Montag, 16. Oktober 2006

Waterloo – Kirksville, 360 km

Nass und kalt, aber es ist trotzdem schön.

Schon früh am Morgen bin ich wach, denn heute geht es endlich richtig los!! Ich ordne schon mal mein Gepäck für nachher. Es regnet. Craig holt mich wieder ab. Er wohnt zwar nur um die Ecke, aber er lässt mich nicht laufen.

Jetzt heißt es Abschiednehmen von einem sehr guten Freund. Es fällt mir schwer und ich würde am liebsten hier bleiben, doch die Harley ruft laut und deutlich nach mir. Craig bietet mir noch an, wegen des Regens einen Tag länger zu bleiben und stattdessen lieber mit dem Auto seiner Tochter Katarina ein bisschen in der Gegend herumzufahren, aber die Harley war mit 800 $ ganz schön teuer, also muss und will ich sie jetzt auch endlich fahren.

Ich schiebe sie rasch aus Craigs Shop, nehme endgültig Abschied von einem wahren Freund und fahre rüber ins Motel. Dort quetsche ich meine Siebensachen in die beiden Seitenkoffer und ins Topcase, fahre los und halte erstmal bei McDonalds, um dort zu frühstücken. Es ist elf Uhr vorbei, als ich endlich abfahre. Es nieselt jetzt nur noch, aber es ist immer noch sehr kalt.

Ein komisches Gefühl beschleicht mich: Jetzt bin ich tatsächlich die nächsten vier Tage zum ersten Mal ganz allein auf amerikanischen Landstraßen unterwegs, ohne rechtes Ziel, das Wetter ist schlecht und ich weiß nicht, was da noch alles auf mich zukommt.

Die Straße ist schnurgerade.

Erneut endlose Maisfelder. Keine Bäume, keine Dörfer, keine Berge, nichts. Ab und zu ein kleiner Schlenker nach rechts oder links, ich muss auch schon mal richtig abbiegen, jedoch grundsätzlich immer geradeaus, genau nach Süden runter. Ich fahre einfach mal in diese Richtung. Meine ursprüngliche von Craig ausgearbeitete Tour in den Norden habe ich auf nächstes Jahr verschoben. Ein paar Mal sehe ich eine dieser altmodischen schwarzen Amish-Kutschen an den Straßenrändern entlangfahren.

Hier auf dem Land sind über die Hälfte aller Fahrzeuge bullige „Trucks“ = PickUps, vorne eine meist viertürige Doppelkabine und hinten eine offene flache Ladefläche. Allermeistens PS-starke Diesel mit Allradantrieb.

Weil mir der Name so gut gefällt, fahre ich Richtung Oskaloosa

und immer weiter südlich. An einer Tankstelle kann ich zum ersten Mal meine Kreditkarte nicht an der Tanksäule benutzen, sondern muss (genau wie bei uns) tanken und dann ganz normal innen bezahlen. Das ging so noch nie, ich musste sonst immer vorher erstmal einen Geldbetrag hinterlegen. Hier im Mittleren Westen ist man offenbar sehr vertrauensvoll.

Auf einem der wenigen Wegweiser lese ich den Ortsnamen

Montezuma

und muss da natürlich unbedingt gleich mal durchfahren. Er war mir bisher immer freundlich gesonnen und hat mir nie gezürnt; deswegen erweise ich ihm hier gerne meine Reverenz. An einem Bahnübergang komme ich ein paar Sekunden zu spät an und darf zehn Minuten warten, bis ein endlos langer Güterzug durchgefahren ist.

Nachmittags regnet es noch immer leicht,

die Straße glänzt wie eine Eisbahn. Inzwischen habe ich jede Menge Wasser in den Stiefeln, das vom Vorderrad aufgewirbelt wird und oben an der Lederhose in die Stiefel hinein läuft. (Ja, ein Wunder, auf dieser Tour habe ich tatsächlich dicke Jacke, Lederhose und Stiefel an! Wer mich von meinen USA-Reisen her kennt, weiß, dass ich sonst immer nur mit T-Shirt, Jeans und Sandalen fahre…) Hätte ich vorhin doch nur nach dem Tanken meine Regenhose übergezogen! Alles an mir und in mir ist nass und kalt und überhaupt mal wieder am Erfrieren.

Vor einer Stunde habe ich die Grenze nach Missouri passiert.

Reise 2006_2

Nass, alles nass und kalt.  
Rechts und links sind Fahrstreifen für die Amish-Kutschen.

 

Ich suche dringend nach einem Unterschlupf und endlich, endlich, kommt Kirksville mit jeder Menge Motels. Ich suche nicht lange rum und steure gleich das erste an.

Im Zimmer nehme ich erstmal eine ausgiebige lange heiße Dusche.

(Ich versuche ja stets sehr energiebewusst zu leben, aber hier müssen es einfach mal ein paar Minuten mehr sein.) Dann mein gesamtes nasses Equipment ausschütten, ausklopfen oder auswringen, anföhnen und an Lampen, Stühlen, Bügelbrett und einfach überall zum Trocknen aufhängen. In strömendem Regen, (mittlerweile wieder gutgelaunt - meine dünne Regenjacke habe ich ja immer mit dabei), gehe ich rüber nach Wal-Mart auf der anderen Straßenseite, um etwas zum Essen einzukaufen. Doch das ist hier für einen einzelnen Mopedfahrer gar nicht so einfach, denn hier gibt es von allem nur Großpackungen. Schnell wird mir klar, das wird hier nichts und ich gehe nebenan zum Aldi. Dort kriege ich endlich ein paar gute Sachen in kleinen Größen für mein Abendessen. Bier allerdings nicht, auch hier nur Six-Packs.

Das Wetter für morgen wird vom Weather Chanel als durchwachsen angekündigt. Na, das wird ja noch lustig werden.

 

Dienstag, 17. Oktober 2006

Kirksville – Camdenton, 320 km

Auf und nieder, immer wieder, ach was ist das schön!

Erstaunlicherweise sind alle Sachen am nächsten Morgen wieder absolut trocken. Sogar die Stiefel. Ich packe rasch, nehme das vom Hotel angebotene Continental Breakfast zu mir (und das hält dann bis zum Abend) und fahre los. Die Straße ist feucht, aber es regnet wenigstens nicht mehr und bald wird es sogar mit um die 40° F etwas wärmer und erträglicher. Unterwegs versuche ich, endlich mal die total falsche Uhrzeit am Radio-Display einzustellen; als Erfolg habe ich bis zur Moped-Rückgabe gar keine Anzeige mehr im Display. Gut, dass ich ausnahmsweise mal eine Armbanduhr mitgenommen habe.

Und jetzt beginnt mein Motorrad-Urlaub, denn endlich ändert sich auch die Straße!!

Jede Menge schöner Kurven

und Auf und Abs, wie ich sie so sehr liebe. Unten in den Wellen werde ich in den Sattel gepresst und oben etwas aus dem Sitz herausgehoben, ich muss nur immer etwas Gas dazugeben. Hui, das macht Spaß! Und es hört gar nicht auf damit. Ich freue mich über so viel Glück, zufällig eine so schöne Straße gefunden zu haben. Auf der Karte konnte ich es jedenfalls nicht erkennen, alle Straßen sahen da gleich langweilig aus.

 

Reise 2006_2

Auf und ab, das macht so richtig Spaß

 

Und so schön bleibt es dann auch den ganzen Tag! Ich habe unendlich viel Fahrspaß. Ich fahre immer recht flott, aber auch so, dass es mir immer noch Spaß macht. An solch eine Fahrweise ist bei uns gar nicht zu denken.

Leider gibt es hier fast nichts zu überholen. So leer ist die Straße.

Nur das gewohnte Fotografieren während der Fahrt ist jetzt nicht mehr so einfach wie sonst auf der GoldWing. Da der Tempomat fehlt, muss ich mit links und dann auch noch mit Handschuhen, die so dick sind, dass sie für eine Mt. Everest-Besteigung geeignet sind. Da ist es schwierig, den Auslöser zu finden und zu drücken.

Unterwegs in Boonville überquere ich den Missouri-River, (der übrigens in St. Louis in den Mississippi mündet – ich wusste das jedenfalls noch nicht) und finde es ganz interessant, weil es mein erstes Mal ist.

Das Navi hilft mir prima, meinen Weg zu finden.

Ein paar Mal muss ich zwar mein Ziel und die Zwischenziele ändern, doch es führt mich prima. Da, schon wieder eine Brücke über den Missouri. Halt, die kenn ich doch! Ach du Sch…, jetzt führt mich das Navi doch den selben Weg zurück! Irgendwie muss sich vorhin ein falsches Zwischenziel eingeschlichen haben. Na ja, kann ja mal vorkommen, ist nicht so schlimm, die Straße macht ja so viel Spaß, der Weg ist schließlich das Ziel, schnell ändern, und schon geht es auf der gewohnten Weise weiter durch Missouri. Nachmittags kommt sogar die Sonne etwas heraus. Ich will schon die dicke Jacke gegen die Jeansjacke tauschen, lasse es aber dann doch lieber.

Reise 2006_2

Nur gut, dass Selbstauslöser erfunden worden sind

 

Abends nehme ich mir ein Zimmer in einem Motel in Camdenton am Lake of the Ozarks, einem riesigen romantischen und sehr verästelten Seengebiet. Ich habe dieses Motel ausgesucht, weil ich hier

Sitzplätze vor den Zimmern

erspäht habe und weil ich dann endlich mal wieder in Ruhe eine Zigarre rauchen kann. Ich bekomme ein nettes sauberes Zimmer und ein riesiges Bett mit geblümter, wunderbar duftender Bettwäsche. Gegenüber kann ich an einer Tankstelle ein paar Sachen fürs Abendessen einkaufen, dazu auch eine große Flasche Corona-Bier, und so wird es ein ganz gemütlicher Abend mit Sonnenuntergang, genüsslicher Zigarre und einem munteren Pläuschchen mit einem stolzen BMW GS 1100-Fahrer nach einem wunderschönen Tag mit riesig viel Freude am Fahren. Wird es so bleiben? Das Wetter soll morgen tatsächlich noch etwas besser werden…

 

Mittwoch, 18. Oktober 2006

Camdenton – Mt. Olive, 510 km

Mein schönster Tag. Ich lerne Popeye persönlich kennen. Und eine schreckliche Unterkunft.

Morgens sehe ich die Motelchefin die leeren Aluminium-Dosen der Gäste aus dem Müllcontainer herauskramen und ich erfahre dann von ihr etwas vernuschelt, dass man hier in Missouri offenbar 5 Cent für leere Aludosen zurück bekäme, was aber wohl (noch) nicht einheitlich in allen US-Staaten so gehandhabt werde. Die Sonne scheint und die Straße bleibt wunderbarerweise weiter horizontal und vertikal so schön kurvig wie gestern.

Unterwegs finde ich an der State Road 7 ein schönes Café mit dem wundersamen Namen „Simple Pleasures Ice Cream Parlor“ (wörtlich übersetzt heißt das für mich „Einfache Freuden mit Eiscreme im Wohnzimmer“ – aber bestimmt ist es ein Synonym für eine vernünftigere Bedeutung…) und erhalte da ein ausgesprochen gutes Frühstück. Und weil ich so schön drum bitte, werden mir ausnahmsweise (gibt es hier sonst nicht zum Frühstück) auch noch

grüne frittierte Tomaten

zubereitet, die ich so gerne esse.

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Hier gibt’s Frühstück

 

Und dann geht es wohlgesättigt weiter auf sonnigen wunderschönen einsamen Straßen, durch romantische bunte Laubwälder und

an verwunschenen, kleinen, glasklaren Seen vorbei,

in denen sich der wunderschöne blaue Himmel widerspiegelt, die schönste Etappe auf meiner Tour, immer weiter runter nach Süden. Der Himmel ist so einmalig blau, wie er es eigentlich nur hier in Amerika ist. Nur ganz wenige Autos, höchstens fünf, begegnen mir am ganzen Vormittag! Also purer Fahrspaß! Dazu relativ warm, nach wie vor wunderschöne Kurven und eine sehr gute Straße. Wenn es für mich ein Paradies auf Erden gibt, hier ist es! Die gelbe Mittellinie und das glatte Band der Straße, dazu unzählige Kurven und so wenig Verkehr, mehr brauche ich nicht, um glücklich zu sein. Wenn dieser Tag doch nie zu Ende ginge!!

Und dann, ich muss die Schleife ja rundmachen, geht es weiter in östlicher Richtung. Immerhin muss ich morgen Abend das Moped in Chicago zurückgeben.

Es geht immer weiter durch endlose bunte Laubwälder über freundliche Straßen durch Salem bis zum Mississippi nach Chester. Tipp: Direkt hinter der Brücke ist ein kleiner Parkplatz, an dem ich zufällig anhalte und verschiedene interessante Dinge sehe. Einmal ist in diesem Ort Elzie Crisler Segar am 8. Dezember 1894 geboren und er ist der Schöpfer von Popeye. Leider ist er viel zu früh am 13. Oktober 1938 in Santa Monica/California verstorben.

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Begegnung mit Mr. Popeye

 

Und Lewis & Clark schlugen hier ihr Lager auf ihrer Suche nach einem Weg zum Pazifik am 27.11.1803 auf, bevor sie den Fluss überquerten. Dazu eine sehenswerte imposante stählerne Fachwerk-Brücke über den Mississippi. Und dann noch ein Warnschild, dass der Zigarettenschmuggel über die Grenze nach Illinois hinein streng verboten ist. Damit man weiß, worauf man sich beim Schmuggeln einlässt, stehen auch gleich die Strafen mit drauf. (Geldstrafe 25.000 $, Gefängnis, Beschlagnahme des Fahrzeugs – lohnt sich also nicht für mich…)

Insgesamt eine sehr interessante Stelle zum Rasten.

Ab hier bin ich wieder in Illinois und jetzt fangen wieder langweilige Straßen an. Der schönste Teil meiner Reise liegt jetzt hinter mir. Ich fahre heute noch hundertfünfzig Kilometer meistens immer geradeaus zurück nach Norden. Abends regnet es wieder mal. Ich bin schon längere Zeit auf der Route 66, als ich endlich ein

Motel in Mt. Olive

entdecke. Im Halbdunkel sieht es zwar etwas heruntergekommen aus, aber es wird schon gehen. Ich bin mal wieder müde, kalt und nass.

Bei meinem abendlichen Anruf zuhause frage ich, ob ich noch eine Woche verlängern darf. Ich darf nicht. Also muss ich morgen wie geplant weiter nach Chicago. Zigarre geht hier nicht, ist viel zu kalt und viel zu nass draußen. Es gibt auch gar keine Stühle im Freien. Nach einem Blick in die Dusche verzichte ich lieber aufs Dasselbige, mache stattdessen lieber ganz schnell mein Licht aus und versuche zu schlafen. Hätte ich mir das Zimmer vorhin doch nur mal erst angesehen, ich hatte doch schon in der schmuddeligen Anmeldung so ein unbehagliches Gefühl…

 

Donnerstag, 19. Oktober 2006

Mt. Olive – Chicago, 510 km

Es liegt was in der Luft, Luft, Luft, nämlich Schnee, Schnee, Schnee. Kann ein Navi spinnen? Ich soll mein Hotelzimmer nicht kriegen. Gut, dass ich deswegen nicht explodiere.

Am nächsten Morgen stehe ich ganz früh auf und mit dem ersten Tageslicht mache ich mich ganz rasch von hinnen. Natürlich ist es wieder saukalt, gefroren und sehr trüb. Ich bin immer noch auf der berühmten „66“, nur „falschrum“, also in Richtung Chicago. Nach nur wenigen Meilen bin ich in

Litchfield

mit (natürlich) unheimlich vielen wunderschönen blitzsauberen modernen einladenden Motels in allen Preislagen, mit warmen schön eingerichteten Zimmern, bestimmt alle mit gerade frisch bezogenen Betten, spiegelnden Fliesen, blinkenden Waschbecken, einladenden Toiletten und blitzblanken Duschen! Ich hätte gestern Abend nur noch kurz durchhalten müssen. Na ja, wenigstens finde ich hier ein Café, das „Route 66 Café“. Das Frühstück ist, wie nicht anders zu erwarten, wieder prima und reichlich und die Leute hier haben auch genügend Interesse für einen ob seiner vergangenen Nacht frustrierten einsamen Reiter aus Good Old Germany. Sie wünschen mir viel Glück, leider sieht das Wetter nicht allzu gut aus, der Wetterbericht kündigte für einige umliegende Staaten Schnee an. Zum Spaß sage ich, ich müsste mich vielleicht noch nach

Schneeketten

umsehen. Doch die Leute beruhigen mich und meinen, dass die Jahreszeit noch zu früh für Schnee sei. Trotzdem mache ich mir Sorgen, ob ich mein Moped heute Abend rechtzeitig in Chicago zurückgeben kann.

Erstmal will ich zu Niehaus, einem der größten GoldWing-Händler in den USA. Er muss hier in der Gegend sein, sie kommt mir bekannt vor. Ich fahre einfach mal weiter geradeaus. Und richtig, er ist nur ein, zwei km entfernt und liegt direkt an meiner Straße, der „Historic Route 66“. Ich erstehe ein paar Teile für meine GoldWing zu Hause. Die Leute hier sind freundlich und hilfsbereit und es ist hier alles noch genauso wie schon 2002. Die 2007er GoldWing-Modelle stehen natürlich auch schon herum. Zum ersten Mal sehe ich GoldWings, die mit Navi und vor allem Airbag ausgestattet sind. Aber es gibt keine schönen Farben, nur ein ganz dunkles einfarbiges Rot, das mir nun gar nicht gefällt, Silber und Schwarz. Ich weiß nicht, ob ich mich da schon zum geplanten Kauf der neuen GoldWing entschließen kann.

Reise 2006_2

Ich, bei Niehaus

 

Mein TomTom-Navi hat zuvor nach dem Rausfahren am Motel schon rumgezickt und keinen einzigen Satelliten empfangen. Das ist jetzt immer noch so. Anscheinend ist hier auch ein GPS-unterversorgtes Gebiet, was ich mir überhaupt nicht erklären kann. Warum sollen hier nicht wenigstens ein paar Satelliten empfangen werden können? Im Umkreis von hunderten Meilen kein Baum, kein Hochhaus, kein Berg, alles nur flaches Land! Na ja, ich kann es nicht ändern, ich bin zu faul, die Karte rauszukramen und fahre daher erstmal auf die neben der Landstraße liegende Autobahn, in der Hoffnung, dass das Navi bald wieder Empfang bekommt und mich zurück auf die gewohnten Landstraßen führt. Hier in der Nähe von Litchfield sehe ich nacheinander (wirklich nicht übertrieben!)

mindestens fünf blinkende Polizeiautos am Autobahnrand

stehen und offenbar zu schnelle Fahrer abkassieren. Ich drehe daher vorerst lieber etwas zarter als sonst am Gasgriff.

Bis Springfield, fast 90 km, fällt das Navi komplett aus, bis es dann ab und zu endlich mal wieder kurz geruht zu arbeiten. Es reicht aber immerhin, um mich nach und durch Decatur auf die Landstraßen Richtung Chicago zu führen. Immer wieder setzt es aus, doch ich weiß ja, ich muss einfach nur Straßen in Richtung Norden suchen, dann komme ich schon nach Chicago. Doch wo ist Norden, wenn sich die Sonne hinter bzw. über den dicken dunklen Wolken versteckt?

Die Straßen bleiben einsam und absolut gerade. Hier stehe ich inzwischen schon an der zweiten Baustelle, aber, Sensation, kein Flagman bzw. –frau regelt den Einbahn-Verkehr, wie ich sie sonst bisher an sämtlichen Baustellen in den USA habe stehen sehen – sondern eine ganz normale funkgesteuerte Ampelregelung, wie bei uns. Schade, wenn die so ungewohnten Flagmen bald ausgestorben sein sollten.

Wieder rechts und links nur Mais, zum großen Teil geerntet. Inzwischen weiß ich, dass der Mais zu

Bioethanol

verarbeitet und dann dem Benzin beigegeben wird. An einer Tankstelle ist das mit diesem Äthylalkohol versetzte Benzin der mittleren Qualität wahrscheinlich deswegen auch billiger als das einfache, sonst immer billigere Normal-Benzin.

Reise 2006_2

Mittlere Qualität ist am billigsten

 

(Bei uns werden alle Benzinsorten deswegen teurer…) An einer weiteren Tankstelle bedauert mich die Angestellte an der Kasse, dass ich jetzt in dieser Kälte mit einem Motorrad unterwegs bin. Ich bin heute das einzige Motorrad und überhaupt seit Tagen. Na ja, mein Kakao schmeckt mir trotzdem.

Mal arbeitet das Navi, mal nicht, obwohl ich es natürlich auch immer mal wieder ausschalte und neu hochfahre. Nach wie vor alles

total ebene Landschaft,

keinerlei Hindernisse, die den Satellitenempfang vielleicht stören könnten. Fast sämtliche Straßen bleiben hier in Illinois, wie auch kürzlich in Iowa, leer, schachbrettartig schnurgerade und deswegen langweilig. So ohne Karte weiß ich nicht, wie weit ich es noch habe und mache mir etwas Sorgen, ob ich es wirklich bis zum Abend noch rechtzeitig nach Chicago schaffe.

Dann plötzlich ein seltenes Richtungsschild

mit zwei Ortsnamen, der untere ist Chicago. Chicago nur noch 76 Meilen! Ich bin also richtig und es ist auch nicht mehr weit! Super, ich bin sehr erleichtert und freue mich, obwohl es wieder saukalt ist und die Luft immer mehr nach Schnee riecht. Einzelne wenige Schneeflöckchen tanzen schon wieder in der Luft rum. Jeder Schneesturm fängt so an. Doch ich habe das Glück des Tüchtigen, es hört bald wieder auf zu schneien. Hoffentlich passiert mir jetzt zum Schluss nichts mehr…

Die letzten 40 Meilen vor der Stadt fahre ich dann auf der Interstate, das geht schneller und erspart mir den ganzen zähen Vorstadt-Verkehr. Das Navi hat sich dazu durchgerungen, mal wieder zu arbeiten und zeigt geradeaus. Der Verkehr nimmt zu, bald sind es vier und fünf Spuren in meiner Richtung. Und dann, ich sehe schon länger die wunderschöne Skyline von Chicago, fällt das Navi wieder öfter aus.

Auf dem Expressway in Chicago

 

Irgendwie finde ich aber die richtige Autobahn Eisenhower Expressway 290, an der die Harlem Avenue liegt, wo EagleRider zu Hause ist. Jetzt habe ich auch noch Feierabend-Stau stadtauswärts mit endlosem Stopp and Go-Verkehr, viele Kilometer lang. Aber, ich mache mir jetzt keine großen Sorgen mehr, es ist erst halb vier Uhr nachmittags, EagleRider hat noch bis 8 Uhr auf. Also alles im grünen Bereich.

Da muss ich auch schon raus, meine Ausfahrt geht, etwas ungewohnt, in der Mitte als Rampe zur Querstraße hoch, ich muss also links aus der Überholspur rausfahren, (rechts wäre kein Platz für die Ausfahrt gewesen - die Amis sind ja oft recht pragmatisch in ihren Verkehrlösungen), jetzt sind es nur noch 500 Meter. Ich halte zuvor noch rasch an der Tankstelle, fülle den Tank ziemlich auf, entferne die Klebebänder an Topcase und am Tank, wische die übrig gebliebenen Klebestreifenreste mit einem Benzinlappen weg und rolle lässig um halb fünf auf den Hof von EagleRider. Wieder guckt kein Schwein - niemand steht da und applaudiert mir…

 Reise 2006_2

Rückgabe bei EagleRider. Auspuffrohre sind jetzt braun.

 

Die Rückgabe erfolgt rasch und problemlos um 4.38 pm, keine Beanstandungen! Ich habe insgesamt nur 1.464 Meilen = ca. 2.350 km gefahren. Ist nicht so viel wie sonst, aber ich hatte ja auch nur viereinhalb Fahrtage. Rasch quetsche ich meine Sachen in die beiden Taschen und lasse mir wohlweislich diesmal ein

Blue Cab-Taxi

bestellen. Das ist dann auch viel bequemer als das gelbe Taxi vom ersten Tag, sehr sauber, sehr ordentlich, sehr komfortabel, ohne die blöde Trennscheibe und mit warmen Stoffpolstern. (Die „blauen“ Taxis müssen bestellt werden, in die „gelben“ darf man sich einfach reinsetzen – bei uns ist es ja ähnlich mit Taxi und Mietwagen.) Der schwarze Fahrer, Dwight, spricht deutsch, spanisch und russisch und was weiß ich noch alles. Englisch spricht er sehr deutlich und geradezu wunderbar melodisch. Er erzählt mir, dass er in jungen Jahren seine Aussprache mit Hilfe eines Tonbandgerätes verbessert hat. (Ja, ich weiß, hätte ich auch machen müssen, aber jetzt ist es dafür viel zu spät – und Tonbandgeräte gibt es schon seit Jahrzehnten nicht mehr…) Ich habe eine überaus angenehme Unterhaltung mit ihm, er spricht deutsch mit mir, ich englisch mit ihm, und so bin ich „leider“ viel zu schnell am meinem Hotel. Das Trinkgeld lasse ich in einem solchen Fall natürlich gerne und mit Freude rüberwachsen.

Das Allerton Crowne Plaza

ist ein altes Backstein-Hochhaus und sieht inmitten der modernen, oft doppelt so hohen Hochhäuser mit seinen „nur“ 23 Etagen recht klein und unauffällig aus (wobei die 13. natürlich wie fast immer in den USA fehlt). Ich muss erstmal in den 3. Stock zur Registration. Am Schalter sagt mir die Hotelmitarbeiterin, dass mein Voucher für das im voraus gebuchte Zimmer nicht mehr gültig sei und dass er überhaupt nur acht Tage gültig gewesen wäre. Ich will mich schon aufregen, aber frage die dumme Kuh erstmal nach einem deutschsprechenden Kollegen, der auch bald kommt und die Sache dann doch rasch zu meiner Zufriedenheit klärt.

Zum Ausgleich für meinen Ärger bitte ich die dusselige Kuh um ein etwas besseres Zimmer mit schöner Aussicht und werde von ihr in die 22. Etage geschickt. Und, ich ziehe die Vorhänge zurück und sehe genau in eine tiefe Häuserschlucht und die direkt vor dem Hotel liegende Michigan Avenue hinunter! Ein elephantastischer Super-Ausblick! Dazu ein großes Marmorbadezimmer. Es kommt ja nicht oft vor (und deshalb muss ich ja auch so oft tauschen), aber hier bin ich mal mit meinem Zimmer auf Anhieb zufrieden und geradezu glücklich; es ist zweifellos das schönste und luxuriöseste der Reise. War offenbar ganz gut, dass ich die blöde Tussi vorhin nicht allzu sehr angeschnauzt habe.

Reise 2006_2

Schöner Ausblick, bei Nacht…

  Reise 2006_2

…und am nächsten Morgen

 

Erstmal muss ich mein vorhin schnell in die Taschen gestopftes Gepäck umpacken und ordentlich verstauen.

Dann bügle ich meine Jeansjacke,

(jetzt muss ich doch zum ersten Mal in meinem Leben auch noch bügeln! – man lernt halt jeden Tag hinzu…), mache mich stadtfein und fahre runter auf die Straße. Wohin? Ich weiß es nicht. Ich lasse mich einfach im Menschenstrom mittreiben. Auch heute sehe ich wieder sehr viele arme Menschen an den Häuserwänden sitzen und betteln. Ich habe den Leuten schon oft etwas gegeben, aber ich kann doch nicht jedem etwas geben. Es ist wieder oder immer noch saukalt. Auch deswegen tun mir die armen Leute so leid.

Ich trinke erstmal etwas in einer Bar und dann überlege ich, was ich heute essen soll, finde aber nichts Geeignetes. Auf dem Rückweg zum Hotel sehe ich in einer Seitenstraße ein paar Leute vor einer Pizzeria rumstehen und auf Einlass warten. Ich denke mir, dass es da ganz gut sein könnte und sehe mir die Speisekarte an. Leider stehen keine Preise darauf. Es gibt Spaghetti, mehr brauche ich auch gar nicht, um halbwegs glücklich zu sein. Also hinein. Da ich alleine bin, kriege ich ohne Wartezeit natürlich sofort einen Platz an der Bar. Die Spaghetti Pesto schmecken zwar etwas lasch und trocken, aber ich bin nach dem halben Teller angenehm satt. Der Typ neben mir, Peter, spricht mich an und so entwickelt sich mal wieder ein interessantes Gespräch.

Ich bin müde und so fahre ich bald wieder in mein Zimmer rauf und lege mich schlafen. Und weil man hier alle Fenster zum Öffnen sogar bis zur Hälfte hochschieben kann, eines reicht mir dann aber auch bei der Kälte, habe ich endlich mal ausreichend frische Luft zum Atmen. Ich habe sieben Kissen um mich herum und schlafe himmlisch gut.

 

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