Samstag,
13. November 2010
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Heute
Nacht fuhr mal kein Zug durch mein Zimmer. Keine Bahnlinie weit und breit.
Überhaupt war es geradezu unheimlich ruhig. Total ungewohnt. Ich konnte
meinen eigenen Haaren beim Wachsen zuhören. Draußen
sind es 12°F! Das sind weniger als minus 11 Grad Celsius!
Bibber, bibber. Aber die Gasheizung hat ihr Bestes gegeben und sich
angestrengt, mein Zimmer und meine Wenigkeit zu verteidigen und die größte
Kälte nicht durchs leicht geöffnete Fenster reingelassen. So klar wie
die Luft hier oben ist, so klare Träume hatte ich heute Nacht. Die
gläsernen Perrier-Wasserflaschen im Kofferraum sind tatsächlich alle
komplett eingefroren! Aber nicht geplatzt! (Ja, OK, deren
Inhalt.) Ich
vermisse eine Sitzheizung im Auto, die Sitze sind eiskalt! (Ich gestehe:
Ich bin halt ein Warmduscher – und ein Warmsitzer! Deshalb habe ich
heute Morgen auch schon klugerweise auf eine Dusche im eiskalten
Badezimmer verzichtet.) Hoffentlich frieren meine A…backen nicht am
Leder fest! Wir sind zweieinhalbtausend Meter hoch.
Frühstück
im gestrigen Café. Gegenüber gäbe es auch eins, aber ich bin ja treu,
solange ich zufrieden bin. Ich
tanke das Auto ganz gegen meine Gewohnheit voll, obwohl eigentlich noch
genug Benzin drin wäre. Aber es gibt jetzt erst einmal eine einsame Straße,
die 191, schon wieder eine meiner Lieblingsstraßen in Amerika. Heute
fahre ich sie endlich mal in umgekehrter Richtung, dadurch ist sie ganz
anders als beim letzten Mal. Überraschung:
Meine Freundin, die 191, begrüßt mich in den Waldstücken erst einmal
mit festgefahrener Schneedecke! Und reichlich Eis auf der Fahrbahn! Aber
das gibt sich bald wieder und ich komme in etwas wärmere Gefilde.
Heute
fahre ich in der „richtigen“ Richtung, nach Süden runter, und habe
deshalb die Abgründe meistens rechts – und wunderschöne Ausblicke mit
entsprechender Fernsicht. Die Straße ist sehr schmal und hat meistens
keine störenden Leitplanken. Dazu endlich wieder Kurven, viele, viele
Kurven und es geht erneut dauernd steil rauf und runter. Amerikanischen
Autofahrern, die ja bekanntlich nicht fahren können, wird teilweise eine
Geschwindigkeit von höchstens 10 mph (16 km/h) angeraten. Da muß
ich mich natürlich nicht dran halten und genieße meine Fahrt. Der Straßenbelag
ist durchweg griffig - und rauh wie die Handfläche eines Bauarbeiters.
Heute lasse ich mir vom Sirius-Radio Bluegrass-Music vorspielen.
Wieder
sehe ich stundenlang kein Auto, keinen Menschen. So muß man sich als
einziger Überlebender nach einem Atomkrieg fühlen. Abgründe tun sich
vor und neben mir auf. Wirklich: Auf hundertzwanzig Kilometer fast keine
einzige Leitplanke. Wenn man hier die Straße verpaßte, ginge es ein paar
hundert Meter abwärts. Höhenangst sollte man hier also besser nicht
haben. Endlich mal wieder Bäume, hauptsächlich Nadelwald. Ein
„Kollege“ begegnet mir, in einer schnell fahrenden Corvette. Normale
Amis meiden diese Straße wie der Teufel das Weihwasser, sie können nur
geradeaus, nur Straßen ohne viele Kurven fahren. Am
Ende der 191 führt die Straße mitten durch die Morenci-Mine, links und
rechts erneut Abgründe. Hier wird vor allem Kupfer gefördert, aber auch
Edelmetalle. Der Krater ist inzwischen noch mehr gewachsen. Und der war
vor zwei Jahren schon gewaltig. Man fährt da auf einem Grat mitten durch
und staunt über solch enorme Erdbewegungen. Auch heute, am Samstag, wird
hier gearbeitet. Wie so oft in Amerika.
Ich
komme wieder durch Safford, wo ich schon vor ein paar Tagen war. Aber es
gibt hier unten nie viel Auswahl bei den Straßen, deswegen fahre ich so
oft über mir bereits bekannte Straßen und durch viele bekannte Orte.
Endlich: Hier wird Sonnenbrille # 5 erworben; sie hat oben und unten
noch dunklere Felder als in der Mitte. Hier
ist übrigens ein großes Anbaugebiet für Baumwolle. Sie wächst mit
dicken Wattebäuschchen an kleinen niedrigen braunen Büschen und wird
(nach derer künstlichen Entlaubung) von schweren Maschinen geerntet.
(Leider sind die Maschinen offensichtlich noch stark verbesserungswürdig,
denn es bleiben ganz schön viele der weißen Baumwoll-Flöckchen unter
den Büschen liegen.) Die Baumwolle wird gleich an Ort und Stelle zu
Ballen gepreßt und in sehr großen schneeweißen rechteckigen
Zehn-Tonnen-Blöcken direkt an den Feldern gelagert. Und weil es hier
zurzeit so gut wie nie regnet, genügt es, die Blöcke mit einer Plane
obenherum abzudecken. (Übrigens: Baumwolle ist einjährig und muß jedes
Jahr neu gesät werden.)
Nordwestlich
führt der Weg über die eintönige 70 nach Globe. Unterwegs möchte ich
mal wieder eine kleine schmale Straße (3) zu einem Staudamm (Coolidge
Dam) nehmen. Ein Schild weist auf den schlechten Zustand der Straße hin,
sie wird kaum oder gar nicht instand gehalten. Das hält mich aber nicht
davon ab, sie zu benutzen. Viele Steine und unzählige Schlaglöcher gibt
es. (Man müßte lange suchen, um eine derart schlechte Straße in Amerika
noch einmal zu finden.) Es holpert reichlich und der Mustang knarzt
widerwillig; er mag die Straße nicht. OK, ich lasse mich dann doch nach
zehn Meilen von ihm überreden, zu wenden. Habe ich bisher noch nie
gemacht. Wenn ich hier mit Reifenschaden liegenbliebe, käme
wahrscheinlich tagelang niemand vorbei, um mir zu helfen – oder würde
mich ermorden, oder, noch schlimmer, ausrauben… Inzwischen
bin ich längst wieder in der Wüste mit vielen Kakteen in einem der
vielen Indianer-Reservate mit entsprechendem Spiel-Casino. Mein Dach hielt
ich heute den ganzen Tag geschlossen, es war mit höchstens 60° F einfach
zu kalt zum Offenfahren. Am Abend gibt es in Casa Grande ein
zufriedenstellendes Best Western; Fenster geht auf. Das Zimmer kostet 84 $
und konnte von mir kräftig runtergehandelt werden. Abendessen gibt’s
heute im McDonald‘s. |