Die Ardèche: Berge, Steine, Mauern, Abgründe, Zikaden, Hitze, Kastanien. Und viel Spaß!

Meine Wanderungen mit Hannelore in der Gegend von Les Vans in den Cevennen.

  Von Wilfried R. Virmond

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Montag, 4. Juli 2011
Zuhause  -  Bourg-en-Bresse

Um neun Uhr morgens geht’s los. Endlich! Es ist kalt und trüb, nur zehn Grad. Und das Anfang Juli! Das ist ja eigentlich im Moment kein Sommerwetter. Es ist höchste Zeit, daß der Sommer 2011 endlich zurückkommt! (Glücklicherweise weiß ich jetzt noch nicht, daß der gesamte Juli kalt und ungemütlich bleiben wird.) Aber die Kälte draußen ist mir egal, ich sitze im klimatisierten Lexus RX 450h, neben mir liegt meine Jack-Russell-Hündin Hannelore, genannt Hanni, hinten ein bißchen Gepäck, wir beide brauchen ja nicht viel, wir wollen ja nur wandern.

Mit jedem Kilometer, den wir südlicher kommen, wird es sonniger und wärmer, in der Rheinpfalz ist es schon zwanzig Grad warm. Die Grenze überschreiten, äh, überfahren wir im französischen Lauterbourg und fahren dann auf der dort noch kostenlosen Autobahn bis kurz hinter Strasbourg. Später geht es auf der Landstraße über den Col du Bonhomme nach St. Dié. Den Tunnel vermeide ich lieber, der ist ja nur langweilig. Reichlich viele schwere Lkw fahren hier über den Berg, um die teure Maut zu sparen; eigentlich dürften sie auf dieser Landstraße gar nicht fahren.

 

 Ardèche 2011

 

Weiter geht es nach Besançon und dann auf der lebhaften französischen Route Nationale 83 in südwestlicher Richtung, unser heutiges Ziel ist Bourg-en-Bresse. Links das Jura-Gebirge mit den leicht ansteigenden üppigen Weinbergen. Rechts goldene Getreidefelder, die Ernte beginnt schon langsam. Ich rieche hier bereits den Süden. Die ersten Sonnenblumenfelder tauchen auf. Alle Blüten schön gelb und schön groß; alle schauen sie mit ihren goldenen „Satellitenschüsseln“ sonnenhungrig in eine einzige Richtung, nach Süden, um die Sonnenstrahlen einzufangen. Oder wie die Soldaten einer angetretenen Kompanie.

 

Ardèche 2011

 

Stationäre Blitzer werden (fast immer) rechtzeitig auf großen Schildern angekündigt – aber leider nicht alle, man kann sich nicht darauf verlassen, ich sehe zwei besonders gemeine mobile Radarfallen aus hinterhältig versteckten Autos hinter Hecken und einmal Polizei mit Laserpistolen. Meine beiden Radarwarner leisten redliche Arbeit und sind oft am Piepen.

Schade, aber bekannt: Radiohören kann man in Frankreich nicht. Es gibt fast nur Geschwätz und Reklame; Radiohören ist hier eine Strafe.

Die letzten siebzig Kilometer fahre ich lieber wieder auf der Autobahn, weil ich einfach nicht schnell genug vorankomme. Es gibt zu viele „Mautpreller“, schwere oft ausländische (auch deutsche) Lastwagen, die die teuren Autobahngebühren sparen wollen und unnötig den Verkehr aufhalten. Außerdem gibt es zurzeit einfach zu viele Umleitungen, überall wird gebaut bzw. umgebaut, gerne auch die von mir so sehr gehaßten Kreisverkehre, gehaßt, weil die, die jetzt noch gebaut werden, meistens total unnötig sind. Sechs Kreisverkehre auf vier Kilometern, das ist hier nichts Unübliches. Die Autobahn hier auf dem Land ist dagegen ruhig und angenehm leer, nur wenige Wohnwagen, kaum Lastwagen, schon gar keine endlosen Lkw-Schlangen wie bei uns. Kein Kampf wie bei uns, kein Gehaue und kein Gesteche. Und die Landschaft ist schließlich genauso schön wie auf der Landstraße.

Früher konnte man sich oft die Autobahngebühren sparen und das Eingesparte lieber für ein paar gute Flaschen Rotwein ausgeben. Aber das wird einem jetzt immer mehr verleidet. Heute sollte man eher die Péage bezahlen und zusätzlich Rotwein kaufen.

 

Ardèche 2011

Ardèche 2011

 

Abends gegen 19 Uhr erreichen wir beide unser vorgebuchtes Hotel in Bourg‑en‑Bresse. Es ist alt aber OK, das Haus und unser Eckzimmer im zweiten Stock ist ganz zufriedenstellend. Unser Bad ist mindestens so groß wie unser eigentliches Zimmer, also groß. Und blitzsauber.

Leider ist es nicht immer ganz einfach, ein Hotel zu finden, in dem Hunde erlaubt sind, auch wenn sie, wie Hanni, klein und noch so gut erzogen sind. Hier jedenfalls darf ein Hund (gegen Aufpreis EUR 9) mitgebracht werden. Das Auto erhält (für weitere EUR 8) einen ruhigen Schlafplatz in der uralten dunklen Sammelgarage nebenan.

Leider gibt es im Hotel kein Restaurant. Deshalb laufen wir beide die zehn Minuten in die Stadt und dinieren in der „Brasserie du Francais“. Dieses Lokal stellt sich als Glücksgriff heraus, hier ist einfach alles gut, stilvolle Einrichtung, starkes Ambiente, hervorragende, nein, herausragende regionale Küche. Auch wenn es etwas eng hier draußen vor dem Lokal ist, (Hanni muß am Boden bleiben und darf keinen Stuhl wie sonst belegen), und wenn auch die Kellner (zumindest einem Deutschen gegenüber) etwas herablassend sind. Trotzdem, ich bin außerordentlich zufrieden.

 

Ardèche 2011

 

Es gibt Pastete, dann Rostbif, (franz. für Roastbeef), mit erstklassiger selbstgemachter Remoulade, Käse, und natürlich die von mir so heiß geliebte Crème brûllée, der ich einfach nie widerstehen kann. Dazu ein halber Liter Rotwein aus der Region. Hanni schmeckt es im Übrigen auch sehr gut. 42 EUR. Vorher ein Byrrh als Apéritif; leider bekommt man ihn nur noch relativ selten in Restaurants.

Byrrh wird in Thuir, einem kleinen Ort in den Pyrenäen hergestellt. Früher, in meiner Jugend, also vor zig Jahren, sah ich oft Reklame an französischen Häuserwänden, jetzt ist die Marke leider auf dem absteigenden Ast. Hier trinke ich ihn zum ersten Mal in meinem Leben – und bin begeistert.

Wikipedia: Byrrh ist ein bittersüßer, der Farbe nach hellroter französischer Aperitif mit etwa 20–25 Vol.-%. Es handelt sich um eine Mischung aus Rotwein (i.d.R. aus der Carignan-Traube), Tonic Water, Auszügen von Chinarinde sowie bestimmten Gewürzen aus der Region Languedoc-Roussillon und internationalen Gewürzen wie Zimt, Bitterorangenschalen, Enzian, Echte Kamille, Kalumba, Kaffee und Kakao.

 

 Ardèche 2011

 

Überaus satt und ebenso befriedigt wie beschwingt treten wir den Heimweg an. Unterwegs muß ich einem französischen Pärchen den Weg zum Bahnhof erklären. Sehe ich wirklich so einheimisch aus?

Die obligatorische Zigarre gibt’s draußen im parkähnlichen Garten des Hotels. Sehr zufrieden fallen wir in unser breites Bett.

 

Dienstag, 5. Juli 2011
Bourg-en-Bresse  -  Les Vans

Geburtstag. Mein Geburtstag. Naja, Schwamm drüber, ich vergesse ihn lieber schnell, seit ein paar Jahren feiere ich ungern eigene Geburtstage; die hohen Zahlen zeigen mir zu direkt, wie alt ich geworden bin. An meinem letzten Geburtstag war ich in Mequon/USA, in der Nähe von Milwaukee.

Älterwerden war ja früher ganz schön, 14, 16, 18, 21, endlich die erste „richtige“ Freundin, der Führerschein, legal Rauchen, Alkohol, Wählen dürfen, endlich „Erwachsen“ sein, diese ganzen Sprünge.

Das ist doch das Sonderbare, die erste Zeit seines Lebens will man möglichst schnell älter werden. Und „Alter“ ist lange Zeit etwas, das unendlich weit weg ist und ja überhaupt nur für andere gilt. Und dann, eines Tages, irgendwann, wenn man auf die Fünfzig zugeht, früher oder später, entdeckt man es an sich selbst: Falten und Flecken der Haut, Unzulänglichkeiten, Vergeßlichkeit, man braucht für vieles etwas länger, z.B. um aus dem Bett hochzukommen, Glieder schmerzen, Zähne werden weniger, Haare auch, und, und, und…  Und dann weiß man mit einem Schlag: Ich bin alt geworden! Unwiderruflich! Körperliche Funktionen beweisen es uns mit Vorliebe, geradezu süffisant, indem sie nicht mehr mit soviel Leichtigkeit wie vorher ablaufen.

Ich jedenfalls kann niemanden verstehen, der sagt, Älterwerden ist doch schön. Jüngerwerden wäre für mich schön. Älterwerden ist einfach nur unfair!

 

Gerne der Zeiten gedenk‘ ich,

als alle meine Glieder gelenkig,

nur das eine nicht.

Heute mein Körper ist reif

und alle meine Glieder sind steif,

nur das eine nicht!

 

Womit der unbekannte Autor nicht ganz unrecht haben dürfte…

(Der Autor dieses Reiseberichtes weist in diesem Zusammenhang gerne darauf hin, daß es in dieser Hinsicht bei ihm noch keine Probleme geben soll…)

Wir stehen um 7:30 Uhr auf. Die Sonne scheint. Frühstück gibt es im Hotel. Die zehn Euro dafür sind eigentlich zu viel. Abfahrt um 9:30 Uhr. Am späten Vormittag wird schon die 30‑Grad‑Marke überschritten. Der Verkehr auf der Autobahn um Lyon herum und Richtung St. Etienne ist wie immer „lebhaft“, also schlimm. Lyon und Besançon sind ja immer sehr stressig. Vor allem, weil in solchen Städten und drumrum stets auch viele Idioten unterwegs sind. Die im Navi angekündigten Staus existieren glücklicherweise nicht (mehr).

 

Ardèche 2011

Ardèche 2011

 

Später geht es auf einer neuen Strecke, die ich größtenteils noch nicht befahren habe, auf sehr kleinen Landstraßen D103, D500 und D906 durch die sonnigen Cevennen, Kurve an Kurve, bergauf, bergab, Wälder, Berge, Hügel, Almen und Wiesen, einfach eine großartige Landschaft, die weite Blicke übers Land gestattet.

  Ardèche 2011

 

Hanni neben mir ist weiterhin außerordentlich brav und nimmt die Kurven ganz gelassen. Das Navi hat eine Ankunftszeit von 15:24 Uhr angekündigt, das ist ja dann auch OK für eine stressfreie Fahrt und ich habe noch genug Polster für die üblichen kurzen Aufenthalte zwischendurch.

Eine alte stillgelegte Eisenbahnlinie mit vielen Brücken, Viadukten und Tunnels begleitet mich. Ich persönlich kann nicht verstehen, daß man eine Bahnstrecke (oder auch eine Kirche) einfach so aufgibt, nur weil sie sich nicht mehr rentieren. Schließlich gehören sie ja zur Kultur eines Landes, die für die nachfolgenden Generationen bewahrt werden sollte. Sie sind doch unter größten Entbehrungen und mit schwerer Arbeit für uns alle gebaut worden! Statt sie aufzugeben oder zu verkaufen, sollte man sich viel besser Gedanken machen, wie man sie erhalten kann.

Der Col du Tort ist 1.120 Meter hoch, trotzdem ist es hier oben noch 26 Grad warm. Die Klimaanlage schafft es kaum und kämpft vergeblich gegen die Hitze. Vielleicht sollte ich das Schiebedach schließen? Hier möchte ich nicht im Winter herumfahren müssen.

Die Gegend hier ist ja schon fast meine zweite Heimat. Schade, meine Lieblingsblumen, die stolzen Fingerhüte, halten sich noch etwas zurück. Dafür sind die grünen Farne groß und ausgebreitet. Da es hier viel Wald gibt, sind auch überall kleine Sägewerke – und entsprechende Lkws mit Langholz unterwegs.

Hier ist die Welt noch in Ordnung, deshalb braucht man nicht mit lästigen Blitzern zu rechnen. Außerdem fährt man hier automatisch langsam, die Straßen lassen gar keine überhöhten Geschwindigkeiten zu. Ein Kaffee in einem kleinen Dorf erlaubt uns eine Pause.

Die Straßen werden schmaler, die Brücken enger. Eine führt über die Loire, die hier noch ganz klein und unscheinbar ist. Irgendwo weiter oben, ganz in der Nähe, ist die Quelle.

Die Kühe sind hier fast weiß und glattfellig, Pferde braun und stolz. Eines haben sie gemeinsam: Das genüßliche Grasen in herrlicher intakter Natur.

  Ardèche 2011

Ardèche 2011

 

Das Highlight des Tages ist der Eisenbahnviadukt in Le Monastier sur Gazeille. Hier verpasse ich vor Begeisterung fast eine Abbiegung. Es gibt keine Schienen, sodaß man vorsichtig über die hohe schmale geschwungene Brücke drüber fahren kann; man sollte aber etwas mutig sein – oder Frauen und Kinder vorher aussteigen lassen, denn es gibt kein Geländer. (Später lese ich, daß dieser „Viaduc de la Recoumène“ nie einen Zug gesehen hat, denn es sind wegen des Krieges niemals Schienen darauf verlegt worden.)

 

Ardèche 2011

 

Viaduc de la Recoumène - Google-Suche   mit vielen Fotos

Die Unebenheiten der Straße können manchmal auch von der Luftfederung des Lexus‘ nicht vollständig  glattgebügelt werden. Schöne Motorradstrecke, aber dann hätte ich ja Hanni nicht mitnehmen können. Das Auto gibt sich im Übrigen keine einzige fahrdynamische Blöße.

Das andere Extrem: Die ersten Windräder nach sechshundert Kilometern tauchen rechts auf, armselige sechs Stück. Frankreich glaubt offenbar,  über genügend Atomkraftwerke zu verfügen.

Gegen halb sechs erreichen wir unser Ziel: Les Vans. Zweitausendachthundert Einwohner mit leicht steigender Tendenz. Ein kleines Städtchen ohne eine einzige Ampel.

Wikipedia: Les Vans ist eine Gemeinde im französischen Département Ardèche. Sie liegt südlich des Flusses Chassezac am Rande der Cevennen. Der Ort gilt als Tor zum Regionalen Naturpark Monts d’Ardèche (Parc naturel régional des Monts d’Ardèche).

Hier geht alles noch ganz gemächlich seinen Gang. Die Leute sitzen in den Cafés und auf den Bänken des baumumstandenen Platzes. Eine Dame mit Dalmatiner unterhält sich mit dem Briefträger, der sein Fahrrad neben sich stehen hat. Ein paar Geschäfte, ein paar Restaurants. Hier gefällt es mir auf Anhieb. Aber erst einmal muß ich noch schnell im „Super U“ unseren Großeinkauf machen. Ach, den Supermarkt kenne ich doch! Hier habe ich letztes Mal, 2009, schonmal eingekauft und getankt. Ich erinnere mich noch genau, weiß noch genau, wo alles in den Regalen steht. Solche Dinge vergesse ich nicht.

Hanni muß solange im Auto warten. Heiß, 38 Grad sagt die Anzeige, der Ort ist von hohen Bergen umzingelt, hier unten staut sich die Hitze heftig.

Dann nehme ich die Wegbeschreibung zur Hand, es wird etwas umständlich. Die schmale Straße führt über zwei Serpentinen den Berg hinauf, dann noch zwei, dreimal auf geteerten Seitenwegen abbiegen. Der Weg wird sehr eng, rechts und links Mauern, das breite Auto paßt hier kaum durch, die letzten fünfzig Meter sind ungeteert, mit spitz herausragenden Steinen und ein, zwei tiefen Schlaglöchern. (Jetzt bin ich doch froh, nicht mit der Corvette hierher gefahren zu sein.) Und dann stehen wir endlich vor dem grünen Holztor. Wir sind da, nach neunhundertachtundsechzig (einhalb) Kilometern! Heiß ist es, immer noch heftige sechsunddreißig Grad!

 

Ardèche 2011

Ardèche 2011

 

Das Haus ist typisch für die Region der Ardèche, unverputzte graue Steinmauern, rote Ziegel, grüne Holzläden, drei steile schmale Treppen führen außen in die obere Etage hinauf.

Erstmal gehe ich durchs Haus und sehe mir die Zimmer an. Hanni läuft derweil frei herum und begutachtet alles. Die Fenster haben geschlossene Fensterläden, die ich gleich mal alle öffne.

Unten, im Erdgeschoß ist der Technikraum mit allen Anschlüssen, Warmwasserboiler, Waschmaschine und Tiefkühlschrank. Hier müssen sämtliche Sicherungen hochgedrückt werden. Wasser ist schon frei. Eine der beiden kleinen Gasflaschen muß aufgedreht werden.

Nebenan geht es vom Hof in einen kleinen Schlafraum mit breitem Bett, einfach ausgestattet. Dahinter ein großes Badezimmer, „marokkanisch“ mit weiß/orangenen Kacheln gefliest, Regendusche. Das große gemauerte Becken darunter könnte auch als riesige Badewanne genutzt werden. Nebenan ein großes helles Zimmer mit breitem Bett, offenen Ablagen und einem Holzofen. Dann noch ein kleiner Aufenthaltsraum mit gläserner Veranda und Schiebetür ins Freie.

  Ardèche 2011

Ardèche 2011

Ardèche 2011

Von hier gehe ich eine der steilen Außentreppen hinauf und betrete die Küche.

Ardèche 2011

 

Wände mit rohen Granitsteinen und auf dem Fußboden roh behauene holprige Granitsteinplatten. Fast alles da, Spülmaschine, Gasherd (aber ohne Backofen), Kühlschrank, kleiner Fernseher. Nur eine Mikrowelle fehlt, aber ich könnte sie ja sowieso nicht bedienen. Stattdessen ein ihr ähnlichsehender Pizzaofen. Eine große offene Feuerstelle heizt den Raum im Winter. Eine steile schmale Holztreppe führt auf eine winzige Empore mit Bücherregal und schmalem Bett (für den Hausherrn?).

Neben der Küche ein kleines, sehr kleines Bad mit freistehender Dusche. (Alles wird naß, wenn man hier duscht, es gibt keinen Duschvorhang.)

Dahinter ein weiteres enges kleines Zimmer, hell, das sogenannte Lavendelzimmer. Dieses wähle ich für uns beide. Breites Bett, zwei Stühle, winziger Tisch, ein kleiner offener Schrank ohne Türen, rauhe Fliesen am Fußboden. Ein Fenster nach Osten zum Seerosenteich unter uns und eine Tür mit kleinen Fensterscheiben nach Süden mit der steilen Außentreppe nach unten.

  Ardèche 2011

Außerdem gibt es hier oben eine große offene Dachterrasse, wirklich ohne jeden Sonnenschutz, und unten ums Haus herum einen sehr großen steinigen Garten. Ein paar Gartenstühle stehen herum, sie sind aber schon etwas älter. Vor dem Haus gibt es noch ein weiteres kleines altes Häuschen mit einem zusätzlichen Gästezimmer, aber dafür habe ich keinen Schlüssel.

Es sieht so aus, als sei alles im Einklang mit der Natur und Tierwelt, vor allem was krabbelt und fliegt – und viele Beine hat…

Warmwasser wird im Boiler mit Gas aus den beiden Flaschen erzeugt. Kochen erfolgt auch mit Gas. Heizung elektrisch. Holzfenster einglasig, sie und die Türen schließen nicht dicht, im Winter wird es wohl nicht allzu warm im Haus.

Nachdem wir beide das Haus erkundet haben, geht es ans Gepäckausladen. Das Auto muß vor dem Tor stehen bleiben, denn innen gibt es direkt hinter dem Tor zwei kleine Stufen.

Nach und nach trage ich alles ins Haus. Wo ist eigentlich Hanni, die könnte doch auch mal ein bißchen helfen? Ich habe sie schon einige Zeit nicht mehr gesehen. Die ist doch sonst überall dabei. Ich rufe und suche ein bißchen nach ihr. Plötzlich, mein Herz bleibt stehen, sehe ich sie! Im Seerosenbecken, auf den Hinterbeinen in der Ecke nach Luft schnappend, die Schnauze guckt gerade noch aus dem Wasser! Warum bellt sie nicht nach Hilfe? Offenbar wollte sie trinken und ist hineingeplumpst! Hätte ich ihr doch nur vorhin, am Supermarkt, noch rasch etwas zu trinken gegeben! Schnell ziehe ich sie aus dem Wasser, alles OK, sie lebt! Das hätte auch schief gehen können! Da haben wir ja beide noch einmal reichlich Glück gehabt. Der liebe Gott hat uns geholfen. (Das Becken ist etwas über einen Meter breit, ca. vier Meter lang und noch geschätzte fünfzig Zentimeter tief. Der Wasserspiegel ist zurzeit deutlich abgesunken, vielleicht so um die zwanzig Zentimeter tiefer vom Rand. Deshalb mußte sie sich offenbar beim Wasserschlecken zu weit runterbeugen.)

Zur „Belohnung“ bekommt Hanni erst einmal eine Dusche, denn das Wasser im Teich ist ganz schön veralgt und schmutzig.

Ardèche 2011 

 

Bis wir uns dann endgültig eingerichtet haben, ist es neun Uhr abends und wir sind beide müde. Ich habe keine Lust mehr zum Essenmachen, Hanni auch nicht, und so legen wir uns einfach schlafen. Fenster muß natürlich offen sein, hier gibt es ja keine Stechmücken.

Nach Einbruch der Dunkelheit hebt dann ein lautes Froschkonzert unter unserem Zimmerfenster an. Die grünen Gesellen scheinen vom Nachbargrundstück gekommen zu sein. Das berüchtigte Wasserbecken ist ja direkt unter unserem Fenster. Da versammeln sie sich offenbar des Nachts. Mindestens eine Stunde lang machen sie ihre Musik, bis sie ihre Instrumente endlich wieder einpacken. Jetzt kann ich meine Freunde Erwin und Elfie gut verstehen, wenn sie ständig die Frösche an ihrem Teich einsammeln und ganz weit weg wieder aussetzen.

Danach können wir beide endlich schlafen, ein paar andere Tierlaute stören dann nicht mehr so sehr.

Ist schon etwas gruselig, wenn es im Haus öfter knackt und knarzt, vor allem, wenn die Tür nach draußen offen steht und jeder einfach rein spazieren könnte. Aber Hanni paßt ja sehr gut auf, da könnte sich niemand heimlich reinschleichen, um uns beide zu überfallen.

 

Mittwoch, 6. Juli 2011
Ruhetag

Heute will ich einfach faul herumhängen und mich ausruhen. So ein Tag muß auch mal sein. Dazu gibt es erst einmal ein gemütliches leckeres Frühstück.

Kaffee kann und will ich ja nicht kochen. Also gibt es Tee aus Teebeuteln, (der Not gehorchend, wenn man, wie ich, faul ist). Die Teebeutel habe ich mitgebracht. Brot auch, französisches labberiges weiches Gummibrot mag ich wirklich nicht. Eier und alles andere habe ich gestern im Super U gekauft, heute gibt es, ausnahmsweise, gleich zwei gekochte Eier.

Wurst, Käse, auch jede Menge meines Lieblingsfrischkäses Carré frais, den es nur in Frankreich gibt, (ähnlich wie Philadelphia oder Kiri, Buko usw. aber etwas salziger), Joghurt, roher Schinken, Orangen-Marmelade, mein von zu Hause mitgebrachtes und heiß geliebtes Kräutersalz für die Eier, alles da, natürlich auch ein paar Leckereien für Hanni, es soll uns beiden schließlich an nichts mangeln.

Nur, leider, die Gasflamme kriege ich nicht an, es kommt einfach kein Gas nach dem Aufdrehen. Bis ich dann endlich herausfinde, daß man den Knopf nicht nur drehen sondern zum Anzünden auch drücken muß.

Im Haushalt ist alles „feste“ Material da, (junge Leute sprechen wohl von „Hardware“), Verbrauchsmaterial („Software“) muß man mitbringen, Salz, Zucker, Essig, Öl, Butter und selbstverständlich überhaupt alles Essen und Trinken. Toilettenpapier, Seife, Handtücher und Bettwäsche natürlich auch.

Im Kühlschrank fällt bei jedem Öffnen und Schließen der Tür eine der beiden Türablagen runter. Deshalb klebe ich sie mit einem kleinen Stück Klebeband fest und sie hält jetzt wieder. (Was predige ich immer? Man muß stets Klebeband, Draht und Kabelbinder dabei haben, dann kann man sich wenigstens ein bißchen helfen…)

Schon jetzt am Morgen sind es dreißig Grad im Haus. Aber ich muß die Türen und Fenster aufmachen, brauche Luft und Sauerstoff; geschlossen würden sie die Hitze viel besser abhalten.

In die Toilette muß ich zwei Beutel eines Pulvers schütten, damit alles im Abwasser biologisch zersetzt wird. Wie im Wohnmobil.

Draußen herrscht ein unbeschreiblicher Lärm. Zikaden. Es müssen hunderttausende sein. Aber ich weiß ja aus Amerika, irgendwann nimmt man sie nicht mehr wahr. Es hört sich an, als sägten sie ganz schnell Holz. Wo nehmen sie nur die ganze Kraft her?

So verbringen wir beide den Vormittag und hängen faul herum. Die Leichtigkeit des Seins – hier umgibt sie mich sofort, hier kann ich in ihr baden. Tiefe Ruhe kriecht in meinen Körper. Meinen steten Kampf gegen Ignoranten und Torfnasen zu Hause im täglichen Leben kann ich hier vergessen. Hier bin ich Mensch…

Nachmittags schließe ich noch den Laptop an und kämpfe etwas mit der sich gegen mich sträubenden Verbindung. Aber es klappt dann doch noch und so kann ich die letzten E-Mails abrufen und ein paar wichtige beantworten. Nach einem Nickerchen lese ich etwas. Gemütlich und geruhsam schleicht der Nachmittag dahin.

Zum Abendessen gibt es nur ein paar Kleinigkeiten und ein kühles Bier. Aber keine Zigarre, erstaunlich, ich habe keine Lust darauf.

Als die Sonne untergeht, gieße ich, wie von den Vermietern gewünscht, die Blumen im Garten. Man soll aber dringend darauf achten, kein Wasser unnötig zu verschwenden, Wasser ist hier sehr teuer. (Was an sauberem Wasser in der Küche anfällt, schütte ich deshalb in eine aus dem Garten hochgebrachte immer  bereitstehende Gießkanne.) Deshalb soll man auch nur kurz und auch nicht unbedingt zweimal am Tag duschen.

Die Frösche bringen mir mein Geburtstagsständchen. Anschließend gratulieren mir noch ein paar andere Tiere.

 

Donnerstag, 7. Juli 2011
Durch das Tal des Granzon

Die Nacht war warm, zu warm, aber jetzt zu Anfang des Tages weht endlich morgendlich frische Luft herein und kühlt uns beide etwas ab. Nebenbei: Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie klar meine Träume im Urlaub sind. Fast wie ein Film. Nicht so ein zusammenhangloser Unsinn wie zu Hause.

Wie angenehm ist es, keine Eile zu haben und entspannt und faul noch etwas in der Morgensonne herumzuliegen. Um 8:30 Uhr heißt es dann aber doch „Frisch Auf!“.

Ich dusche wieder unten, Hanni kringelt sich solange im Nebenzimmer auf dem Bett zusammen. Hier unten im großen Zimmer habe ich auch meine Anziehsachen verteilt und aufgehängt und nutze es als Ankleidezimmer.

Danach gibt’s Frühstück. Nanu, wir wurden überfallen! Millionen winzigkleiner Ameisen haben eine Straße gebildet, um ihr strategisches Ziel einzunehmen: Meine offene TUC‑Packung auf dem weißen gemauerten Sideboard. Es ist erstaunlich, wie sie sie gefunden haben und eine einzige schmale schwarze Linie an der Seite des Schranks rauf- und runterführt, wirklich außerordentlich diszipliniert. Ein bißchen tut es mir leid, ihnen die TUCs wegnehmen zu müssen. Gut, daß die andere Packung noch verschlossen war. Ach du Schreck, die Halunken haben ein winziges kaum sichtbares Löchlein reingebissen. Schade, mehr habe ich nicht davon. Jetzt heißt es, immer wachsam sein, nichts Eßbares mehr herumstehen lassen! Nebenbei: Pringles mögen sie offensichtlich nicht und ignorieren die Packung.

Nach dem Aufräumen geht’s endlich um 9:45 Uhr los. Heute wollen wir beide die von den Vermietern empfohlene leichte Wanderung ins Tal des Granzon unternehmen. Auf der Teerstraße kommt uns ein singender Rennradfahrer entgegen. Dann führt der steinige Weg tief ins Tal des „Flusses“ runter. Hanni findet dabei stets intuitiv den richtigen Weg durch die massenhaft herumliegenden Steine; sie hat offenbar einen Instinkt dafür. So macht sie mir den Scout, ich brauche ihr meistens nur hinterher zu laufen.

  Ardèche 2011

 

Nach meiner schweren Lähmung (GBS) vor fast zwei Jahren ist das meine erste große Wanderung und ich bin sehr zufrieden mit mir. Alles in Ordnung. Nichts zurückgeblieben. Damals hätte ich nicht geglaubt, hier jemals wieder herumwandern zu können…

Ich habe einen Ausschnitt der großen Wanderkarte dabei. Diese blauen Wanderkarten der Firma IGN sind einfach hervorragend. Da kann man sich gar nicht verirren, die kleinsten Details sind eingezeichnet. Ich liebe diese Karten, weil man ihnen wirklich vertrauen kann.

Unten am Fluß müssen wir über zum Teil hohe weiße Kalksteinfelsen klettern und ihn auch überqueren. Zum Glück gibt es hier zurzeit wenig Wasser. Dann geht es am munter plätschernden Flußbett unter schattigen Bäumen entlang.

  Ardèche 2011

 

Angenehm kühl ist es. Die empfohlene Besichtigung der Quelle Fontaine du Vedel entpuppt sich als nicht allzu spektakulär, eigentlich sieht man nichts, außer einer schäbigen dunklen kleinen Höhle. Dann geht es genauso romantisch wieder weiter, durch eine von den Vermietern verwunschen genannte Flußlandschaft, bis wir zum Schluß beide wieder steil hinauf müssen. Über den später geteerten Fahrweg erreichen wir unser Domizil gegen halbeins. Dauer der ersten Wanderung 2,45 Stunden.

Nachmittags ruhen wir uns etwas aus und genießen erneut, nichts tun zu müssen. Schade, der Nachbar ist wohl am Umbauen oder Instandsetzen seines Hauses, er sägt und bohrt und hämmert gelegentlich, aber es ist zu ertragen. Der für nachmittags angekündigte Regen bleibt aus. Es bleibt heiß.

Wenn man nicht ständig aufpaßt, schlagen dauernd irgendwelche Türen im Haus zu, es zieht sofort. Zwei Außentüren und Fenster kann man mit Haken feststellen. Aber die Innentüren leider nicht, deshalb müssen sie immer mit etwas blockiert werden.

Da ich den Laptop diesmal mithabe, kann ich schonmal die Fotos darauf sichern. Für den Fall, daß ich die Kamera verliere oder kaputtmache.

Die Mauern unseres Hauses, und aller Häuser hier in der Gegend, sind bestimmt sechzig Zentimeter stark. Überhaupt gibt es hier unzählige Mauern, Trockenmauern, ohne Zement oder sonst etwas, nur die Steine, außen große schwere glatt behauene Steine, von beiden Seiten, innen mit kleinen Steinen aufgefüllt. Eine Betonfabrik hat hier bestimmt wenig zu tun.

  Ardèche 2011

Später bringe ich den ersten Müll zum Sammelplatz. Mülltonnen an den Häusern gibt es nur in Städten. Hier muß jeder seinen Müll selbst wegbringen. Oft gibt es sogar nur einen einzigen Müllcontainer am Straßenrand. Von Mülltrennung wie bei uns hält man in Frankreich meistens nichts, sie liegt noch sehr im Argen. Hier an dieser Stelle gibt es Container für Glas, Plastik, Papier und Restmüll. Den Quatsch mit dem doofen Flaschenpfand machen die Franzosen intelligenterweise nicht mit.

Dann kaufe ich noch einmal ein, vor allem Getränke. (Frage: Warum muß man in Frankreich Trinkwasser kaufen? Warum sind die Franzosen nicht fähig, ihrer Bevölkerung vernünftiges Trinkwasser zu liefern? Alles Geld wird für, ich bitte um Entschuldigung, Scheiß-Atom-U-Boote und überhaupt fürs Militär ausgegeben und das Wasser bleibt von schlechtester Qualität.) Anschließend besorge ich mir im Office du Tourisme eine Wanderkarte dieser Gegend und trinke ein, zwei Bier, bis es endlich neunzehn Uhr wird und in den Lokalen endlich Abendessen gibt. Ich wähle mir das Restaurant Dardaillon.

Es gibt als Apéritif einen Kir de pèche (Sekt mit Pfirsichsaft, süß und prickelnd – ja, ich weiß, klingt nicht sehr männlich, aber sind wir ab und zu nicht alle etwas andersrum?), ein üppiges Carpaccio, Boef Tournedos (ein dickes Steak) mit Bratkartöffelchen, eine hervorragende Käseauswahl, Crème brûllée und einen Espresso (heißt in Frankreich und in Italien „Café“). Dazu ein halber Liter Rotwein aus der Region. 45 Euro. Hanni bekommt natürlich ein großes Stück vom Steak; es ist sehr französisch, also innen noch roh. Aber wir sind beide sehr glücklich und zufrieden. Zigarre zum Abschluß.

Ein Musiker spielt vor den Tischen des Lokals auf der Straße, mir gefällt er nicht besonders; ich erkenne kein einziges seiner Lieder. Dafür hat es mir der Rotwein umso mehr angetan. Wenn ich so weiter mache, wird es aber wohl nichts mit dem Abnehmen werden…

  Ardèche 2011

Etwas beschwipst und entspannt fahre ich den Berg hinauf nach Hause, finde auch den Weg ganz gut. Natürlich war mal wieder eine der unzähligen Außentüren am Haus unverschlossen, den ganzen Tag.

Pünktlich gegen 22 Uhr treffen die ersten Teilnehmer der Grünen Partei zu ihrer allabendlichen feuchtfröhlichen Diskussionsrunde ein. Einige Teilnehmer, eigentlich die meisten, leiden an starker Profilierungssucht (ist ja bei Politikern so üblich) und fallen sich ständig sehr lautstark zu Wort. Einige wenige sind etwas zurückhaltender und nicht ganz so laut, aber immer noch sehr gut zu vernehmen…

Freitag, 8. Juli 2011
Naves

Die Ameisen lieben nicht nur TUC. Auch trockenes Hundefutter erschließt man sich in ihren Kreisen recht gerne, Feuchtfutter dagegen eher weniger…

In der Nacht wurde ich mehrmals von Schnaken gestochen, oder heißt es gebissen? Ich muß also doch das Moskitonetz über unserem Bett herunterlassen.

  Ardèche 2011

Wir haben Zeit, deshalb geht es heute erst um halbzwölf los. Unsere erste große Wanderung führt nach Naves. Erst an vielen neu gebauten Häusern entlang. Viele Anwesen haben ferngesteuerte Rolltore mit Videoüberwachung, von Arm kann also keine Rede sein. Endlich geht es dann unter hohen Kastanienbäumen weiter bergauf und später den Berg runter.

Üppige Farne umringen uns. Und Sonnenbrillen greifen an. Als ich, mitten in der Einsamkeit, von einem großen Stein aufstehe, sehe ich eine fremde Sonnenbrille neben mir. Sie muß sich angeschlichen haben, denn vorher war sie noch nicht da. Es müssen hier also schon mal Leute gelaufen sein.

Wir machen einen kleinen Abzweig zu irgendwelchen Höhlen. Ein Schild warnt „Passages glissants et escarpes“. Na ja, egal was es heißt, es wird schon nicht so schlimm werden, denke ich. Aber es ist dann doch tatsächlich sehr rutschig und steil, dies besagte die Warnung nämlich, eigentlich ist es auch gefährlich hier, wir müssen beide reichlich klettern. Am Ende des Abstechers sieht man ein, zwei dunkle Höhlen und muß dann denselben Weg zurück.

Ardèche 2011 

Ardèche 2011

14:02 Uhr. Ich schlage trotz aller Vorsicht der Länge nach hin! Ich bin am Stummel einer abgesägten hinterlistigen Wurzel hängen geblieben. Aber zum Glück falle ich auf weichen Waldboden, ohne diese schlimmen sonst überall herumliegenden spitzen Steine, der nächste Felsen ist zwei, drei Meter entfernt. Aber rechts direkt neben mir ist der Abgrund, ziemlich steil geht’s hier runter. Ich kann mich festhalten, rolle und stürze nicht runter. Nochmal Glück gehabt, doch mein neues Lieblings-Hemd ist beim Fallen an einem blöden Ast hängen geblieben und aufgerissen. Hanni guckt vom nächsten hohen Felsen ganz komisch auf mich runter.

Falls mir hier bei unseren Wanderungen etwas passierte, könnte es durchaus Probleme geben, denn oft habe ich keine Netzverbindung mit dem Handy. Trotzdem, die Einsamkeit umhüllt mich, hier fühle ich mich wohl. Ich will es ja so. Endlich mal ein paar Tage nichts quasseln müssen.

Gestern hatte ich dummerweise meine berühmt-berüchtigten (weltweit erprobten und bewährten) Sandalen an, heute die Sportschuhe. Diese sind besser für die Wege hier geeignet und sie sind mir lieber als die großen schweren unbequemen Wanderstiefel.

Zurück auf dem Hauptweg geht es weiter steil runter. Unheimlich steil. Warum tue ich mir so was eigentlich immer wieder an? Ich weiß doch, wie schlimm die Wege hier sind. Aber ich liebe ja jegliche Herausforderung. Und ich bin gerne allein - und nur auf solch einer Wanderung kann ich meine Gedanken einfach laufenlassen. Ich wandere ja auch schonmal im Schwarzwald herum, aber da begegnen einem auf Schritt und Tritt Leute. Ich meine mich zu erinnern, daß hier in den Cevennen Europas einsamste Gegend mit den wenigsten Menschen pro Quadratkilometer ist; nur in Lappland ist es vielleicht noch etwas einsamer.

Ardèche 2011 

Ardèche 2011

Ardèche 2011

Später geht es dann an vielen Weinhängen vorbei durchs Tal nach Les Vans. An einem Baum sehe ich endlich mal eine Zikade. Sie ist viel größer, als ich sie mir bisher vorgestellt hatte, ungefähr wie ein (kleiner) Daumen mit großen Flügeln. Jetzt weiß ich, wie sie aussehen. Nicht sehr schön. Ich wollte nicht, daß sie auf mir herumklettern. Aber es sind ja auch Lebewesen. (Ich achte stets darauf, kein Tier zu töten, weiche sogar kleinen Insekten, Ameisen, Käfern am Boden aus und zerquetsche sie nicht einfach. Rette oft genug Regenwürmer und Schnecken und bringe sie zum Straßenrand. Bei Pflanzen dasselbe; diese werden von mir auch nicht einfach unnötig zertreten. Wenn nur mehr Menschen so handelten…)

  Ardèche 2011

Um halbvier sind wir dann in der Stadt und trinken ein, zwei Bier und Wasser. (Ich das Bier.) Und essen ein dickes fettes Eis mit viel Obst und Schlagsahne. Und, logisch, rauchen eine Zigarre.

Ardèche 2011 

Mit reichlich Kalorien gestärkt geht es auf den Nachhause-Weg, erst durch den Friedhof und steil einen ganz schmalen Steig den Berg hinauf. Aha, Esel waren auch hier. Ich bin ja ein Freund von Eseln. Seit unserer Wanderung mit „unserer“ lieben Eselin Vanille 2007 schätze ich sie. Hanni macht einen etwas müden Eindruck, aber sie schafft den Aufstieg. Der Weg ist wirklich sehr schmal, gut, daß uns hier niemand begegnet, rechts der Berg, links der Abgrund, wenn man sich gerade hier aneinander vorbeiquetschen müßte…

  Ardèche 2011

Was macht eigentlich den Reiz aus, sich so sehr zu quälen? frage ich mich schon wieder. Die Hitze, die steinigen Wege, meistens steil, bergauf, bergab? Der Kampf mit sich selbst, dem inneren Schweinehund und gegen bequeme Faulheit! Warum quälen sich die Leute beim Triathlon? Wenn ich es dann wieder geschafft habe, bin ich glücklich und zufrieden. Und trotz aller Plagerei herrlich entspannt.

17:00 Uhr. Zuhause fallen wir beide erst einmal wie tot aufs Bett, wir sind beide „fick und fettig“ (fix und fertig), wie Narumol das ausdrückt. Vom Sturz habe ich ein paar kleine Schrammen an Knien und Händen. Ich muß ja immer sowas haben. Vielleicht sollte ich demnächst mal etwas Desinfektionsspray mitnehmen? Trotzdem, nochmal Glück gehabt. Wie immer.

Bald haben wir uns erholt und fahren zum Abendessen wieder runter, diesmal zwei Kilometer nach Chambonas. Hier im Restaurant „Le Pont“ spricht man deutsch, Brigitte kommt aus Altena in Westfalen, ihre Tochter bedient uns und spricht auch sehr gut deutsch. Direkt an einer uralten schmalen romanischen Brücke über den Chassezac sitzen wir beide ganz romantisch in einer weinumrankten Laube und genießen unser Abendessen.

  Ardèche 2011

Heute gibt es wieder einen Kir, Zucchini-Suppe, Rindfleisch mit Nudeln und Gemüse (Hanni freut sich am meisten über das Fleisch…) und eine Vanillecreme mit Ei-Schnee. Zwei Bier, ich habe Durst.

Den „Café“ trinke ich vor dem Lokal direkt an der Straße und ich schwatze ein bißchen mit Brigitte. Sie ist auch in einem Katzenhilfe-Verein tätig, wo sie wilde Katzen sterilisieren; natürlich erhält sie eine Spende. Im Gegenzug empfiehlt sie mir dringend, Hanni ein Halsband gegen Leishmaniose zu kaufen. Habe ich noch nie von gehört. Es handelt sich um eine schlimme, oft unheilbare Krankheit, die besonders im Mittelmeerraum von kleinen Sandmücken übertragen wird. Hunde werden wohl besonders gerne von ihnen angefallen, weil sie Wärme abstrahlen, die die Mücken suchen, leider aber auch Menschen. Wer also mit seinem Hund in warme südliche Länder fährt, sollte sich hier unbedingt informieren:

sandmuecken 

Leishmaniose – Wikipedia

Hier an der Straße sitzend, fällt mir auf: Die Leute räumen an ihren Rollern und Motorrädern die Auspuffe leer und machen dann einen Riesenkrach damit. Welch ein paradiesisches Land! Jedenfalls für die Fahrer dieser extrem lauten Fahrzeuge…

Inzwischen habe ich reichlich viele juckende Mückenstiche, die Mistviecher beißen auch tagsüber im Wald. Zecken soll es hier kaum geben.

Und dann geht es heim, wir müssen ja rechtzeitig zum Froschkonzert im Bett liegen. Aber irgendwie ist es diesmal nicht so laut wie an den Abenden vorher.

 

Samstag, 9. Juli 2011
Les Vans

Warum stehe ich hier in Frankreich eigentlich immer so spät auf? Vor halbneun denke ich am liebsten erst gar nicht ans Aufstehen. Bei den Urlauben in Amerika bin ich doch immer so früh munter! Na, egal, wir beide genießen an jedem Morgen die frische Luft, solange sie noch so angenehm kühl ist. Nachts, unter dem Mückennetz, ist es uns beiden leider viel zu warm.

Heute will ich nach Les Vans runter, auf demselben Weg, den wir gestern Nachmittag heraufgekommen sind. Ein sportlicher Typ im roten Hemd überholt uns, zum Glück ist der Weg hier noch breit genug und er schubst uns nicht den Abhang hinunter.

  Ardèche 2011

Unten in der Stadt ist Markttag und entsprechend viel los. Ich besorge Hanni erst einmal das Leishmaniose-Halsband (18 EUR) in der Apotheke. Ich frage auch nach einem Spray, gibt es aber angeblich nicht. Hinterher lese ich, daß das Halsband schon zwei, drei Wochen vor einer solchen Reise angelegt werden sollte, um genügend Schutz aufzubauen. Deshalb rate ich dringend jedem Reisenden, sich rechtzeitig darum zu kümmern, für den Fall, daß er seinen Liebling mitnimmt! Und Spray gibt es natürlich auch.

Dann, trotz der Hitze, ein gemütliches kühles Hoegaarden-Bier im Schatten einer Bar, während wir beide den verrückten Leuten da draußen in der Hitze zusehen.

  Ardèche 2011

Und dann sind wir beide genauso verrückt und wandern weiter ins sonnige Tal hinein und einen steilen Berg hinauf nach Hause. Um halbelf ging’s los, um halbdrei sind wir zurück und ruhen uns wie immer erstmal aus.

Um viertel vor sechs geht’s los zum Abendessen. Wir wollen durch den Wald in ein unweit gelegenes Restaurant. Und verirren uns! Heftig! An den „Trois Juges“. Ich bin anfangs etwas faul, zu faul, um nach dem Handy-Kompaß zu sehen und dann ist es auch viel zu spät, denselben Weg zurück will ich nicht.

Mitten im Wald tritt plötzlich ein merkwürdiger Typ in kurzer Sporthose und Muscle-Shirt direkt vor uns aus dem Gebüsch hervor und spricht mich in einer für mich unverständlichen Sprache an. Ich antworte nur kurz „Oui“ und laufe schnell weiter. Ein paarmal habe ich das Gefühl, mich umdrehen zu müssen, aber er folgt uns nicht. Später stehen zwei Autowracks neben dem schmalen Weg, weit und breit ist keine Straße oder wenigstens ein Fahrweg zu sehen. Wie sind die nur hierhergekommen? Ein Rätsel. Ich bin gespannt, wo wir herauskommen werden.

  Ardèche 2011

Eine halbe Stunde später endlich eine geteerte Straße. Aber wo sind wir eigentlich? Müssen wir jetzt nach rechts oder nach links? Ich ziehe Google Earth zu Rate und entscheide, daß wir nach links müssen. Später stoßen wir auf eine stärker befahrene Straße und laufen mühselig, ständig schnellen Autos ausweichen müssend, am Straßenrand zwei Kilometer nach Norden, bis wir endlich an unserem Ziel, dem Restaurant „L’Olivier“ ankommen. Meine Erklärung dazu: Die Karte war korrekt, die Natur nicht. Aber egal, nachher, auf dem Heimweg, werde ich die Situation klären und mir die fragliche Stelle noch genauer ansehen.

Wir haben viel Zeit verloren, es ist schon nach zwanzig Uhr, in anderthalb Stunden ist es dunkel. Also bitte Beeilung beim Bestellen und Servieren. Und besonders beim Essen!

Heute Abend gibt es natürlich Kir de pèche, Gemüse-Carpaccio (mir bisher unbekannt, aber wirklich nicht schlecht), Hühnchen mit Kartoffeln, etwas Käse, Vanilleeis. Dazu zwei Coke (gegen den heftigen Durst). Und zwei Fläschchen Kastanien-Bier (Bourganell, „Bière aux Marrons de l’Ardèche“). Da das Bier recht kühl ist, kann man es eigentlich auch gut trinken. 45 EUR. Schade, daß wir beide unser Abendessen nicht mit der notwendigen Ruhe genießen können.

Der Heimweg ist dann deutlich kürzer. Wir kommen direkt durch ein Hotel-Gelände, das etwas abseits der Straße im Wald liegt. Kurz darauf sind wir auch schon wieder an den Trois Juges. Hier habe ich vorhin den unscheinbaren, richtigen Weg einfach nicht erkennen können und bin dummerweise dem breiten Weg mit seiner gelben Markierung gefolgt. Jetzt wird mir auch klar, woher der komische Typ vorher kam, er wohnt natürlich im Hotel, das ja höchstens ein paar hundert Meter entfernt ist. (Ich will mir lieber nicht ausmalen, ob und welche Schweinereien er mir bei unserer kurzen Begegnung vorschlug…) So klärt sich im Nachhinein ja so manches Unerklärliche als (relativ) harmlos auf.

Der helle Halbmond leuchtet uns beiden auf dem letzten Stück des Nachhauseweges, es wird schon dunkel. Der korrekte Heimweg dauert wenig länger als eine Zigarre, also etwas mehr als eine Stunde. Um zweiundzwanzig Uhr sind wir heil zurück.

Nanu, nur noch ein Frosch ist zu Gange und quakt. „Wo seid ihr alle? Warum antwortet mir keiner?“ ruft er traurig. Ich fürchte, der Nachbar hat Lust auf frische zarte Froschschenkel bekommen, meine mir inzwischen schon ans Herz gewachsenen „Lieblinge“ gefangen und ihnen bei lebendigem Leib brutal die Beine rausgerissen. Franzosen können ja unheimlich herzlose Tierquäler sein. Die armen Frösche tun mir leid.

 

Sonntag, 10. Juli 2011
La Corniche du Chassezac

Heute Morgen ist es etwas trüb und das ist gut so. Vielleicht wird es heute mal nicht so heiß und bleibt unter 35 Grad. Eigentlich will ich mit dem Auto wegfahren und dann irgendwo wandern, aber ich ändere den Plan und wir beide starten zu Fuß gegen 11:15 Uhr. In meiner Karte wird östlich unseres Standorts eine kleine Rundwanderung oberhalb eines Flusses angezeigt. Heute am Sonntag ist hier auf dem geteerten Fahrweg nicht viel los. Hinter der D901 sind wir dann auf einem holprigen Steinweg und später dann unter hohen Bäumen. Trotzdem, es wird heiß, sehr heiß.

Ardèche 2011 

Merde, jetzt habe ich doch schon wieder nicht auf die Himmelsrichtung geachtet und bin gewohnheitsmäßig der gelben Markierung gefolgt – und habe dabei einen falschen Weg eingeschlagen. Hier an der Straße müssen wir dann aber tatsächlich umdrehen. Denselben Weg zwei Kilometer zurück! Und das bei der gnadenlosen Hitze! Hanni trinkt einfach nicht genug. Aber sie hüpft wie immer quicklebendig herum. Hoffentlich mache ich mir unnötig Sorgen.

Mächtige Eichen und hohe Buchsbäume wachsen hier im Wald. Deshalb ist es gerade noch erträglich im Schatten. Viele rauhe weiß-graue Felsen stehen links und rechts unseres Weges.

Im Wald (Le Bois de Paϊolive) begegnen uns später immer wieder Leute. Was ist denn hier los? Aber bald weiß ich es, wir sind hier oberhalb des Flüßchens Chazzerac (ein schöner kleiner Nebenfluß der Ardèche) und haben einen spektakulären Blick zweihundert Meter steil, fast senkrecht, nach unten. Da unten wimmelt es von Leuten, die sich am und im kühlen Wasser ergötzen. Da wäre ich jetzt auch gerne, aber das geht natürlich nicht, kein Weg führt nach unten. Die Leute zelten, liegen nur so am Ufer oder planschen im Wasser herum, springen von Felsen im Fluß in die kühlen Fluten, grillen, fahren mit Paddelbooten und Kanus auf dem Fluß und haben unendlich viel Spaß. Und vor allem gekühlte Getränke. Das Paradies ist nah und doch unerreichbar.

  Ardèche 2011

Ardèche 2011

Wir hier oben klettern über zum Teil hohe Felsbrocken und sind dabei oft in großer Gefahr, abzustürzen. Hanni muß mir natürlich auch ständig ihren Mut zeigen und wie eine Gemse am Abgrund herumhüpfen. Also mache ich mir noch mehr Sorgen um sie. Hannis Bruder Charlie würde das hier jedenfalls nicht schaffen, er läßt sich ja sogar zum Pippi machen gerne mit dem Auto herumkutschieren. Unsere beiden Wasserflaschen sind natürlich längst warm wie jeden Nachmittag.

Aber nicht nur die Aussicht ist erwähnenswert. Nein, hier stehen viele kleine Leute herum. Steinmännchen! Sie tummeln sich hier zuhauf, es ist der blanke Wahnsinn, bei zweihundert höre ich auf zu zählen, große, kleine, zierliche, schwere, elegante, plumpe, hohe, niedrige, graue, farbige. Wer hat die nur alle aufgebaut? Ein Meer von Steinmännchen! Eigentlich wie eine erstarrte Pinguin-Kolonie, Hape beschreibt es jedenfalls so in der „Bibel“ eines jeden Jakobsweg-Pilgers. Wie viele Menschen hier schon gewesen sein müssen!

Ardèche 2011 

Ardèche 2011

Leider stören ein, zwei Familien das Bild, auch Kinder, die mir angesichts des Abgrunds recht unachtsam erscheinen, denn es gibt keinerlei Geländer oder sonst etwas als Schutz, einfach nur die waagerechte Felsplatte und die Bergwand senkrecht nach unten. Ich jedenfalls hätte reichlich Angst um meine Kinder. Ich finde es etwas überlaufen hier, manche Leute sind unfreundlich, sie können kaum Bonjour sagen.

Irgendwie muß auf meiner Stirn „Information“ stehen, denn ich werde ein paarmal nach dem Weg gefragt.

Die Begegnung mit den Leuten ist erträglich. Schlimmer sind eigentlich nur noch die Düsenjäger, die fast an jedem Werktag über uns hinwegdonnern. Aber das ist dann ja immer nur ein kurzer Spuk.

Später geht es zurück nach Westen, durch den Wald. Heute ist der heißeste Tag und natürlich habe ich viel zu wenig Wasser (Ballast) dabei. Schlagartig sind wir wieder beide allein.

Auch hier im Wald stehen wie einfach überall unheimlich viele Mauern herum. Sie beeindrucken mich ja jedes Mal, wenn ich in den Cevennen bin. Was für eine Arbeit sich die Leute früher damit gemacht haben. Diese Mauern sind oft mehr als einen Meter breit und lang, sehr lang.

Ardèche 2011 

Einige Wege sehen alt aus, so alt, daß sie wahrscheinlich schon zu Zeiten der alten Römer gebaut worden sind, oder wenigstens zur Zeit der Drei Musketiere. Viele Steine, die hier doch sonst so scharfkantig sind, sind von den vielen Füßen rund und glatt geschliffen.

Auf dem Heimweg macht mir Hanni große Sorge, ihre Zunge hängt fast bis zum Boden runter und trotzdem will sie kaum etwas trinken. Hoffentlich bekommt sie keinen Hitzschlag! Wird sie es schaffen? Wir ruhen uns ein paar Minuten im Schatten eines Busches aus. Aber auch ich zeige Schwächen. Schon seit einer halben Stunde habe ich meinen alten, in Syrien erstandenen, billigen grünen Regenschirm aufgespannt, egal, wie es aussieht, hier kennt mich ja niemand, und ich laufe wie eine alte Oma mit einem offenen Regenschirm in der Sonne herum. Ich hatte den Schirm wegen des angekündigten Regens mitgenommen, und jetzt leistet er mir wertvolle Dienste. Ich wundere mich, daß ich hier keine Probleme mit meinen Augen bekomme.

Ardèche 2011 

Wir sind total erschöpft, als wir um 16:15 Uhr zurückkommen und fallen wieder wie tot aufs Bett. Heute war definitiv der heißeste und anstrengendste Tag, obwohl unser Weg fast eben war. Aber schließlich sind wir ja auch beide nicht zum Vergnügen hier. (Ist Spaß, soll ein kleiner Scherz sein…) Trotzdem: Ich wundere mich immer wieder, daß ich nie Muskelkater oder gar Blasen an den Füßen bekomme. Ich weiß eigentlich kaum, was das ist. Von daher wäre ich bestens für den Jakobsweg geeignet und ich würde ihn auch gerne gehen, aber mit Hanni würde es im Flugzeug unmöglich sein und in der Bahn zu schwierig werden.

Abends satteln wir unser Auto und fahren wie immer zum Essen runter in die Stadt. Natürlich sind wir beide längst wieder gut erholt. Heute speisen wir im „Don Camillo“, einer großen Pizzeria mit vielen Tischen im Freien. Wir haben Glück und bekommen noch einen schönen kleinen Tisch.

Nach dem obligatorischen Kir de pèche gibt es als Vorspeise ein Stück Leberpastete, dann ein Steak, (ich hätte wohl doch lieber eine der unzähligen Pizzas bestellen sollen, aber Hanni schmeckt‘s dafür umso besser), Käse (ist in Wirklichkeit Joghurt) und ein Crème brûllée. Dazu wie immer ein Fläschchen hiesigen Rotweins und ein Coke gegen den Durst. Café und Zigarre sind ja auch längst selbstverständlich. Womit ich auch heute wieder alle mühselig abtrainierten Kalorien längst wieder drauf haben dürfte…

Übrigens, ich habe extra mal aufgepaßt, crème brûllée wird hier auf vielfältige Weise geschrieben, mit einem „L“ oder mit zwei, mit einem „E“ oder mit zwei. Merkwürdig. Auch bei der Temperatur dieses Desserts gibt es große Unterschiede: Crème brûllée bekommt man kalt, warm oder glühend heiß serviert. Mir ist es heiß am liebsten, die Schreibweise läßt mich dabei eher kalt.

Inzwischen schwingt wieder das gewohnte breite Lächeln in meinem Gesicht. Und nicht nur wegen des guten Essens. In solchen Momenten verstehe ich, wie man Alkoholiker werden kann…

  Ardèche 2011

Ardèche 2011

Auch zu Hause fühle ich mich noch sehr wohl. Die Temperatur hat sich deutlich abgekühlt. Endlich mal ein angenehmer Abend, viel zu schade, um schon ins Bett zu gehen. Deshalb gibt es noch ein, zwei Gläschen kühlen Rotweins und eine weitere Zigarre. Der Frosch ist (heute viel zu früh) da, seine Kollegen bleiben verschwunden. Er hat heute kaum Bock auf Quaken, bestimmt vermißt er sie und ahnt, welches Schicksal auch ihm bevorsteht…

Irgendwo weit weg im Westen ist ein heftiges Gewitter. Ein paar leise Grillen sind zu vernehmen. Die Zikaden haben ja schon lange Feierabend gemacht. Der Halbmond leuchtet hell über uns und beleuchtet die Kulisse der Bergkette im Süden. Langsam bin ich hier zu Hause. Die Luft ist glasklar und angenehm sauber. Ich liebe diese seltenen romantischen warmen Sommerabende. Der letzte war kürzlich auf meiner Orientreise am Toten Meer.

Hanni ist wie immer meine lebendige Alarmanlage, die Tür kann wie jede Nacht offen bleiben.

 

Montag, 11. Juli 2011
Thueyts

Zufällig haben die Hausvermieter auch einen Wanderführer über die hiesige Gegend geschrieben und er ist auch ganz zufällig im Haus vorhanden. So will ich mir heute mal eine Wanderroute aus ihren vielen Vorschlägen aussuchen. Ich fackle nicht lange, meine Wahl fällt auf Vorschlag Nr. 8, „Die Teufelsbrücke bei Thueyts“, ein leichter Rundwanderweg.

Nach dem gemeinsamen Frühstück fahren wir im Lexus die sechzig Kilometer nach Thueyts rüber. Das Navi spricht von fünfundvierzig Minuten Fahrtzeit; in Wirklichkeit sind es dreißig Minuten mehr, der Weg führt an Largentière vorbei, einem Ort, den ich noch von meiner letzten Wanderreise von vor zwei Jahren gut kenne und daher vieles wiedererkenne. Dann geht es auf einer engen kurvigen Straße den Col de Millet auf achthundert Meter Höhe rauf und wieder runter. Ab der Paßhöhe ist die Straße sehr großflächig ausgebessert, überall liegt feiner lose hingeschütteter Rollsplit herum, ich bin froh, hier nicht mit dem Moped herumfahren zu müssen. Die Straße ist so schmal, daß jede Begegnung zweier Autos zum Abenteuer wird.

In Thueyts stelle ich wie vorgeschlagen das Auto am Marktplatz ab. Aber schon der Start ist schwierig, die tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen nicht den beschriebenen. (Hinterher stellt sich heraus, daß es zwei Wege gibt, einen leichten und einen schweren, und daß ich natürlich die „falschen“ Schilder für den schweren Weg zuerst gefunden hatte. Vielleicht hätte ich doch besser den bleischweren Wanderführer mit mir herumschleppen sollen?)

Wir folgen einem ausgeschilderten Weg und erreichen geradezu teuflisch steile und tiefe Stufen durch bläulich schwarze Basaltfelsen eine Steilwand zur Teufelsbrücke hinunter.

  Ardèche 2011

Ardèche 2011

Auf jeden Fall ist es nicht ganz ungefährlich hier hinunter und ich bin froh, als wir beide, Hund und Mensch, wohlbehalten unten an der „Pont du Diable“ (Teufelsbrücke) ankommen. Die Brücke ist offensichtlich schon sehr alt und überspannt mit hohem Bogen die „L’Ardèche“.

Obwohl Montag, herrscht hier jede Menge Trubel, unzählige Menschen tummeln sich bei fröhlichem Wassersport. Lange muß ich warten, bis auf der Brücke endlich mal keine Menschen versammelt sind und bis ich endlich ein Foto knipsen kann.

Ardèche 2011 

Ardèche 2011

Die Gegend hier heißt auch Chaussée des Géants (Straße der Riesen).

Dann geht es auf der anderen Seite steil hinauf, oben über eine kleine steinerne Brücke im Wald und an ein paar alten Häuserruinen (Fargebelle) vorbei und wieder runter.

Ardèche 2011 

Hier von einer „leichten“ Wanderung zu sprechen, halte ich für maßlos übertrieben. Oder muß ich hier doch eher sagen „untertrieben“? Egal, jedenfalls müssen wir uns beide reichlich anstrengen. Der Höhenunterschied für diese Wanderung wird im Buch mit, ich glaube, 210 Metern angegeben. Das mag ja rein faktisch stimmen, ist aber trotzdem total falsch. Erst einmal den steilen Berg hinunter, über den Fluß, auf der anderen Seite rauf und wieder runter, erneut über den Fluß und noch einmal hinauf. Das sind dann für mich eher viermal 210 Meter, und das auf steilem fast unpassierbarem schmalem Klettersteig. Kumuliert sind das dann doch immerhin achthundert Höhenmeter. Ich schimpfe jedenfalls ganz schön heftig auf dem „leichten Rundwanderweg“ vor mich hin, während mir der Schweiß aus allen Poren quillt. Übrigens, Schweißtropfen sind genauso salzig wie Tränen, aber man vergießt sie natürlich viel lieber…

Ardèche 2011 

Obwohl wir meist im Schatten unter hohen Kastanien und Eichen herumklettern, ist es viel zu heiß.

Ardèche 2011 

Unten überqueren wir eine weitere steinerne Brücke und dann müssen wir mühsam eine sehr lange und erneut schweißtreibende Treppe hinaufsteigen, die „Èchelle de la Reine“ (Treppe der Königin). Um 15:30 Uhr sind wir nach zweieinhalb Stunden zurück am Auto.

  Ardèche 2011

Insgesamt war die Wanderstrecke im Buch viel zu umständlich und viel zu langwierig beschrieben, ich hätte mir gar nicht so vieles merken müssen. Ich glaube, in Zukunft suche ich mir lieber wieder meine eigenen Wanderstrecken aus.

Zurück nach Hause nehme ich die etwas längere aber einfachere Strecke über Aubenas. Im Haus angekommen lese ich als erstes sicherheitshalber noch einmal im Buch nach, ob es dort wirklich „leichter“ Rundwanderweg heißt. Es heißt! Mit Frau und Kindern hätte man hier bestimmt Probleme bekommen.

Nach der gewohnten Erholungspause fahren wir beide wieder runter in die Stadt und essen in einem Restaurant am Fluß.

Ardèche 2011 

Kir, Salat Italienne (nur Tomatenscheiben mit Löwenzahn), eine sehr fettige Pizza, (weil es hier im Menü als Fleisch nur Lamm gibt), Fromage, Crème  brûllée, ein Coke, ½ Liter Rotwein. Hier bin ich zum ersten Mal nicht sehr zufrieden, Hanni auch nicht.

Zurück zuhause sind es immer noch 27 Grad. Immer wieder fährt mal ein Auto vor dem Grundstück vorbei, auch des Nachts. Auch Leute höre ich tags und nachts vorbeilaufen. Einmal sogar eine Gruppe, die wohl eine Nachtwanderung veranstaltete.

Schade, endgültig kein Froschgequake mehr. Ich bin etwas traurig. Fledermäuse flitzen durch die Nachtluft.

 

Dienstag, 12. Juli 2011
Banne

Der (böse froschzerreißende) Nachbar macht ja alle Tage etwas Lärm. Aber heute werde ich durch zusätzlichen Krach vom rötlichen Rohbau oberhalb unseres Hauses frühmorgens geweckt; die Zimmerleute setzen drei, ein paar Tage zuvor gelieferte dicke schwere Baumstämme aufs Dach. Deshalb stehen wir beide schon um halbacht auf. Wie immer eine kurze Regendusche unten und dann das Frühstück. Die Zikaden beginnen mit ihrer „Arbeit“ wie immer erst gegen acht Uhr.

Heute Morgen ist es wieder trüb, deutlich angenehmer, die Sonne sticht nicht mehr so stark.

Heute fahren wir beide zehn Minuten im Auto ein paar Kilometer hinüber nach Banne und parken das Auto dort am großen baumumstandenen Marktplatz. Der mittelalterliche Ort hat eine alte Festung, eine sehenswerte romanische Kirche und liebenswerte Gassen.

Ardèche 2011 

Ardèche 2011

Ardèche 2011

Wir wandern um einen nicht sehr hohen Berg herum. Endlich mal ohne viel Quälerei, meistens wieder unter hohen schattigen Eichen und Kastanien. Heute Morgen habe ich noch überlegt, zwei Tage eher heimzufahren, jetzt bin ich froh, es nicht getan zu haben.

Ardèche 2011 

Ardèche 2011

Meine vormittägliche Hoffnung, daß es doch noch eine schöne Wanderung werden könnte, bestätigt sich; sie dauert aber auch nur zwei Stunden. Ich liebe einfach die cevennische Landschaft.

Zum Abschluß genehmige ich mir in einem der beiden Restaurants am großen Platz ausnahmsweise einen kleinen (leider nicht empfehlenswerten) Salat, zwei Tomaten und viele Salatblätter, etwas Mais und noch weniger Dressing, ein Coke und ein Bier (Cuvée des Trolls mit 4%). Die EUR 13,50 dafür sind eigentlich eine Unverschämtheit.

  Ardèche 2011

Während unseres Nachmittagsschläfchens verschwindet die Sonne und es fängt an, in der Nähe zu gewittern. Es tröpfelt sogar ein bißchen. Das schreckt uns aber nicht ab, zum Abendessen wie immer runter in den Ort zu fahren. Ich nehme uns erneut das Dardaillon und esse (und trinke) exakt das gleiche wie vorigen Donnerstag. Die netten Holländer am Nebentisch schätzen mich als Engländer, möglicherweise Amerikaner ein, bis sie herausfinden, daß ich ein Deutscher bin und dann auf deutsch/holländisch mit mir reden. Carpaccio und Steak fallen heute deutlich kleiner aus.

  Ardèche 2011

Um halbzehn liegen wir beide im Bett. Immer noch keine roten Augen. Und wirklich kein Frosch mehr.

 

Mittwoch, 13. Juli 2011
Ums Haus herum

Nachts hat es rundrum ständig gewittert. Endlich gab und gibt es auch den dringend notwendigen Regen. Morgens im Bett immer noch Landregen. Die Natur ist froh über das frische Naß von oben. Ich eher weniger. Hätte unser Wetter nicht noch ein, zwei Tage so sonnig bleiben können? In der Küche ist eine Wand naß, etwas Wasser dringt durchs Dach ein.

  Ardèche 2011

Ich überlege schon wieder, hier alle Zelte abzubrechen und wegzufahren, aber das Wetter ist offenbar überall so schlecht. Also entscheide ich, hierzubleiben und eines meiner dafür mitgenommenen Bücher zu lesen. Und hier steht auch noch eine ganze Bibliothek zur Verfügung. Da müßte es sich doch Monate aushalten lassen. Oder ich könnte endlich den kleinen Fernseher in Betrieb nehmen; was ich dann aber doch nicht mache.

Trotz aller Kühle draußen, (höchstens noch 18 Grad), ist es im Haus immer noch kuschelig warm. Ich würde gerne zur Feier des Tages Spiegeleier machen und notgedrungen sogar die Pfanne spülen, habe aber kein Fett oder Öl. Auch keine Butter. (Für meine Frühstücksbrote bevorzuge ich Frischkäse als Butterersatz.) Deshalb bleibt‘s beim weichgekochten Ei.

Später, nach dem Frühstück, wird das Wetter geringfügig besser, auf jeden Fall hört der Regen auf. Also lassen wir alles stehen und liegen und laufen einfach los, der Nase nach. Ohne Rucksack, sogar ohne Wasser, ganz locker, einfach so, irgendwie rund ums Haus. Falls es zu regnen anfängt, können wir beide relativ rasch nach Hause flüchten.

Ardèche 2011 

Im Osten donnert es noch immer, aber hier bei uns kommt auch schonmal etwas Sonne durch. Unterwegs muß ich mal unsere Richtung etwas ändern, weil es schon wieder dunkel vor uns wird, aber insgesamt bleiben wir trocken. Die Zikaden sind heute mucksmäuschenstill. Die vier Esel auf dem Nachbargrundstück empfangen uns interessiert und gutgelaunt. Um eins sind wir zurück.

Ardèche 2011 

Ardèche 2011

Nachmittags packe ich schonmal, morgen geht es heim. Längst ist es wieder warm.

Abends nehme ich den Müll mit, auf der Fahrt zum Essen. Es ist immer noch ungewohnt kühl, nur noch 22 Grad und mit einem böigen Wind. Welch ein Wetterumschwung. Die ganzen Tage 35°C und mehr und jetzt plötzlich so kühl.

Ich werde immer älter und vergeßlicher. Ich habe meine Brille, das Hundegeschirr und die Leine für Hanni zuhause vergessen. Mannomann, das ist mir ja noch nicht passiert, ich hatte doch wirklich genug Zeit. Hanni läuft in den Gassen brav „bei Fuß“.

Abendessen wieder im Don Camillo, habe einfach keine Lust, ein neues Restaurant zu Suchen. Ich habe Glück und wir beide bekommen den wirklich allerletzten kleinen Tisch, alles besetzt oder reserviert. Ich kann beobachten, wie der Patron nach mir viele Gäste abweist.

  Ardèche 2011

Da ich das letzte Mal hier sehr zufrieden war, nehme ich hier auch wieder das gleiche Menü wie am Sonntag ein. Hanni hat heute nichts gegessen, da dürfte ihr das Steakfleisch guttun.

Um elf Uhr, wir sind längst im Bett, gibt es das angekündigte Großfeuerwerk. Morgen ist französischer Nationalfeiertag. 14. Juli. Hanni hat Angst wie immer bei Feuerwerk und Gewitter, drückt sich eng an mich und zittert.

 

Donnerstag, 14. Juli 2011
Les Vans  -  Saint-Galmier

Abreise. Jeder schöne Urlaub geht einmal zu Ende, schade. Passend dazu werden wir früh um 6:40 Uhr geweckt, die Arbeiter weiter oben am Neubau hämmern auf ihrem Dach herum. Die Nacht war kalt, ich habe morgens sogar Tür und Fenster schließen müssen.

Solange habe ich mich noch nie selbst beköstigen müssen. Aber es ging. Ich packe unsere restlichen Sachen zusammen und bekomme Lust, heute noch eine schnelle Wanderung zu machen. Beim Frühstück um acht Uhr singen uns Peter Gabriel und Sinead O’Connor eins meiner Lieblingslieder im MP3-Player vor, „Blood of Eden“, und stimmen mich mit der Melodie fröhlich.

Rasch sind die letzten Sachen gespült und weggeräumt. Ich will heute noch einmal die gleiche Wanderung wie am ersten Donnerstag durch die Schlucht des Granzon machen, nur anders herum. Zeit ist ja noch genug, in zwei Stunden sind wir zurück, bis zum heutigen Ziel in der Nähe von Lyon schaffen wir es allemal, notfalls nehme ich die Autobahn.

Abmarsch um neun. Temperatur: Eigentlich angenehm. Gut, daß ich gestern schon das meiste gepackt und aufgeräumt habe, alles Entbehrliche liegt bereits im Auto. Nachher dusche ich noch schnell, ziehe die bereitgelegten frischen Sachen an und dann zischen wir ab.

Etwas kühl ist es jetzt immer noch, aber wenigstens kein Regen. Mindestens zehn fröhliche Schmetterlinge begleiten uns beide ein Stück des Weges. Auch die vier freundlichen Esel kommen an den Zaun und scheinen uns Lebewohl sagen zu wollen.

Oben an der Abzweigung wurde über Nacht das Straßenschild getötet (umgefahren). Es liegt da ganz traurig im Gras. Gestern Nachmittag habe ich noch meine Kamera auf den Pfosten stellen und ein Selbstauslöserfoto machen können. Weitere Unfallspuren sind nicht zu sehen.

Irgendwie kommt es mir heute sehr ruhig vor, ach so, heute ist ja Feiertag, deshalb so wenig Verkehr. Wenn ich könnte, würde ich die Sonne etwas wärmer stellen. Aber das ist dann kurze Zeit später schon gar nicht mehr erforderlich, sie scheint und es ist schon wieder warm, angenehm warm. Vor allem unten im Tal am Fluß.

Hier unten ist es still, mucksmäuschenstill. Ein wirklich ruhiger Feiertags-Vormittag, wie ich ihn bei uns schon lange nicht mehr erlebt habe. Sogar die Zikaden beginnen etwas später mit ihrem Radau. Ich entscheide spontan, daß dies die schönste Wanderung dieser Reise ist. Keine großen Anstrengungen und vor allem, nicht so heiß. Meistens hat Hanni ja schwer gehechelt, heute geht es ihr besser, sie läßt die Zunge nur leicht raushängen. Auch sie fühlt sich ausgesprochen wohl. Im Flußbett ist das meiste Wasser längst durch, wir haben keine Probleme.

  Ardèche 2011

Ardèche 2011

Ardèche 2011

Als wir dann um 11.45 Uhr zurückkommen ist das Hoftor offen, die Haustüren sind aufgerissen. Was ist hier los?! Einbrecher?! Ach so, ein Besen und ein Putzeimer stehen herum, die Reinemachfrau ist schon da und hat mit ihrer Arbeit angefangen. Heute Nachmittag um vier kommen schon die nächsten Gäste, sagt sie mir und da muß sie sich offenbar ranhalten, obwohl ich ja kaum etwas benutzt oder gar schmutzig gemacht habe.

Sie fuhrwerkt unten lautstark mit ihrem Staubsauger herum. Das hätte sie für uns eigentlich auch tun können, bevor wir beide das Häuschen bezogen haben. Schlecht nur, daß ich jetzt die untere große Dusche nicht mehr benutzen kann. Ich überlege noch kurz, sie hat wohl notfalls auch schonmal einen nackten Mann gesehen, aber dann laufe ich doch lieber schnell rauf und dusche dort ungestört im kleinen Bad; das reicht ja auch mal. Ist doch etwas diskreter, als wenn da eine fremde Frau im Nebenraum, ohne Tür und nur mit einem Vorhang abgetrennt, herum wuselt.

Um halbeins fahren wir ab und bringen noch den restlichen Müll weg. Unten im Dorf wird mithilfe der EC-Karte an der automatischen 24/24-Tankstelle bei Super U getankt. Es ist ja Feiertag und alles geschlossen.

Ich nehme heute eine schmale Nebenstraße nach Villefort. Unsere Straße wird immer schmaler und kurviger und führt an steilen Berghängen entlang. Links unter uns sind ein, zwei langgezogene Stauseen. Es fängt ja erst ganz lässig an, doch dann wird es schon etwas dramatischer, vor allem, weil uns ein paar idiotische Spinner entgegen gerast kommen. Da bekommt man schon mal etwas Sorge um seine doch relativ weit herausragenden Seitenspiegel. Einige Male denke ich „Wärst Du hier mal besser nicht gefahren!“ Aber alles geht gut. Ich habe ja schon ein paar aufregende Straßen in USA, auf den Kanarischen Inseln, Zypern und Kreta entdeckt, die hier ist aber echt die Krönung.

Ardèche 2011 

Ardèche 2011

Ardèche 2011

Ardèche 2011

Zwischendurch gibt es auch ein paar Baustellen und unasphaltierte Stücke. Ich glaube, hier möchte ich nicht noch einmal mit dem Auto fahren. Die mehrfach angezeigte erhöhte Steinschlaggefahr ist hier eher das weniger wichtige Problem. Mit dem Moped ja, jederzeit.

Später auf der Landstraße ein schlimm aussehender Motorradunfall; Polizei, Rettungswagen, Abschleppfahrzeug. Ich bin immer froh, wenn ich schnell dran vorbei bin. Ich hoffe dann immer, nicht mal selbst so herumliegen zu müssen.

  Ardèche 2011

Ardèche 2011

Später erwische ich noch einmal eine besonders schöne Straße, die D906, die ich noch nicht gefahren bin. Die Temperatur fällt bis auf 14 Grad und bleibt da auch. Aber vom Auto aus ist die Landschaft wunderschön, weit kann man sehen, sicher hunderte Kilometer weit. Bestimmt ist alles hier vulkanischen Ursprungs. Der Col de l’Arbre ist 941 Meter hoch.

  Ardèche 2011

Am späten Nachmittag, wir nähern uns St. Etienne, liegt eine weitausgebreitete Tiefebene vor uns. Nur noch sechsundzwanzig Kilometer bis zum Ziel, dann haben wir es geschafft. Noch eine umständliche weiträumige Umleitung und dann sind wir um viertel vor sechs am vorher gebuchten Hotel in Saint-Galmier, westlich von Lyon. Wir sind zurück in der Zivilisation, das herrschaftliche Haus steht in einem respektablen Park mit wunderschönen hohen Bäumen inmitten eines gepflegten Rasens. Der Empfang ist sehr freundlich, (wenn auch der Hund schon wieder zehn Euro extra kostet), das Zimmer liegt wunschgemäß im ersten Stock, das große breite Bett lockt mit vier Kissen, unser Fenster öffnet sich in den weiten Park. Schöne Möbel, ordentliche Tapeten und ein weicher sauber Teppichboden. Das Badezimmer ist auch OK, glitzernder Marmor, glänzende Armaturen, Herz, was willst Du mehr nach einer entbehrungsreichen langen Woche? Auch das Auto hat einen schönen Platz bekommen. So können wir beide entspannt dem Abendessen entgegensehen.

Das abendliche Diner ist die Krönung der Reise: Ein Kir de pèche wie immer als Apéritif, zwei interessante Kekse als Amuse-Gueule, als Vorspeise eine mehrschichtige Lachs-Creation sondergleichen. Ich bin schon jetzt ehrlich begeistert.

Der Rotwein aus der Region („Côtes de Forez“) paßt hervorragend und mundet mir außerordentlich. Wie schön ist es zu leben! Dazu sanfte Klavier-Musik von einer CD, das luxuriöse Umfeld, das etwas unbeholfene Personal (fast zum Totlachen ist die Unerfahrenheit der drei jungen servierenden Leute, dazu die unnötig klappernden hohen Absätze des jungen Mannes…).

Endlich ein Oberkellner mit perfektem Englisch, mit dem ich mich ordentlich unterhalten und die Menüfolge besprechen kann. Ich bin erleichtert, daß Hanni mit ihrer untergelegten Decke hier neben mir auf einem eigenen Polstersessel liegen darf. Wir beide genießen den Abend. Schade, daß ich nicht einfach mal schnell zum Essen hierher fahren kann. Aber ich werde bestimmt wiederkommen. Hanni gefällt es hier genauso gut.

Dann gibt es drei kleine Scheibchen Schweinelende mit Reis. Das Fleisch muß ich mit Hanni ehrlich teilen, sie hat schon wieder den ganzen Tag alles Essen verweigert. Am Ende wundere ich mich, von so wenig trotzdem satt geworden zu sein.

Dann der Käse! Aus einer reichen Auswahl lasse ich mir ein Stück nach dem andern geben, der Ober gibt mir alles, was ich will. (Üblicherweise bekommt man ja nur drei, vier Stückchen abgeschnitten.) Allein für den Käse haben sich alle Strapazen gelohnt! Ich liebe dieses Restaurant heiß und innig! Übrigens, abgenommen werde ich wohl nicht haben, bei diesen allabendlichen Orgien und Exzessen.

Und es geschieht das Unaussprechliche: Ich bin übergeschnappt und bestelle tatsächlich noch einmal einen halben Liter desselben Rotweins. Mannomann, ein Liter Rotwein am Abend! Aber ich werde ihn nie mehr zu trinken bekommen! Ist doch egal, was die andern Gäste denken.

Was iss’n jetz los? Der gansse Tisch wackelt ja?! Wass ham die denn mit dem blöden Tisch auf’nmal gemacht? Könn die den nich besser am Boden fesssschraum??!

Ist nur Spaß! Ich bin natürlich noch total nüchtern, hicks, bis auf eine gewisse Leichtigkeit. Auf jeden Fall ist dieser Rotwein ein Zaubertrank, geradezu ein Elixier, denn ich könnte Bäume rausreißen, na, OK, kleine zarte Bäumchen…

Vor dem Dessert wird der Tisch abgekehrt, muß ja so sein, kenne ich schon. Sehr korrekt! Ich liebe dieses umständliche Abkehren der Tischdecke. Manchmal können solche Prozeduren ganz liebenswert sein.

Jetzt kommt das Crème brûllléeee! Ist doch im Moment egal, wie man es schreibt, oder wie es aussieht, Hauptsache es schmeckt. Es ist etwas anders als sonst, eigentlich wie ein dunkelbrauner Kloß, aber ich liebe den Koch. Heiß und innig! Endlich mal keiner dieser „nur Warmmacher“ in der Küche! Eigentlich hat dieses Crème brûllée hier genauso viel mit üblichem Crème brûllée zu tun wie ein Unterhöschen mit einem BH. Aber trotzdem, es ist einfach toll hier.

Der Café ist auch perfekt, mit einem Stückchen Bitterschokolade, einfach wie es sich gehört und überall Standard sein sollte.

Warum mußte ich so alt werden, um solche einfachen Genüsse zu erleben? Welt, ich liebe Dich! Ich liebe Euch doch Alle!

Man kann bestimmt billiger essen, aber kaum besser. Ich bin rundum zufrieden und könnte noch stundenlang weiter über die empfangenen Genüsse schreiben, aber ich fürchte, niemand will es lesen. Schade eigentlich, das sind so meine Sternstunden im Zauberwald und ich erinnere mich gerne an sie.

Natürlich gibt es noch eine Zigarre draußen auf der Terrasse und dann verschwinden wir beide in unserem kuscheligen Wohlfühlbett.

 

Freitag, 15. Juli 2011
Heimfahrt

Endlich geht’s nach Hause. Frühstück um acht, Abfahrt um neun. Die Matratze hatte zu viele Metallfedern und war mir zu weich. Ich schlafe ja lieber auf teuren harten Matratzen, oder notfalls auf billigen harten. Es ist halt wie immer eine Frage des Geschmacks. Aber wir haben beide trotzdem prima geschlafen. Das Frühstück könnte für den Preis etwas umfangreicher sein, aber wir sind hier ja in Frankreich.

Ich beschließe, die sechzig Kilometer nach Lyon erst einmal auf der Landstraße (D489) zu fahren. Eine überaus glücklich machende Entscheidung. Die Sonne lacht vom Himmel, die Straße ist OK, was will man mehr? Die Straße zieht sich zwar etwas, ist kurvig und bergig, sie bietet aber wunderschöne Aussichten in Täler und weit über die Berge hinweg; ich bin begeistert. Auch hier wächst viel Wein. In einigen besonders engen Kurven guckt mich Hanni etwas mißbilligend an, sie bleibt aber gelassen. Die Luftfederung kann eben nicht alles ausgleichen. Die Autobahn nach Lyon wäre einfacher, aber auch viel langweiliger.

 

Ardèche 2011

Hier verirren sich Touristen selten hin. Wirklich schön hier. Und ausgesprochen wenig Verkehr. Muß ich mir auch gut merken. Einziger Wermutstropfen: Leider bremsen einen in den Ortschaften extrem hohe Fahrbahnschwellen deutlich ab. Aber wir sind ja gemächlich unterwegs und haben genügend Zeit.

Dann wird es städtisch, wir nähern uns Lyon. War es wirklich richtig, keine Autobahn wie sonst zu nehmen? Es war! Denn ich habe Glück, fahre auf dem Périphérique Nord (für zwei Euro) mithilfe mehrerer Tunnels unter der Stadt hindurch und komme ganz einfach direkt auf die Autobahn. Keine Ampel, kein Stau, pas de problème, keine Probleme. Sehr gut!

Es ist sonnig und bis zu 22 Grad warm. Bis Bourg-en-Bresse nehme ich die mautpflichtige Autobahn, später dann wieder die Nationalstraße N83.

Ardèche 2011 

Ardèche 2011

Die Fahrt durch Besançon ist schlimm wie immer, aber die anschließende Fahrt entlang der Doubs entschädigt uns für den Stress der Großstadt. Hier tanke ich nochmal voll. Hätte ich früher auch nicht geglaubt, daß in Frankreich einmal das Benzin deutlich billiger sein würde als bei uns.

Doubs (Fluss) – Wikipedia

Dann geht es an Colmar (Freiheitsstatue)

  Ardèche 2011

und Strasbourg (Rush Hour mit Stop and Go) vorbei, links die Vogesen, rechts der Schwarzwald. Leider ist es etwas dunstig, aber man kann nicht alles haben. Nachdem ich mit meinem Dampfer geschätzte sechsunddreißigtausend französische Kreisverkehre mühsam umschifft habe, erreiche ich endlich die deutsche Autobahn und fahre durch die Pfalz und am Rhein entlang nach Hause. Übrigens: Sinnvolle Kreisverkehre sind ein Segen, aber ich hasse die unnötigen, aus denen viel zu wenig Querverkehr herauskommt und die einfach nur lästig sind. In Frankreich wie in Deutschland.

Ich bin bestimmt 1.800 Kilometer durch Frankreich gefahren und habe hier höchstens zwanzig Windräder gesehen, Photovoltaik eigentlich gar nicht, mit einer Ausnahme auf dem Dach eines Bauernhofes, Solarzellen für Warmwasser nur selten. Und dabei haben die doch viel mehr Sonne und Wind als wir.

Um 19:00 Uhr sind wir beide heil zu Hause. 2.140 Kilometer gefahren. Der schwere Lexus-Hybrid hat wirklich nur 7,8 Liter Super auf hundert Kilometer verbraucht.

Nichts kaputt gemacht, kein Strafzettel, nicht geblitzt, nichts vergessen oder verloren. Wieder Glück gehabt. Ich danke Gott und meinem Schutzengel.

P.S.: Eins habe ich mir vorgenommen, falls ich noch einmal in die Cevennen fahren sollte: Ich werde, auf jeden Fall bis Lyon, möglichst viel Autobahn nehmen. Die Landstraßen mit den vielen Kreisverkehren, Fahrbahnschwellen, LKWs und überhaupt zu vielen Torfnasen, Verrückten, Chaoten und Idioten sind mir einfach zu anstrengend geworden.

***  

Nächste geplante Reise(n):

-       Wandern im Schwarzwald mit Hanni (August 2011)

-       Durch die USA (vielleicht Florida oder Neuengland)
im Wohnmobil mit Ingrid (Herbst 2011)

 

© 2011 Wilfried R. Virmond   -   Nachdruck, auch auszugsweise, grundsätzlich nur mit Genehmigung des Autors

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