tower mitnehmen wollen, mache ich das Beste draus. Ich besorge mir erst
einmal noch etwas zum Trinken, fahre ein paar hundert Meter in die
Stadt, trinke einen Kaffee und fahre dann zum Haus rauf. Ich könnte
auch rüber nach Sturgis fahren, entscheide mich aber dagegen, es ist
viel zu heiß. Ja, es ist das berühmte „Sturgis, S.D.“, aber jetzt,
außerhalb der Bike Week ist
da sowieso nichts los, es ist die allermeiste Zeit des Jahres in
Wirklichkeit nur ein kleines unbedeutendes Kaff, viele Geschäfte sind
meistens geschlossen. Zum
Glück ist die Haustür unverschlossen, jeder könnte rein, aber niemand
Böses war da. Erst einmal eine Dusche und Ausruhen – und ein
Nickerchen. Insgesamt wird es der erholsamste Nachmittag auf der ganzen
Reise. Ich merke jetzt ganz deutlich, daß ich etwas erschöpft bin und
doch etwas Ruhe brauche, die Tage hier in Amerika waren anstrengend. Mir
fällt ein: So sind die Amis halt, jeder ist best
friend, aber dann fahren sie einfach los, ohne auf einen zu warten.
Da sind wir Deutschen ja doch etwas korrekter und fürsorglicher,
jedenfalls einem Gast gegenüber. Aber so wird das erst einmal
Unfreundliche ausnahmsweise zu etwas Positivem. Trotzdem, auch jetzt fühle
ich mich etwas unsicher hier im Haus, jeden Moment könnte jemand der
Familie auftauchen und mich fragen, was ich hier suche... Zwei
Sachen fallen mir besonders auf: So luxuriös das Haus ist, die
Badearmaturen hier und überhaupt in den USA sind doch stets deutlich
einfacher und primitiver als bei uns. Zwei Drehgriffe sind es meistens,
Einhebelmischer kennt man hier kaum, einen Dusch-Schlauch schon gar
nicht, den habe ich überhaupt noch nie in den USA gesehen, die Brause
ist immer fest oben an der Wand angebracht. Und im Übrigen ist alles
etwas größer als bei uns: Waschmaschine, Trockner, Kühl- und
Eisschrank-Kombination (weiß man ja auch aus den Filmen), Herd, (hier
gleich zwei übereinander), Mikrowelle, sogar der Toaster. Alles hier
hat XXL-Format. Auch
hier im Haus werden alle Räume von der Klimaanlage gekühlt, Bad,
Keller, Garage, Klo, teilweise sogar die Schränke, unglaublich, so eine
Energieverschwendung. Umweltbewußtsein gibt es hier in Amerika immer
noch nicht. Ich dagegen freue mich wie ein Schneekönig, daß ich nachts
sogar zwei Fenster aufschieben kann. Am
frühen Abend kommen Craig und Laurel sowie Dick und Linda, um mich zum
Abendessen abzuholen. Zu ihrer Ehrenrettung muß ich sagen, daß sie
bestimmt ein ganzes Stück „unnötig“ gefahren sind, nur um mich zu
suchen und abzuholen. Wir fahren rüber nach Wyoming, Brent und Brenda
warten hier schon auf uns.
Zum
Abendessen bekomme ich ein hervorragendes, ebenso zartes wie saftiges Buffalo T-Bone-Steak, also vom Büffel. Vor
dem Schlafengehen sitzen wir noch auf „meinem“ Balkon und schwatzen,
dazu kann ich endlich mal wieder eine Zigarre rauchen. Weil es keinerlei
Aschenbecher im Haus gibt, bekomme ich es aber etwas mit der Angst zu
tun, denn falls ich hier durch meine Zigarre einen Brand auslöste, bekäme
ich wahrscheinlich reichlich Ärger. Deshalb beschließe ich, hier am
Haus keine Zigarre mehr zu rauchen, muß ja nicht sein. |