¡
Fiesta Mexicana! |
Düsseldorf
Airport, Freitag Abend, 6. März 2009. Gutgelaunt und voller Vorfreude
auf meine bevorstehende Reise stelle ich mich am Lufthansa-Schalter zum
Late Night Check-in ein. Doch der berühmte Super-GAU steht mir bevor!
„Ihr Flugzeug ist heute morgen gestartet! OHNE SIE!“ sagt mir doch
die Lufthansa-Mitarbeiterin ganz kühl ins Gesicht und zieht mir damit
geradezu den Boden unter den Füßen weg! Natürlich spinnt sie! Oder
ihr blöder Computer! Oder alle beide! Ich sehe in meinen Unterlagen
nach: Sie hat leider recht! Offensichtlich habe ich Schlafmütze mir den
Reisetermin falsch im Terminkalender notiert und später nicht mehr überprüft!
Ich dachte immer, das gibt es nur im Film, aber jetzt erlebe ich den GAU
persönlich! Flugzeug weg, mein teurer schöner Sitzplatz in der
Business-Class weg, Geld weg, meine Reisegruppe weg und bereits
unterwegs nach Mexiko, ohne mich, alles aus! denke ich. Beißt mich
jetzt der berühmte Herzinfarkt?! Doch
die LH-Mitarbeiterin tröstet mich: „Das kommt öfters vor, als Sie
denken, Sie sind da nicht der erste und bestimmt auch nicht der Letzte,
wir sehen mal, was wir da machen können“. Das Wichtigste: Es gibt den
gleichen Flug am nächsten Vormittag, meinen schönen Sitzplatz bekomme
ich auch, sogar wieder am Fenster, Wirtschaftskrise sei Dank, denn früher
waren die Flieger nach USA oft ausgebucht. Allerdings: Die Umbuchung
kostet Geld. 100 Euro. Ich telefoniere mit dem Reiseveranstalter, der
jetzt so spät abends doch tatsächlich noch erreichbar ist. Auch von
dort grünes Licht: „Nicht schlimm, Sie hätten doch morgen, Samstag,
in Los Angeles einen Tag zur freien Verfügung gehabt. Ihre Gruppe fährt
erst übermorgen los, am Sonntag!“ Mein
Ärger ebbt ab, mein Herz schlägt wieder langsamer, mein Puls
normalisiert sich, mein Blutdruck sinkt und ich komme auf den Boden zurück.
Den Herzinfarkt verschiebe ich auf später – viel später. Inzwischen
können Ingrid und ich schon über meine Blödheit lachen. Besonders
Ingrid. Ich eher noch etwas verkniffen. Trotzdem, nichts passiert, alles
noch mal gutgegangen! Die
Lufthansa-Lounge am nächsten frühen Morgen am Airport in Düsseldorf
ist etwas dunkel und spartanisch eingerichtet. Trotzdem freue ich mich,
ihr mal wieder meinen Besuch abstatten zu dürfen. Nach der
Gesichtskontrolle werde ich doch tatsächlich von den
LH-Mitarbeiterinnen reingelassen. Im
Flieger nach Frankfurt/Main sitze ich in den vorderen Reihen und bekomme
Brötchen und Softdrinks spendiert. Und dabei bin ich doch satt. Die
andern Passagiere weiter hinten erhalten nichts. Nach sehr kurzen 30
Minuten landen wir schon in Frankfurt. Das dauert sonst erheblich länger. Dann
durch die Sicherheitskontrolle. Sie ist lästig wie immer. Zum Glück
keine besonderen Vorkommnisse. Schnell eine kleine Stange Zigarillos im
Duty Free und dann das richtige Gate suchen. Dort ist alles OK, es wird
keine Verspätung angezeigt. Hier
in Frankfurt sieht die LH-Lounge deutlich besser aus, wenn sie auch
wieder, wie immer in Frankfurt, total überfüllt ist. (Wer weiß,
irgendwann werde ich mal First Class fliegen, denn da gibt es bestimmt
keine Überfüllung in der Lounge.) Ich wundere mich schon wieder drüber,
wie sich diese vielen Menschen den immens teuren Business-Aufschlag
leisten können – oder haben die alle nur Meilen gesammelt und lösen
sie jetzt ein? Ausgerechnet heute? Egal, ich erfreue mich am Aufenthalt
hier so gut es in dem Gedrängel möglich ist. Schade, daß Ingrid
diesmal nicht dabei ist, sie genießt das hier immer ganz besonders. Leider
bleibt mir nicht viel Zeit, denn nach einer dreiviertel Stunde muß ich
schon in den Jumbo nach Los Angeles einchecken. Aus dem Fenster blickend
bin ich wie immer fasziniert, wie die kleinen Gepäcktransporter und überhaupt
die vielen Fahrzeuge auf dem Flughafenvorfeld hin- und herwuseln, jeder
scheint genau zu wissen, wo er hin muß und was er zu tun hat; alles
funktioniert hervorragend – geradezu reibungslos. Wie die berühmten
Zahnräder im Uhrwerk. Wir starten pünktlich um 9:45 Uhr. Während
ich alle Tasten zur Verstellung meines Sitzes ausprobiere und mich dabei
in meinem komfortablen Sessel herumfläze und die reiche Verköstigung
und das umfangreiche Infotainment der freundlichen LH genieße, frage
ich mich wie so oft in den vergangenen Tagen „war es wirklich gut,
diese Reise nach Mexiko zu unternehmen?“ Vorab habe ich mich schon über
die wichtigsten Dinge des täglichen Alltags in Mexiko im Internet und
vor allem auch bei informiert
(sehr informativ und bestens zu empfehlen). Trotzdem denke ich immer
wieder darüber nach, ob es richtig war, meinem Wunsch nachzugeben und
in diesem „gefährlichen“ Land ausgerechnet auf einem Motorrad
herumfahren zu wollen, denn es scheinen dort tatsächlich allerlei
Risiken und Gefahren auf mich zu lauern. Das Schlimmste, was man in
Mexiko falsch machen kann, ist übrigens, sich mit Alkohol am Steuer
oder gar Drogen erwischen zu lassen, wobei von beiden auch kleinste
Mengen garantiert schwerste Probleme nach sich ziehen. (Mexikanischer
Knast ist bekanntermaßen in hohem Maße unerfreulich!) Aber
auch einfach nur Wasser zu trinken, soll oft schon große
Infektionsgefahren mit sich bringen. Deshalb wird überall ständig und
gebetsmühlartig empfohlen, nur versiegelte Flaschen zu kaufen, keine
Salate und kein ungeschältes Obst oder Gemüse zu essen, also einfach
genauso wie in allen tropischen Ländern handeln. Nach dem berühmten
Motto: „Schäl es, brat es, koch es – oder vergiß es!“. Also auch
kein offenes Eis essen. Die gleiche Gefahr können Eiswürfel
beinhalten. Oder das Wasser aus dem Hahn fürs Zähneputzen. Dann
die schlechten Straßen! Oder böse Menschen! Oder, oder, oder! Ich bin
mal gespannt, ob die Tour wirklich eine mexikanische Party wird, wie der
vorher von mir ausgewählte Titel dieses Reiseberichts es eigentlich
verspricht… Im Internet habe ich
von Bandenkriminalität und Polizistenmorden gelesen, vom Anstieg der
Kriminalitätsrate ( 2009 dreimal so hoch wie in den Vorjahren),
Korruption, Prostitution, bettelnde Kinder, mit allen Negativa da drum
herum; Mexiko ist allgemein sehr unsicher geworden. US-Marines,
die in San Diego stationiert sind, dürfen wegen vieler Morde an
US-Soldaten und daraus resultierender Sicherheitsgründe nur noch unter
strengsten Auflagen und nur noch in Gruppen nach Tijuana rein; nach
Bagdad sollen sie leichter reinkommen. Außerdem
wird vor Nepperei und Schlepperei gewarnt. Einige Reiseveranstalter
haben deshalb sogar schon geplante Mexiko-Reisen storniert. Bei
EagleRider konnte ich schon gar kein Motorrad für die Baja California
mieten. Den übersandten
Reiseunterlagen entnahm ich hingegen folgende eher beruhigenden
Hinweise: Obst
und Gemüse wird organisch angebaut, weil Chemie viel zu teuer ist. Hühner
laufen meistens frei herum. Alles schmeckt daher etwas ungewohnt. Trinkwasser
ist im Gegensatz zum „Festland“ auf der kompletten Baja-Halbinsel
„sauber“. Bier
schmeckt vorzüglich und kommt dem deutschen Gerstensaft überhaupt sehr
nahe. (Naja, „Corona“ trinke ich ja sowieso ganz gerne.) Das
Essen ist weder scharf noch überhaupt ungenießbar. Ganz im Gegenteil,
alles ist sehr schmackhaft und hygienisch einwandfrei. Auch an den Straßenständen,
die dem Vernehmen nach öfters kontrolliert werden. Zum
Straßenverkehr: Verkehrsregeln gibt es, werden aber oft sehr
„individuell“ ausgelegt. (Dazu später noch mehr von mir…) Stoppschilder
und Tempolimits werden meistens nicht beachtet. (Sollen wir aber lieber
nicht nachmachen.) Überhaupt
gibt es in Mexiko keine der bei uns üblichen Verkehrsregeln, es wird
nach Gefühl gefahren, was im allgemeinen ganz gut funktioniert. Auf
unseren Motorrädern sollen wir allerdings eher großzügig nachgeben
und lieber mal abbremsen oder gleich auf den rechten Straßenrand
fahren. Die
Straßen können besonders an Steigungen oder nach Regenfällen rutschig
werden. Die
Straßen sind Lebensraum für Tiere und Menschen; sie sind meistens
daran gewöhnt, bei Hupzeichen die Straße gemächlich zu verlassen. Um
die ärztliche Versorgung muß man sich nicht sorgen, alles ist auf dem
neuesten Stand der Schulmedizin. Warum
tu ich mir das eigentlich an? frage ich mich schon wieder. Was will ich
eigentlich auf so fremdem Territorium? Doch ich möchte mich mal mit
Orten und Landschaften beschäftigen, die nicht jeder mehr oder weniger
zwangsläufig kennt – einen Streifzug in die „Terra incognita“
machen, obwohl mir alle Freunde vor dem Eindringen in die mir feindlich
gesonnene Umgebung dringend abgeraten haben. Und nicht nur die, alle
weiteren virtuellen Informanten haben dies mehr oder weniger direkt bestätigt. Für Mexiko spricht:
Die pure Lust auf Abenteuer! Und: Ein paar Wochen vor Fahrtantritt habe
ich mich endlich überwunden und auf meine alten Tage doch tatsächlich
noch einen neuen Führerschein beantragt. Und ein Wunder ist geschehen,
gerade noch rechtzeitig, zwei Tage vor Reiseantritt, habe ich die neuen
Unterlagen ausgehändigt bekommen! Die Zeit des grauen Lappens,
inzwischen 46 Jahre alt, mit einem wunderschönen Jugendfoto von mir,
auf dem ich höchstens 16 Jahre alt und damals bestimmt noch unschuldig
war, ist nun endgültig vorbei; er ist herzlos getötet (sprich
entwertet) worden! Gleichzeitig habe ich
auch noch den Internationalen Führerschein mitbestellt, weil dieser in
Mexiko zwingend vorgeschrieben sein soll. Bisher gab es auf meinen
USA-Reisen immer das Risiko, daß mein uralter grauer Führerschein Übersetzungsprobleme
hätte verursachen können. Jetzt habe ich erst einmal drei Jahre Ruhe,
bis der Internationale Führerschein schon wieder abgelaufen ist. Von
daher sollte es also keine Schwierigkeiten geben. Deshalb: Soll das
alles umsonst gewesen sein? Nein! Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Und
daher geht es jetzt auch endlich los! Mittags, pünktlich
um 12:30 Uhr Ortszeit, landen wir nach fast zwölf Stunden Flugzeit in
Los Angeles. Von Kanada bis Las Vegas hatten wir meist eine mehr oder
weniger geschlossene Schneedecke unter uns. Mein Freund Craig aus den
USA schreibt mir immer wieder von einem ebenso strengen wie langen
Winter, also wie bei uns. Sonst gibt es nicht besonderes vom Flug zu
vermelden. Da ich wieder mal
ganz vorne im Flugzeug sitze, kann ich sehr schnell aussteigen und bin
auch wieder einer der allerersten Leute an der Immigration. Leider hat
das vor Reiseantritt obligatorische neue ESTA-Verfahren übers Internet
real nichts Neues bewirkt. Die bekannten weißen und grünen Karten müssen
nach wie vor ausgefüllt werden. Neu ist, daß jetzt alle zehn Finger
auf den Scanner gelegt werden müssen, einzeln und nacheinander. Die
Prozedur ist, wie in letzter Zeit immer, schnell durchlaufen, darüber
meckere ich schon lange nicht mehr. Mein Gepäck kommt auch bald und ist
auf Anhieb vollständig. Zuhause
sitzt der Winter noch auf seinen fetten vier Buchstaben herum und will
nicht weichen, und der Frühling tänzelt immer nur unentschlossen
herum; hier werde ich dagegen ausgesprochen freundlich von frühsommerlichen
Temperaturen empfangen, während ich auf den
Shuttle-Bus zum Hotel warte. Der Bus kommt bald und nach ein paar
Minuten sind wir dort und ich checke ein. Ich frage danach und erhalte
auch ein sehr schönes Einzelzimmer in einer höheren Etage im Süd-Tower
mit schöner Aussicht. Beim Einchecken gibt man mir einen kleinen
Merkzettel in die Hand: Heute nacht wird die Uhr eine Stunde
vorgestellt. Ich finde das witzig, weil ich ja auf meiner letzten Tour
(„Ein Quantum Lust“) am letzten Reisetag (1./2.11.2008) hier in L.A.
bereits die Nacht mit der Umstellung auf Winterzeit erlebt hatte. Es überrascht mich
eigentlich nicht, daß die volle unbenutzte Rei-in-der-Tube-Tube im
Koffer mit den Kleinsachen restlos ausgelaufen ist und alles schlimm
verschmiert hat. Ich bleibe einfach cool und locker und wasche alles in
Ruhe ab. „Wenn sonst nichts schlimmes mehr kommt…“ beruhige ich
mich. Dann lege ich mich erstmal aufs Bett, auf meiner inneren Uhr ist
es immerhin bereits Mitternacht. Ein Anruf weckt mich.
„Hier ist Thomas, ich bin Dein Zimmergenosse“ meldet sich ein Typ
mit holländischem Akzent. Merkwürdig, denke ich, immerhin habe ich ein
teures Einzelzimmer für die gesamte Reise bezahlt. Ich gehe runter zur
Lobby und da steht auch meine zukünftige Reisegruppe und erwartet mich:
Fünf Holländer und zwei Deutsche. Es stellt sich heraus, daß Thomas
ein zweiter Tour-Guide ist und sich die Tour fürs nächste Mal ansehen
möchte. Er spricht mich mit „Sie“ an und wird das die Tour über
meistens beibehalten, ich zum Spaß auch. Ich will hier kein
Theater machen und gebe wegen des Zimmers nach. D.h., daß ich jetzt
alle Nächte mit einem fremden Zimmergenossen verbringen muß. Schade, hätte
es nicht ein weiblicher Guide sein können? Den schon bezahlten
Einzelzimmer-Zuschlag soll ich später zurückbekommen. Thomas hilft
mir, mein Gepäck zu holen und wir beziehen ein nicht mehr so schönes
Zimmer mit zwei getrennten Betten unten im Altbau. Am frühen Abend
kommt ein großer Van des Motorrad-Vermieters und holt uns ab. Da stehen
ja unsere Pferde schon, alle als Motorräder verkleidet, leider sind sie
aber noch nicht ganz fertig. Es dauert lange, bestimmt über eine
Stunde, bis wir endlich losfahren können. Im Gegensatz zu sonst ist die
Übernahme letztendlich sehr einfach, geradezu lässig-locker. Es werden
keine Schäden an den Motorrädern umständlich festgehalten und es
werden auch keine Führerscheine oder Pässe kontrolliert. Ein Formular
mit den nötigsten Angaben wird ausgefüllt, das ist alles. Fertig.
Internationalen Führerschein also erstmal umsonst besorgt und bezahlt. Der Van fährt die Reise über mit und wird unsere Koffer transportieren. Außerdem wird ihm ein Anhänger mit einer Ersatz-Harley angehängt. Dann sausen wir auf unseren neuen Mopeds zum Hotel zurück; inzwischen ist es längst dunkel. Gegenüber im Sizzler’s essen wir noch zu Abend und gehen bald darauf schlafen; alle sind müde. Unser Hotel soll unglaubliche 640 Zimmer haben! |