Durch den Mittleren Westen der USA
Auf einer Harley-Davidson durch den Indian Summer 
in Illinois, Iowa und Missouri

 

Düsseldorf, Frankfurt, Chicago, Waterloo/Iowa


Zuhause - Düsseldorf - Frankfurt - Chicago


Dienstag, 10. Oktober 2006

Ein langweiliger aber dafür umso bequemerer Flug. U-Bahn in Chicago - gibt’s die da überhaupt?? Ein Besuch in Klein-Griechenland. Um 8 ist alles zappenduster!

Im Zug nach Düsseldorf erfolgt nach jedem Halt die Durchsage, dass sämtliche Reservierungen ungültig seien, weil unser Originalzug von der Polizei beschlagnahmt worden sei. Natürlich gibt es entsprechend viel Unmut im Zug, weil wir jetzt offenbar einen kürzeren Zug haben und demzufolge viele Leute trotz Sitzplatz-Reservierung stehen müssen. Super, grinse ich in mich hinein, einen guten Platz innehabend, mein neues Abenteuer beginnt ja schon recht lustig.

In Düsseldorf nehme ich dann den Flieger nach Frankfurt/Main. Der Passagier neben mir ist Entwicklungshelfer in San Salvador und wir haben eine überaus angenehme und kurzweilige Unterhaltung und deswegen sind wir „leider“ viel zu schnell in Frankfurt. Während unseres Landeanfluges erwischen uns ein paar heftige Luftverwirbelungen eines vor uns landenden Singapur-Jumbos und wir werden wirklich äußerst heftig durchgeschüttelt. Na, wenn das kein schlimmes Omen ist, unke ich so vor mich hin und sehe jetzt schon Schlimmes auf meiner neuen USA-Reise auf mich zukommen. Kann das überhaupt gut gehen – so allein??

In Frankfurt dann der gewohnte lange Fußweg bis zu meinem Jumbo. Diesmal konnte ich frei entscheiden und wählte United Airlines, weil es dort Economy-Plätze mit erweitertem Fußraum geben soll. Und ich habe dann in meinem Sessel auch tatsächlich unendlich viel Beinfreiheit. Ich sitze in der ersten Reihe dieser „Economy Plus“-Klasse und komme noch nicht einmal mit meinen ausgestreckten Beinen an die Wand vor mir, die unsere Kabine zur Business-Class hin abtrennt. (Ja, OK, ich weiß, ich habe kurze Beine…) Ich freue mich über so viel persönlichen Freiraum. Der Flug ist völlig unspektakulär. Auf dem gesamten Flug nur Wolken unter uns. Insgesamt fühle ich mich hier im Vergleich zur Lufthansa aber deutlich besser aufgehoben und kann deshalb United Airlines Economy Plus bestens weiterempfehlen.

Wir landen, nach ich glaube sieben Stunden Flug, pünktlich nachmittags gegen
3 pm in Chicago O’Hare. Ursprünglich wollte ich mir ja den Indian Summer in Neu-England im Nordosten der USA und ganz besonders in Vermont und Maine ansehen, aber mein neuer Freund Craig hat mich überredet, stattdessen lieber ihn zu besuchen und die Bäume bei ihm sollen fast genauso bunt wie im Norden sein. Deshalb lande ich jetzt hier in Chicago.

Ich komme ziemlich rasch aus dem Flieger raus, muss auch nicht so lang wie sonst mit Ingrid rumtrödeln und strebe schnellen Schrittes Richtung Ausgang. Dabei kommen mir die langen Laufbänder ganz gut zupass. Deshalb komme ich auch als einer der ersten durch die Immigration Control, muss dann aber zur Strafe (wofür eigentlich?) unheimlich lange auf meine beiden Taschen warten, die dann fast als letzte endlich auf dem Band angerollert kommen.

Wie komme ich jetzt eigentlich in die Stadt und vor allem zu meinem Hotel? Ich könnte einfach ein Taxi nehmen, doch das ist mir zu einfach, kann doch jeder - und auch zu teuer. Geht es nicht auch etwas interessanter, sprich billiger, mit U-Bahn oder Bus?! Also suche ich erstmal nach einem Stadtplan. Was aber gar nicht so einfach ist in diesem irren Gewusel eines riesigen Flughafengebäudes. Lauter Verrückte hier um mich rum. Ich werde geschubst, angerempelt und ständig wird mir der Weg abgeschnitten. Irgendwann finde ich aber den Stadtplan dann trotzdem und suche die Straße mit meinem Hotel Holiday Inn. Daneben hängt tatsächlich auch eine U-Bahn-Karte. Ich sehe nach und entscheide mich rasch für eine U-Bahn-Linie und eine Station, an der ich aussteigen muss.

Ein freundlicher Flughafenbeschäftigter beschreibt mir den Weg zur U-Bahn. Ein Stück muss ich mit der Flughafenbahn fahren. Dann geht es runter zur Underground Station. Das Ticket kostet 
2 $. Der Zug scheint nur noch auf mich gewartet zu haben und fährt direkt nach meinem Einsteigen los. So weit außerhalb der Stadt fahren wir noch oberirdisch und ich kann beobachten, wie wir uns immer mehr der Stadt und der eindrucksvollen Skyline nähern. Leute steigen ein und aus und gucken genauso lust- und ausdruckslos vor sich hin wie bei uns zu Hause, wenn ich da mal S-Bahn fahre. Da sehe ich doch lieber wieder aus dem Fenster. Ist aber auch nicht viel besser. Jede Menge schäbige Hinterhaus-Fassaden und -höfe, also auch wie bei uns. Immer noch oberirdisch halten wir endlich an der Station, von der ich glaube, meinem Hotel nahe zu sein. Doch ich habe mich geirrt! Denn nachdem ich mir einen Stadtplan am U-Bahn-Schalter besorgt habe, merke ich schnell, dass ich hier im Greek Quarter bin. Das ist ziemlich, um nicht zu sagen, total falsch!

Ein griechisches Lokal neben dem anderen.

Auf jeden Fall muss ich erstmal über den Fluss. Warum habe ich vorhin auch nicht besser nachgesehen, an welcher Haltestelle ich raus muss! (War aber auch schwer erkennbar – denn Kartenlesen ist eigentlich so ziemlich das einzige, was ich gut kann…) Ich schultere meinen Rucksack und wackle mit den zwei Reisetaschen los. Das sieht ja nicht gut für mich aus! Hoffentlich habe ich bald mehr Glück. Das Wetter ist trüb und kalt, aber wenigstens trocken. Inzwischen frage ich mich schon manchmal, ob es vielleicht falsch war, so ganz alleine und ohne jede Vorbereitung oder Planung „rüberzumachen“. Und wer kam nur auf die saudumme Idee, hier unbedingt mit dieser blöden U-Bahn fahren zu wollen? Aber ich gebe jetzt nicht einfach auf! Nein, ich nehme mir kein Taxi!! Ich nicht!!!

Und schon nähert sich das Glück

in Form einer netten hilfsbereiten und freundlichen hübschen jungen Dame, der wohl durch irgendeine kleine Kleinigkeit (vielleicht, weil ich gerade den Stadtplan an einer Hauswand ausgebreitet habe?) aufgefallen sein muss, dass ich hier etwas fremd bin. (Spötter werden jetzt natürlich sagen, dass ich wahrscheinlich recht hilflos ausgesehen haben werde. Daher weise ich schon jetzt und vorsorglich darauf hin, dass das nicht stimmen kann. Ich sehe IMMER cool aus!) Sie kennt mein Hotel und erklärt mir den Fußweg dorthin.

Ich eiere also weiter und werde kurz darauf von einem jungen Mann überholt. Auch er fragt, wo ich hin will und will unbedingt mit mir gehen und mir den Weg bis zum Hotel zeigen. (Sehe ich wirklich so blöd aus?) Außerdem will er unbedingt eine meiner beiden Taschen ziehen. (Sehe ich denn wirklich schon so alt und gebrechlich aus??) Er heißt Ben, stammt aus Los Angeles und verkauft jetzt hier in Chicago Obst und Gemüse. Es ist ihm hier viel zu kalt und er will nächstes Jahr mit seiner Freundin zurück nach Kalifornien.

Ben lotst mich über die Brücke, am Fluss entlang und an der Rückseite der Oper vorbei. Hier am Ufer herrscht nur Fußgängerverkehr, also alles ganz easy. Dann müssen wir nochmal über zwei Brücken und schon stehen wir vor meinem

Hotel Holiday Inn Mart Plaza.

Schnell noch ein Foto von uns beiden und dann ist er auch schon weg. Meine Einladung zum Abendessen schlägt er leider aus, weil er schon eine Verabredung hat.

Reise 2006_2

Mein neuer Freund Ben und ich

 

Im Hotel muss ich erstmal rauf in den 15. Stock zur Registration. Ich frage nach einem Zimmer mit schöner Aussicht und erhalte es auch tatsächlich in der 16. Etage mit phantastischem Blick

auf die glitzernden Hochhäuser und den tiefgrün schillernden Chicago River,

der direkt vor dem Hotel herumfließt und über den sich jede Menge Brücken schwingen. Der Koffermann bringt die beiden Taschen ein paar Minuten später und ist selbst erstaunt über den tollen Ausblick, den er angeblich noch nie gesehen hat, weil die Hotelgäste die Vorhänge sonst nie zurückziehen, so wie ich es jetzt gemacht habe. Ich glaube ihm nicht, vielleicht will er mir ein Gespräch aufzwingen oder nur noch mehr Trinkgeld… Aber er macht alle Lampen an, sieht, dass eine nicht brennt und bestellt gleich einen Techniker.

Inzwischen ist es später Nachmittag und es dunkelt bereits. Nach den obligatorischen Fotos aus dem Hotelzimmer und der Lampenreparatur mache ich mich deshalb bald auf den Weg in die Stadt. Mannomann, ich, ganz allein in Chicago! Wie das wohl endet? Auf jeden Fall muss ich diesmal besonders aufpassen, damit ich nichts vergesse oder liegenlasse wie sonst so oft.

Reise 2006_2

Ausblick aus meinem Hotelzimmer auf Chicago Downtown

In der Stadt ist es ausgesprochen kalt. Der Wind macht alles noch schlimmer. Da ich noch keinen Hunger verspüre, (ich bin immer noch satt vom Essen im Flieger), besorge ich mir erstmal nur etwas zum Trinken.

Gut wäre es, im Sears Tower hochzufahren,

um die nächtliche Aussicht über die glitzernde Stadt zu genießen. (Der Sears Tower ist mit 443 m schließlich das „höchste Gebäude in Nordamerika“ und das „dritthöchste der Welt“. Aber bei diesen Superlativen spielen die Antennen die Hauptrolle. Auch hier, wie im wahren Leben, wer hat den längsten - Mast.) Also mache ich mich auf den Weg und finde den Sears Tower auch bald. Jedoch, leider, in der Wintersaison wird um 8 pm zugemacht. Jetzt ist es 7.35 pm. Also seit fünf Minuten kein Einlass mehr.

Wer sich für den Sears Tower und überhaupt für Chicago und viele andere Städte in den USA interessiert:

www.aviewoncities.com/chicago/chicagoattractions.htm.

Na ja, nicht schlimm, fahr ich halt am letzten Tag rauf. Ich lass mich doch von denen nicht ärgern. Deshalb steige ich kurzer Hand einfach in den hier wartenden Bus zum

Navy Pier.

Ich kenne den Navy Pier ja noch von unserer Reise 2002 her ganz gut und hoffe, dass ich hier noch etwas zu sehen und zu essen kriege. Aber, obschon ich bis ans Ende schlendere, alles schon zu. In Chicago und auch hier am Vergnügungspier sind spätestens um acht Uhr abends alle Geschäfte geschlossen und sämtliche Bürgersteige hochgeklappt, obwohl hier am Pier noch genug Leute rumlaufen. Aber wenigstens kann ich jetzt hier im Freien meine erste freundliche Zigarre rauchen. Der Anblick der vielen beleuchteten Hochhäuser ist ständig und immer wieder völlig überwältigend. Und ganz besonders hier draußen mit der spiegelnden Skyline in der glitzernden Wasserfront.

Reise 2006_2

Chicago

 

Eigentlich bin ich ganz schön müde. Immerhin ist es jetzt schon 2 oder 3 Uhr nachts für mich. Also mache ich mich langsam auf den ganz schön langen Rückweg am Fluss entlang und leg mich in die Heia.

 

Chicago – Waterloo/Iowa, 650 km

Mittwoch, 11. Oktober 2006

 

Ein neues Mopedfahrgefühl. Eine Kälte, die immer kälter wird.

Ich mache es mir heute mit dem Breakfast einfach und frühstücke im Hotel, teuer, lieblos und nicht allzu gut. (Mein Rat: Immer in der Nähe des Hotels nach einem entsprechenden Lokal suchen, in dem Frühstück angeboten wird. Gibt es eigentlich immer. Viiiel besser als in den Hotels selbst.)

Dann rufe ich ein paar Mal bei EagleRider an,

um mich nach einer Transportmöglichkeit vom Hotel zur Motorradvermietung zu informieren. Leider meldet sich ein Mensch erst kurz nach der offiziellen Öffnungszeit 10 Uhr morgens. Er sagt, ich soll ein Taxi nehmen und er erstattet mir dann die Fahrtkosten. Also runter vors Hotel, ins nächste Taxi und los. Das

Yellow Cab ist schmutzig und unordentlich,

die Trennscheibe ist kaum noch durchsichtig und es stinkt hier drin vom asiatischen Fahrer her entsetzlich nach Knoblauch. Eine endlose halbe Stunde und 28 $ später sind wir endlich da und ich kriege wieder Luft zum Atmen. Das Trinkgeld gebe ich äußerst ungern. Bei uns ist es freiwillig, aber er lebt ja davon, also komme ich leider nicht umhin.

Der Typ bei EagleRider ist nicht allzu freundlich und erst recht nicht allzu entgegenkommend. Es müssen wieder langwierig die gewohnt vielen Unterschriften und Initialen gemacht werden, die zusätzliche Versicherung und Kaution werden bezahlt und dann zeigt er mir endlich mein Moped.

Es ist eine silberne Harley-Davidson Electra Glide.

Eine GoldWing haben sie leider nicht in Chicago. Als allererstes sehe ich nach, ob mein Moped auch tatsächlich die übliche Zigarettenanzünder-Steckdose hat. Es hat. Also kann ich problemlos mein wieder mitgebrachtes

TomTom-Navigationsgerät GO 910

anschließen und werde es auf der Tour dadurch wieder viel leichter haben.

 Reise 2006_2

Bei EagleRiders

 

 

Dann heißt es, alle mitgebrachten Sachen im Moped unterzubringen. Und ich schaffe es auch! Ich muss außer den beiden leeren Reisetaschen nichts zurücklassen! Super. Passt ja ganz schön was in die Seitenkoffer und Topcase rein. Hätte ich nicht gedacht. Das ist ja ganz erfreulich. Jetzt erstmal halbwegs cool und lässig hier rausfahren. Klappt auch. Es guckt mir zwar bestimmt keiner hinterher, aber es gehört sich so. Es ist Mittag, 12 Uhr. Die Harley lässt sich fahren. Es ist keine GoldWing, doch es geht ganz gut. Ich halte erstmal am nächsten größeren Parkplatz an, um noch schnell mein Navi festzumachen. Wollte ich nicht bei EagleRiders machen. Die hätten vielleicht wegen der Klebebänder auf dem Tank rumgemeckert. Ich habe mir dazu zuhause eine Plastikschale mit Schaumgummi ausgeschlagen. Diese Schale mache ich mit dem Klebeband auf dem Tank fest, lege das TomTom rein und spanne ein paar Gummiringe drüber. Stromanschluss in der Steckdose des Zigarettenanzünders. Fertig. Dann noch das Ziel und ein paar Zwischenziele eingeben und dann geht es endgültig los. Die Autobahn ist direkt vor mir und schon bin ich auf der richtigen Interstate 290 und dann auf der 88 in genau westlicher Richtung.

 Reise 2006_2

Einfach prima, so ein fachmännisch befestigtes Navi

 

Es ist kalt und nieselt etwas. Das kann ja noch heiter werden, denke ich mal wieder so vor mich hin. Auf was für ein Abenteuer hast Du Dich da nur wieder eingelassen? Ich schwimme auf der linken von drei Spuren im Verkehr einfach mit. Oh Schreck, plötzlich sehe ich im Rückspiegel,

dass mein Topcase offensteht!!

Der Deckel steht senkrecht nach oben!!! Ganz schnell ein Blick in den Spiegel, ob und was alles von mir auf der Straße hinter mir rumliegt, ich entdecke aber nichts, sind auch zu viele Autos hinter mir. Ganz schnell rüberquetschen auf den rechten Standstreifen und Anhalten. Ich sehe nach und stelle sehr rasch fest, dass die beiden verchromten Zuhaltungen gar keine richtige Funktion haben können, und zwar von Neuheit an nicht! Unfassbar! Das Topcase war von mir bis obenhin vollgequetscht, obendrauf mein Rucksack mit allen wichtigen Dokumenten, Pass, Geld, Reiseschecks, Handy, Kameras – er ist noch da! Während des Anhaltens sind ein paar Sachen rausgepurzelt und ich sammle sie schnell wieder ein. Ich kann es nicht glauben – ich habe schon wieder mal einen Riesendussel gehabt! Aber, schnell, schnell, der Verkehr und die großen Lkws rauschen ununterbrochen direkt neben mir vorbei und zermatschen mich gleich. Ich bin froh, jetzt nicht meinen Rucksack im fließenden Verkehr auf der Fahrbahn aufsammeln zu müssen, denn das hätte ich bestimmt nicht lebendig überlebt… Wie gut, dass ich das für das Navi mitgebrachte Klebeband dabei und auch sofort zur Hand habe. So kann ich schnell den Topcase-Deckel damit zukleben und ganz schnell von hier abhauen. Wenn ich sonst irgendetwas verloren haben sollte, kann ich es nicht ändern. Hauptsache, die Wertsachen sind noch da.

Eine Autobahn-Kontrolle wird angezeigt.

Ich muss 80 Cent bezahlen. Geht gar nicht so einfach mit den kalten Fingern, doch ich schaffe es, ohne die Leute hinter mir allzu lang zu nerven und schnell geht es wieder weiter. Ich habe ziemlich genau 400 Meilen vor mir und will bis 6 pm am Ziel sein.

Nach ein paar Meilen die nächste Toll Station. Wieder 80 Cent und die nervige Sucherei nach dem Portemonnaie. Und das gleiche noch mal. Und dann noch mal. Hier muss ich jedoch 1,80 $ bezahlen. Der Typ im Kassenhäuschen sagt, dass ich das einzige Moped bin, das heute bei ihm vorbeigekommen ist. Das glaube ich ihm gerne, denn inzwischen bin ich schon total durchgefroren. Aber wenigstens muss ich ab hier keinen Toll mehr bezahlen. Die Nadel des Thermometers ist mittlerweile auf unter 30° Fahrenheit gesunken, also deutlich unter dem Gefrierpunkt. Zum Glück ist die Straße wieder trocken. Glatteis brauche ich jetzt wirklich nicht.

Überall um mich herum dunkle Wolken. In meiner Richtung ist es etwas heller. Die Kälte kriecht langsam immer mehr durch sämtliche Löcher und Ritzen tief in mich rein. Warum habe ich Blödmann mich heute Morgen nicht warm genug angezogen? Die schöne warme lange Thermo-Unterhose, mein molliger Schal und vor allem die dicken Handschuhe, alles hinten irgendwo reingequetscht. Viel zu kalt, um jetzt danach zu suchen und sich umzuziehen. Jetzt muss ich eben so durch!

Der Typ bei EagleRider hat mich noch gewarnt, dass die Benzinanzeige an einer Harley sehr unzuverlässig ist. Ich soll deshalb sicherheitshalber einfach alle hundert Meilen tanken. Ich habe jetzt schon 130 Meilen drauf und immer noch ist keine Tankstelle zu sehen!

Was mache ich, wenn ich jetzt auch noch ohne Benzin liegen bleibe?

Mannomann, ich mach mir ganz schön Sorgen, obwohl der Zeiger noch fast halbvoll anzeigt. Endlich eine Ausfahrt. Ich muss hier raus und sehe auch einen Wasserturm in der Ferne. Da muss ein Ort sein! Richtig. Und wo ein Ort ist, da könnte eine Tankstelle sein. Korrekt. Glück gehabt! Schnell tanken und weiter. Nur nicht aufhalten und festfrieren.

Weiter geht es. Immer noch endlose Maisfelder, nichts als Maisfelder, abgeerntet oder noch zum Ernten. Aber nur Futter-Mais, also ohne die leckeren Maiskolben. Endlose Felder. Ganz Illinois muss aus Maisfeldern bestehen.

Es wird lausig kalt.

Ich zittere inzwischen am ganzen Leib. Doch es hilft nichts! Immer noch 150 Meilen! Ich tanke noch mal und schaffe es kaum, den Rüssel in den Tank zu kriegen. So zittere ich. In der Tankstelle schütte ich mir einen glühendheißen Kakao rein und mach mich schnell wieder auf den Weg. Ich muss bei den Leuten da einen merkwürdigen Eindruck hinterlassen haben, so rot im Gesicht und so schlimm zitternd.

Wieder mal typisch: Überall wird von globaler Klimaerwärmung gesprochen. Aber wenn ich sie mal wirklich brauche, ist für mich nichts davon da…

Lkws dürfen in den USA genauso schnell wie Pkws fahren; sehr oft fahren sie schneller als Pkws. Ich versuche, ganz dicht hinter einem solchen Truck zu bleiben. Aber egal, wie dicht ich mich auch an ihn anhänge, auch in seinem Windschatten will es einfach nicht erträglicher werden.

Die Straße nimmt kein Ende. Natürlich habe ich schon längst meine zuhause im Warmen geplante Route revidiert und nehme den allerkürzesten Weg. Am Mississippi habe ich die Grenze nach Iowa passiert. Immer weiter! Und dann endlich, endlich, nach einer weiteren schier endlosen Quälerei, (und kurz vor dem sicheren Erfrierungstod, ganz allein auf einer fremden Autobahn in einem fernen Land…), erreiche ich doch noch mit letzter Anstrengung

Waterloo/Iowa.

Es ist eine mit Cedar Falls verbundene Doppelstadt. Das Navi zeigt mir den Weg bis zu meinem Freund Craig, jedoch der Name an der Haustür ist nicht richtig. Craig hat mir vorher noch eine genaue Beschreibung seines Hauses per e-mail zugesandt, die Unterlagen sind irgendwo hinten im Gepäck, aber jetzt hole ich sie bestimmt nicht raus, schaffe ich jetzt wirklich nicht. Also gehe ich einfach mal ein paar Häuser weiter und sehe überall nach, aber alles andere Namen. Alle Häuser machen einen total unbewohnten, geradezu verlassenen Eindruck. Auch kein Schwein, äh…, kein Mensch auf der Straße zu sehen. Endlich fasse ich genug Mut, gehe zurück und klopfe am ersten Haus. Da hatte ich vorhin durch die Spalten zweier angelehnter Türen im düsteren Hintergrund immerhin ein paar Füße, wahrscheinlich vor einem Fernseher liegend, sehen können. Die Füße verwandeln sich in einen alten Mann und dieser kommt tatsächlich an die Tür geschlurft. Ich frage nach dem Haus meines Freundes. Es ist an der Ecke zwei Häuser zurück. Mühsam fahre ich das Moped zurück und klingele.

Laurel, Craigs Frau, öffnet. Ich muss wirklich sehr bedauernswert aussehen, so kalt und derart durchgefroren. Craig kommt nach ein paar Minuten von der Arbeit zur Tür herein. Und dann sitzen wir am runden Tisch, trinken heißen Tee und haben uns viel zu erzählen. Es klingelt.

Durchs Fenster sehe ich einen Cop und ein Polizeiauto an meiner Harley!

Der Nachbar von vorhin hat auch gleich die Polizei angerufen, „weil sich ein merkwürdiger Ausländer mit Motorrad in der Straße herumtreibt“. Craig klärt alles rasch und wir haben erneut etwas zum Lachen.

Wir stellen mein Moped in Craigs „Shop“ (u.a. auch „Werkstatt“ nicht nur „Laden, Geschäft“) ab. So nennt er seine Fahrzeughalle. Zwei Corvettes, eine C 4 und eine C 5, beide in schwarz, dann zwölf verschiedene Motorräder, von einer kleinen 50er Honda bis zu einer schwarzen 1500er GoldWing stehen hier rum. Dazu jede Menge Werkzeug-Einrichtung und Hobbysachen. Hier kann er prima seine Fahrzeuge warten.

Bald kommt auch Craigs Freund Dick zur Tür hereinspaziert und wir haben ein interessantes Gespräch zum Kennenlernen. Inzwischen lassen wir auch schonmal den einen und anderen Bierdosenverschluss knacken, denn inzwischen bin ich wieder aufgetaut. Craig bringt mich dann erstmal rüber ins nahegelegene Motel. Da dusche ich schnell so heiß wie möglich, richte mich etwas ein und dann holt mich Craig auch schon wieder ab, um mit uns allen zum Essen zu gehen.

Wir landen in Applebee’s, das ich ja auch schon kenne und ich erhalte da ein köstliches saftiges Steak. Inzwischen ist auch Craigs Sekretärin Anita gekommen, die schon zwanzig Jahre bei ihm< arbeitet. Craig scheint also kein ganz schlimmer Arbeitgeber zu sein. Laurel gesellt sich mit Tochter Deanna auch noch zu uns. Und so kann ich in unserer gemütlichen Runde ein bisschen von „Old Germany“ erzählen.

Aber irgendwann bin ich herzlich müde und darf zurück ins Motel. Mein Zimmer ist immer noch nicht viel wärmer als vorhin. Die elektrische Heizung ist offenbar nicht in Ordnung. Dazu kein Föhn im Bad. Ich konnte mir vorhin schon nur notdürftig meine Haare über dem kalten Gebläse der Klimaanlage trocknen. Und dann stelle ich auch noch fest, „nur“ 22 TV-Programme. Ich bin viel zu müde, kann jetzt doch nichts mehr ändern und schlafe ganz schnell ein. Was werden die nächsten Tage bringen?

 

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