Orient April 2011  

Tag 1

Dienstag, 12. April 2011
Frankfurt – Amman/Jordanien

Kühl und regnerisch ist es heute Nachmittag - aber die ersten Apriltage waren ja auch zu schön, jetzt darf es ruhig mal etwas regnen. Ich stehe am Bahnsteig und warte auf den Zug, der mich direkt und ohne Umsteigen zu müssen zum Flughafen nach Frankfurt bringen soll. Wer Lust hat mitzukommen, möge sich mir einfach kurzentschlossen anschließen, es gibt Vollpension für alle. Getränke muss aber jeder für sich bezahlen! Außer Wasser, das bekommen wir alle kostenlos. Meistens.

So oder so, ich will nach dem verschlafenen Winterschlaf endlich wieder raus in die Natur und etwas Neues sehen, wenn möglich ein paar neue Abenteuer erleben, immerhin sind wir jetzt im chinesischen Jahr des Hasen, ich will ferne Länder und andere Kulturen erkunden, fremde Sprachen hören und schöne Landschaften sehen, deshalb geht es diesmal nicht nach Westen, nicht in die USA wie schon so oft, sondern in die entgegengesetzte Richtung, nach Osten, in den Nahen Osten, in den geheimnisumwitterten Vorderen Orient, also nach Arabien. Orient-Experten sollen die Gegend übrigens auch "Maschrek" nennen, hab‘ ich allerdings noch nie gehört.

Viele Leute haben mich gewarnt, ausgerechnet jetzt dort hinzufahren. Jeden Tag höre man von großen Demonstrationen mit Toten und Verletzten, politischen Unruhen und vielen anderen schlimmen Dingen. Meine kurze Erwiderung lautete dann stets: Habe ich mir doch schon immer gewünscht, einen Abenteuerurlaub mit „Bombenstimmung“. Meine Devise lautet schließlich schon mein ganzes Leben: Wer sich in Gefahr begibt ‑ hat mehr vom Leben.

Die Märchen aus Tausendundeine Nacht  ألف ليلة وليلة )  habe ich als Kind gerne gelesen. Und mich dann später, als junger Mann, natürlich ganz besonders gerne in die erotische Originalfassung vertieft...

Tausendundeine Nacht – Wikipedia

Damals hätte ich aber nie geglaubt, daß ich einmal hautnah mittendrin sein würde. Die vollmundigen Ankündigungen meines Reiseveranstalters klingen auf jeden Fall schonmal vielversprechend:

Auf der historischen Bagdadbahn zwischen Istanbul und Damaskus

Erleben Sie Ihr ganz eigenes Märchen in der Welt der Geschichten aus 1001 Nacht! Lassen Sie sich verzaubern von den Düften und Farben des Orients. Entdecken Sie die zu allen Epochen vom lebhaften Handel zwischen den Kulturen geprägten Spuren europäischer Geschichte.

Ich bin gespannt auf laute Basare und ruhige Moscheen, geheimnisvolle Gewürze und berauschende Düfte, üppige Palmen und paradiesische Gärten, riesige Serails (= Paläste) und enge Höhlenwohnungen, heiße Wüsten und kühle Burgen, holprige Straßen und klopfende Schienen - und auf geheimnisvolle verführerische Augenpaare hinter zarten Schleiern. Und vielleicht, wer weiß, sehe ich ja auch den einen oder anderen Fliegenden Teppich durch die Luft sausen…

Die Luftlinien-Entfernung Damaskus – Istanbul, also meine Reiseroute, ist eigentlich nicht so groß, vielleicht etwas über tausend Kilometer, sie dürfte der von Frankfurt nach Rom, oder höchstens bis Neapel entsprechen. Tatsächlich sollen wir aber (angebliche) dreitausend Kilometer zurücklegen. (Naja, Klappern gehört zum Handwerk.)

Aber, ganz im Gegensatz zu meiner Entscheidung, nur noch allein (oder höchstens zu zweit) reisen zu wollen, muß ich mich auf dieser Reise notgedrungen und ausnahmsweise wieder einer Gruppe fremder Menschen anschließen. Bestimmt lauter alte Leute; Männer mit Westen aus beigem Mikrofasergewebe und quasselnde Frauen. (OK, OK, ich bin auch nicht mehr taufrisch - und den Spruch mit dem Glashaus kenne ich auch…) Die Männer werden jede Lokomotive und jede einzelne Niete daran bestaunen, bestimmt spielen sie alle zuhause mit einer Spielzeug-Eisenbahn.

Begleitet werde ich von meinem neuen Samsung Galaxy Tablet-PC, auf dem ich jetzt laufend und aktuell meine Notizen machen kann, ohne mir wie bisher alles mühsam merken zu müssen.

Ich habe wie immer Glück gehabt, wie schon so oft in meinem Leben. Die Unruhen, die im Maghreb, in Tunesien begannen und sich dann immer weiter wie ein Flächenbrand ausbreiteten, haben Jordanien und Syrien (bisher) nur kurz gestreift, die libysche Revolution ist im Land geblieben, die japanische Apokalypse ist weit weg, meine Reise ist daher nicht abgesagt worden.

Ich fliege mal wieder mit der Lufthansa, mal wieder dank eines nur geringen Aufpreises in der Business-Class, diesmal von Frankfurt nach Amman, der Hauptstadt des haschemitischen Königreichs Jordaniens, mit offiziell (2004) etwas mehr als einer Million Einwohnern, in Wirklichkeit sollen es aber schon längst über zwei Millionen sein.  Und somit fast die Hälfte der Einwohner Jordaniens. Immerhin und erfreulicherweise gibt es tatsächlich einen Non-Stop-Flug der LH von Frankfurt nach Amman.

Mein neuer Rekord: In Frankfurt bin ich in weniger als 30 Minuten vom Bahnsteig durch sämtliche Kontrollen, einschließlich Einchecken und Gepäckaufgabe. Ist das vielleicht ein neuer Weltrekord?

Die LH-Lounge ist relativ groß und nicht überfüllt, sodaß ich hier bequem warten kann.

Unser Airbus A321-200 (typisches Fluggerät für die „Mittelstrecke“) startet abends pünktlich gegen 20:40 Uhr.

Hier vorne sind nur wenige Sitze besetzt, sodaß ich mir meinen Platz nach Lust und Laune aussuchen kann. Unterwegs lasse ich es mir wie immer gutgehen. Da ich diesmal nach der Ankunft nicht selbst fahren muß, darf ich die mir angeborene Zurückhaltung mal etwas vernachlässigen und den kostenlosen alkoholischen Getränken etwas großzügiger als sonst zusprechen. Hicks! Die Geisterstunde verbringe ich in der Luft.

Aber insgesamt bin ich von meinem Platz in der Business-Class dieses Mal außerordentlich enttäuscht. Nichts mit breitem Sitz und vielfältiger Verstellung. Nein, vielmehr sind es hier vorne dieselben Sitze wie hinten, nur, daß der jeweils mittlere Sitz der beiden 3er-Sitzbänke nicht benutzt wird. Sonst gibt es keinen Unterschied zur Economy-Class, halt, doch, wir erhalten hier vorne noch ein einfaches warmes Gericht. Das nenne ich Business-Class light und es ist den Aufpreis eigentlich nicht wert.

Begünstigt durch günstige Rückenwinde landen wir nach fünf Stunden Flugzeit pünktlich nachts gegen 1:55 Uhr auf dem Queen Alia Airport. Hier gibt es kein Nacktflugverbot, äh, Nachtflugverbot, der Flughafen liegt in einer unbewohnten Wüstengegend.

In Frankfurt war keine Zeit, aber hier in Amman darf ich es nachholen und trotz der späten Stunde noch rasch einen kurzen Blick ins Cockpit des A321 werfen. Die Piloten haben tatsächlich kein Steuerhorn mehr, sondern nur noch den berühmten kleinen Joystick links und rechts.

 

Orient April 2011

 

Merhaba! (Hallo!) Unsere Reiseleiterin Frau Magister Ingrid H. erwartet uns schon in der Ankunftshalle und teilt uns in zwei Gruppen ein, rot und blau, sie erledigt routiniert die Einreiseformalitäten für uns. Insgesamt sind wir exakt vierzig Personen. Ingrid kommt unüberhörbar aus Wien; ich liebe ja den Wiener Akzent und besonders den Weaner Schmäh.

Bei Wikipedia heißt es dazu:

Weaner Schmäh is a facettnreicher Hamur und a Gmiatszuastand, de'ma dena Bewohner vo Wean nochsogt. Des is a Oat wia ma redt und Sochn mocht, de wos nia gaunz ernst sei wü, nix direkt sogn mecht. A unnochahmliche Mischung: Imma a bissl schwoazza Hamur, oft grantlnd, mitunta oaglistig, meistns in freindlicher und charmanter Form verpockt. A bsundare Umgaungsform, hintergrindig, indirekt, volla Aunspülungen. A Lebmsoat, de fia Preißn immer unvaständlich bleibm wird.

Ingrid muß sich gleich einmal resolut gegen dumme Anweisungen eines jordanischen Zöllners durchsetzen.

Auch unsere beiden jordanischen Reiseleiter, Herr Dr. Atef Zeidan, und ein Kollege sind anwesend und erwarten uns schon. (Über Atef kann man ein paar Dinge bei yasni.de nachlesen.)

Zwei Leute fehlen auf der Liste, die der Veranstalter vorher einreichen mußte, um die nötigen Visa zu erhalten. Dafür stehen zwei Leute doppelt drauf. Naja, Fehler können passieren. (Später wird uns diese Unachtsamkeit allerdings noch schmerzen. Aber das juckt uns jetzt noch nicht.)

Uhren und vor allem Handys (wegen der Weckfunktion) müssen eine Stunde vorgestellt werden. Unser Gepäck ist natürlich auch bald da, wir sind das einzige gelandete Flugzeug. Doch wir müssen noch anderthalb Stunden herumstehen, bis alle Visa geprüft sind und bis wir endlich durch die Einreisekontrolle gelassen werden. Jetzt geht es endlich los!

Gegen vier Uhr sind wir schließlich im „The Mariott Amman“. Die Koffer werden am Hoteleingang durchleuchtet und wir müssen durch einen piepsenden Torbogen schreiten, genau wie am Flughafen. Alle Koffer werden trotz später/früher Stunde auf die Zimmer gebracht.

Diese Sicherheitskontrollen wird es im Übrigen ab jetzt in jedem besuchten Hotel geben, allerdings recht lasch. In großen Moscheen meistens auch, dort sind sie geringfügig sorgfältiger.

Mein Zimmer liegt im vierten Stock und hat ein breites Bett. Zum Glück läßt sich das Fenster öffnen, wenn es auch sehr schmutzig ist, aber ich bin viel zu müde, als daß es mich auch nur im Geringsten stören würde.

Vornächste Station

Reise Übersicht