Wilf und Hanni, Unsere Wanderungen vom 20. bis 29. Juli 2012
Ein neuer langweiliger Reisebericht Ich empfehle, sämtliche hier angebotenen
Links mit der rechten Maustaste zu öffnen, weil sie sich dann auf
vielen PCs
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Freitag, 20. Juli 2012 Der deutsche 2012er Sommer ist ja beileibe kein
Sommermärchen, eher eine Katastrophe, ein meistens kühler und oft
regnerischer Reinfall. Deshalb flüchte ich erneut und kurzentschlossen
vor ihm in den Süden, diesmal in die westlichen Trentiner Alpen, genauer
gesagt, in die Ortler Alpen, also in die Gegend um den Ortler herum. Ich möchte wieder Wandern, denn Wandern hat für
mich neben den üblichen Lustgefühlen und allem Anderen auch etwas
Meditatives. An der frischen Luft die eigenen Grenzen des Machbaren zu
erkunden, dabei seine Gedanken endlos schweifen lassen zu können und vor
allem das blöde Handy nicht einschalten zu müssen, alles das und vieles
mehr wird dafür sorgen, daß mein Körper wieder aufatmen wird, mein Rücken
(trotz Rucksack) sich aufrichten und wieder gerade werden wird, und daß
meine Seele neue Energie aufnehmen wird. Wandern und Laufen ist einfach
ein Lebenselixier mit unglaublicher Vielfalt. Gegen halbzehn geht es los. Ich habe die Corvette
aus dem Stall geholt, der langweilig-komfortable Lexus darf diesmal
zuhause in der Garage bleiben: Am Ziel gibt es eine Garage. Hanni kommt
wieder mit. Ist ja logisch. Die Fahrt könnte so schön sein, aber es regnet
oft. Eigentlich den ganzen Tag. Ich kann zwar manchmal das Dach des blauen
Corvette-Cabrios aufmachen, aber der Regen nervt trotzdem. Ein Sommer
findet in diesem Jahr leider nicht statt. Jedenfalls nicht hier bei uns im
Westen Deutschlands. Wenn diese Tatsache auch schon wieder gerne von
Meteorologen und ihren doofen Statistiken gebetsmühlenmäßig
abgestritten wird. Die Litaneien kennen wir ja. Die wollen uns mit ihren Lügen
doch fast jedes Jahr für dumm verkaufen. „Nein, nein, dieser Sommer ist
statistisch absolut normal…“ Warum geben sie es nicht einfach zu, wenn
ein Sommer mal wieder total verkorkst war? (Pünktlich zu unserer
Urlaubsreise in die Toskana werden es dann Mitte August vierzig Grad in
Deutschland. Aber davon bekomme ich mal wieder nichts mit.) Ab Aschaffenburg nehme ich wie immer Bundes- oder
Landstraßen. Miltenberg, Bad Mergentheim, Crailsheim, Nördlingen,
Augsburg. 16:00 Uhr. Ab Augsburg bleibe ich auf der B17 und
fahre weiter nach Süden am Lech entlang. Die B17 ist für mich endlich
mal was Neues, ich bin noch nicht auf ihr gefahren. Vielleicht etwas
langweilig, weil vierspurig. Aber nach der Trödelei will ich mich jetzt
doch mal etwas dranhalten. Wegen eines Unfalls wird der gesamte Verkehr später
abgeleitet und jetzt schnürt die C6 über schmale Straßen durch kleine
bayerische Dörfer mit ihren wunderschönen Zwiebelkirchturmspitzen und
durch die hügelige, weite Voralpenlandschaft, die ich so sehr liebe. Die
schlanke Silhouette eilt durch die Kurven wie ein Berglöwe. Oft streifen
die verchromten Leichtmetall-Felgen hie und da ein Büschel Gras, das sich
vorlaut zu nah an die Straße ran gewagt hat. Meine Stimmung steigt mit jedem Kilometer. Hanni
genießt die Fahrt auch; damit sie nicht friert, habe ich sie lieber mit
meiner Jacke zugedeckt.
Der Regen hat jetzt auch aufgehört. Wölkchen und
Dunst hängen auf den Hügeln und in den Bergen herum. Die Luft ist frisch
und rein. Ganz schön viele Kühe haben die Bauern hier herumstehen. Ich komme sehr gut voran und bin gegen 17:30 Uhr am
heutigen Ziel. Eine Tankfüllung für die fünfhundert Kilometer,
Verbrauch bisher unter 12l/100km, darüber kann man bei einem Auto mit
reichlich PS unter der Haube eigentlich nicht meckern. Und mit dem Rest
komme ich noch leicht nach Österreich, wo ich deutlich billiger (1,51 EUR
für Super 95) tanken kann. (Tipp: In Österreich nicht an Autobahnen oder
Schnellstraßen tanken, dort ist der Treibstoff immer mindestens zehn Cent
teurer.) Ich habe im Schloßhotel Lisl, bzw. in dessen
Dependance „Villa Jägerhaus“ in Hohenschwangau gebucht. Die beiden
Hotels liegen direkt nebeneinander und unterhalb von Schloß
Neuschwanstein. Dieses wird aber leider gerade renoviert und ist deshalb
mit großen grauen Planen zugehängt.
Schade drum. Tausende Leute laufen mit eingezogenen
Köpfen im Regen herum, hier ist schließlich auch der große Parkplatz für
die beiden berühmten Königsschlösser. Der Fußweg zum Schloß beginnt
hier und die Bushaltestelle liegt auch direkt vor meiner Tür. Schloss
Neuschwanstein – Wikipedia neuschwanstein
- Google-Suche Fotos Apropos, das andere Königsschloß: Schloß
Hohenschwangau ist direkt nebenan, nur ein paar hundert Meter entfernt. Schloss
Hohenschwangau – Wikipedia Vor allem Asiaten laufen herum. Sind es Japaner?
Nein, glaub ich nicht, dann müßte Japan ja fast ausgestorben sein. Übrigens,
junge und jüngere weibliche Asiaten laufen ausgesprochen gerne mit
knallkurzen engen Shorts herum, auch im Regen, mit kalkweißen Beinen.
Haben die da keine „Toaster“? Ist das weibliche Schönheitsideal in
Asien schneeweiße Haut? Schwansee und Alpsee liegen ganz in der Nähe. Bei
schönerem Wetter wären sie zweifellos einen Besuch oder, bei etwas mehr
Zeit, durchaus eine Rundwanderung wert. Das
Abendessen im Hotel wird ein Reinfall. Die Leute vom Service wirken total
unbeholfen; hier ißt auch nur eine andere Familie zu Abend. Geradezu
lachhaft. Meine
Portion ist sehr spärlich, gar nicht bayerisch üppig: Klare lauwarme
Suppe, zwei dünne Scheibchen Braten mit Blaukraut und Kloß, dann
Apfelstrudel und Vanillesoße mit einer Kugel extra bezahltem Eis. Passend
dazu: Das Weißbier vom Faß muß ich zurückgeben, weil es schal ist, und
ich nehme lieber eins aus der Flasche. Keine Entschuldigung. Das
viele Personal erscheint mir total hilflos. Sind die neu und haben die
heute alle hier erst angefangen? Das Hotel wird offensichtlich von einer
uninteressierten anonymen Betreibergesellschaft geführt, nicht von
„Familie XYZ“, wie es sonst gerne üblich ist und meistens ein Synonym
für gute Qualität ist. Hinzu
kommt, daß dieses Restaurant gleich um 19 Uhr geschlossen wird. Komisch.
Wo gibt’s denn sowas? Nebenan,
ins zum Konzern gehörenden Restaurant Alpenrose sollen keine Hunde reindürfen.
Aber noch nicht einmal das weiß die Bedienung genau… Unser beider Zimmer liegt oben im zweiten Stock. Das
Bett ist ungewohnt schmal und Hanni macht sich ja gerne breit und lang. Da
wird wohl für mich nicht viel Platz im Bett übrigbleiben. Der Spülkasten im Bad ist defekt und wird mich die
ganze Nacht mit seinen Geräuschen nerven. Aber jetzt habe ich auch keine
Lust mehr, den Hausmeister kommen zu lassen. Wenn es denn überhaupt einen
gibt. Und was sollte der jetzt auch machen? Zum Umziehen hätte ich natürlich
auch keine Lust. Samstag, 21. Juli 2012 Aufstehen um viertel vor acht. Ich entscheide mich,
nicht, wie eigentlich geplant, zum Schloß Neuschwanstein raufzufahren,
obwohl der Bus tatsächlich verlockend (und relativ günstig für 2,60
EUR) direkt vor meiner Hoteltür zur Marienbrücke abfährt. Wer möchte,
kann auch den durchaus einladenden und direkt hier vor dem Hotel Lisl
beginnenden Fußweg nehmen. Aber das Schloß ist ja (immer noch) verhüllt
und das Wetter ist mir immer noch zu trüb. Dicke graue Wolken dräuen über
uns. Es würde sich einfach nicht lohnen. Das kann ich immer noch
nachholen, bin ja jetzt oft hier unten bei meinen Freunden in Bayern.
(Mein Rat: Früh genug dort sein, dann ist die Wartezeit nicht so lang.) Nach dem Frühstück räumen wir das Zimmer. Hier möchte
ich nicht noch einmal übernachten. Noch nicht einmal für umsonst. Das
Beste am Zimmer waren die drei eingepackten Betthupferl-Toblerone-Stückchen.
(Zur Strafe für meine harsche negative Kritik schmilzt später unterwegs
das dritte, in die Jacke gesteckte Stück Schokolade, und „versüßt“
mir meine Jackentasche etwas.) Gegen zehn Uhr fahren wir ab. Doch erst mache ich
noch einen kurzen Stopp am berühmten Lechfall.
Hier ergießt sich der Lech kraft eines imposanten
Wasserfalls sieben Meter in die Tiefe. Da darf man ja schließlich nicht
einfach schnöde dran vorbeifahren. lechfall
- Google-Suche Fotos An einer Tankstelle besorge ich mir noch rasch die
österreichische Vignette. Apropos Vignette. Falls man eine Jahresvignette
besitzt und sie für mehrere Autos benutzen oder dem Nachbarn, dem
Schwiegersohn oder wem weiß ich weitergeben möchte, sollte man sie von
der Trägerfolie abziehen und erstmal mit der Klebeseite z.B. ein paarmal
an sein T-Shirt oder etwas ähnliches drücken, dann kann man sie
jederzeit leicht von der Scheibe wieder abziehen und auf jede andere
weitere Autoscheibe drücken. Wichtig, die Trägerfolie nicht wegwerfen,
sondern vielmehr aufheben und immer mitnehmen! Und auf jeden Fall läßt
sie sich so im neuen Jahr leichter entfernen… Autobahnvignette
– Wikipedia (mit
Infos über alle anderen europäischen Vignetten) Anstrengend wird es dann direkt nach der Grenze auf
der österreichischen Bundesstraße. Ein ewig langer Lindwurm quält sich
mit ständigem Stopp and Go langsamkriechend über die nächsten fünfzig
Kilometer, bis die Kurven nach dem Fernpaß und hinter Nassereith endlich
vorbei sind. Doch dann gibt’s zu guter Letzt doch noch freie Fahrt.
Naja, die „freie“ Fahrt endet in Österreich bei ca. 130 km/h, die man
aus den allseits bekannten (pekuniären) Gründen auch besser einhalten
sollte.
Aber es läuft nicht lange so gut. Auf der Auffahrt
zum Brenner (acht Euro Extramaut) hinauf wieder dasselbe Drama. Zäher
Stau! Warum habe ich auch nicht die parallele Bundesstraße genommen? Da hätte
ich bestimmt ein, zwei Stunden gespart.
Die Zeit vergeht mit langsamem Vorrollen und Blümchenpflücken.
Frau Sonne ist gnädig und scheint längst wieder. Die Temperatur ist nach
und nach von elf bis auf durchaus angenehme achtzehn Grad geklettert.
Nichts drängt uns, wir haben ja Zeit, es geht uns beiden gut, wir sitzen
bequem im offenen Auto und die Sonne ist nicht zu heiß. brennerautobahn
- Google-Suche Fotos Mein Dach habe ich schon gleich morgens aufgemacht.
Wenn es zwischendurch mal ein bißchen nieselt, ist es auch nicht schlimm.
Und solange ich über 80 km/h fahre, wird innen nichts naß. Die andern
gucken dann nur etwas erstaunt zu mir rüber. Aber die gucken ja sowieso
nach dem schönen Auto. Der Stau geht über die Grenze hinaus bis an die
Mautstation in Sterzing. Die italienische Polizei zieht hier (verdächtig
aussehende?) Autos raus. Ich sehe beim Vorbeifahren geöffnetes Gepäck
und möglichst unschuldig herumstehende Leute neben ihren herausgepickten
Autos. Dann gibt es erst mal wieder relativ freie Bahn,
obwohl natürlich sehr viel Verkehr nach Süden rollt. Deutsche, Holländer,
Belgier, Dänen, Tschechen. Italiener und Österreicher sowieso. Viele kurze Tunnels erleichtern einem die Fahrt
zwischen den hohen Bergen. Ungebremst darf man mit 130 km/h durch. Samstag scheint ein offenbar ungünstiger Tag zu
sein, um hier in Urlaub zu fahren.
Vor allen Tankstellen gibt es lange Schlangen,
morgen ist Sonntag und da gibt’s in Italien nur ganz selten mal eine
offene Tankstelle mit Personal. (Dabei gibt es doch überall
Automaten-Tankstellen! Da kann man immer tanken!) Und warum haben die
Leute nicht rechtzeitig vorher in Österreich getankt? Österreich ca.
1,50 EUR Super, Italien über 1,80 EUR Super. (Diesel kostet hier über
1,70 EUR.) Unser nächster Stau beginnt lange vor Bozen Nord
und soll über Trento bis hinter Rovereto gehen. Schon wieder viele zig
Kilometer. Na, OK, ich hab ja Zeit, also brauche ich mich gar nicht groß
aufzuregen. Statt der geplanten dreieinhalb Stunden brauchte ich bis
hierher schon sechs Stunden. Und Hanni ist‘s sowieso egal. Endlich, in Bozen Süd können wir die blöde
Autobahn verlassen und fahren ein winziges Stück auf der italienischen
Weinstraße, Strada del Vino, entlang und dann den steilen Mendelpaß
hinauf. Viele Kurven. Es wird oft etwas eng und gelegentlich auch etwas
schwierig, weil heute Samstag ist und sich deshalb besonders viele
Radfahrer den Berg rauf und runter quälen müssen. Dazu natürlich die
obligatorischen Motorräder und jede Menge Autos. Ein revierfremdes Auto
wird gerne mittels dichten Auffahrens zur Seite gedrängelt. Aber mein
Gaspedal zeigt den Spinnern dann, wer hier Platzhirsch ist. (Trotzdem
versuchen die kleinen Hunde ständig gerne anzugreifen und mich wegzubeißen
– und ich laß sie dann auch manchmal vorbei. Der Große sollte halt
immer auch der vernünftigere sein…)
Später geht es (deutlich weniger steil) wieder
runter und dann bequem durchs idyllische Val di Sole. Leider macht es
seinem Namen aber keine Ehre, überall in den Bergen hängen dicke
schwarze Regenwolken herum, die nur darauf gewartet zu haben scheinen,
sich ausgerechnet über uns erleichtern müssen. Schließlich biegen wir ab und fahren noch eine
Handvoll Kilometer das Val di Peio hinauf, (wird gerne auch „Pejo“
geschrieben) - und schon sind wir am Ziel unserer Reise: Cogolo. Es ist 18:30 Uhr. Achthundertfünfzig (854,5)
Kilometer Gesamtstrecke. Die ganze Gegend gehört hier gerade noch zum
Nationalpark Stilfser Joch, italienisch „Parco Nazionale dello
Stelvio“. Das kleine schmucke Hotel (mit ca. dreißig Zimmern)
liegt sehr schön am Ortsrand, natürlich mit vielen bunt beblümten
Holzbalkonen. Hohe Berge mit Schnee auf den Gipfeln umringen uns
und schauen geduldig auf uns Neuankömmlinge runter. Giulio, der Hausherr, heißt uns beide Willkommen
und reicht mir unseren Zimmerschlüssel. Obwohl ich extra ein
Komfortzimmer bestellt hatte, empfinde ich es nicht als allzu komfortabel.
(Einzelreisende werden halt meistens benachteiligt. Dafür bezahlen sie ja
auch mehr…) Zwei getrennte schmale Betten. Höchstens neunzig Zentimeter
breit. Doch wenigstens ist alles frisch renoviert. Das
Badezimmer ist hell und es
gibt eine ordentliche, saubere Dusche. Da wir hier in Italien sind, ist
natürlich auch ein angenehmes Bidet vorhanden. Dann noch das Auto in der Tiefgarage abstellen, Gepäck
ausladen und hochbringen, (später entdecke ich auch den Lift), und
Auspacken. Im Zimmer gibt es eine dicke Mappe mit Hotelinformationen und
vor allem vielen Wandervorschlägen - aber alles in meist unverständlichem
Italienisch. Das wird ja ein toller Urlaub… Rechtzeitig um 19:30 Uhr sitzen wir beide im
Speisesaal und lassen uns das Abendessen schmecken. Es gibt nur fünf
Einzelgäste und einen Tisch mit vier Radfahrern. Die meisten der wenigen
Gäste sind hier überhaupt Italiener. Im Hotel spricht außer Chef und Chefin niemand
Deutsch oder Englisch. Ich nehme den Hauswein-Merlot für zwölf Euro.
Ungewohnt ist, daß der Rotwein am Tisch nur geöffnet aber nicht
ausgeschenkt wird. Auch nicht zum Kosten. Schnuppern am Korken entfällt
ebenfalls. Komisch. Salat
vom Buffet, Nudeln
mit Käsesoße. Ein
dünnes Rindersteak mit Rosmarin-Kartöffelchen, sehr gut, Hanni freut
sich auch darüber. Claudia
liest mir fünf verschiedene Desserts auf Italienisch vor, es gibt keine
weitere Hilfe, ich nehme der Einfachheit halber Tiramisu, weil es das
einzige ist, das ich kenne. Hatte ich gestern Abend kein Handynetz, bekomme ich
hier die volle Dröhnung auf den Schädel, ich sehe den Sendemast ganz
oben auf einem kleinen Berg. Morgen ist Sonntag und Hanni und ich werden mit
Giulio und seiner Nichte aus Bozen einen einfachen Weg gehen. Um neun
geht’s schon los; also nix mit gemütlichem Sonntagsfrühstück und so. Nebenbei: Drüben in Bozen spricht die Hälfte der
Bevölkerung noch Deutsch, hier leider fast niemand mehr. Schließlich
sind wir hier auch nicht mehr in Südtirol. Nebenbei: „Alto Adige“ ist
der italienische Name für Südtirol. (War mir jedenfalls bisher nicht geläufig.) Um halbelf liegen wir in unserem Bettchen. Ich hasse
diese schmalen „Kinderbetten“! (Zusammenschieben nutzt auch nicht
viel. Die Ritze bleibt. Und beim Bettenmachen werden sie am nächsten Tag
immer wieder auseinandergeschoben…) Sonntag, 22. Juli 2012 7:15 Uhr. Aufstehen! Reise reise!, wie der Seemann
sagt. Ein Glück, die Sonne scheint wieder. Gestern Nachmittag war es ja
sehr bedeckt. Der Himmel empfängt uns beide strahlend blau. Giulio
empfiehlt mir, später trotzdem die Regenjacke mitzunehmen. Die Aussicht
auf die Berge ringsum in der klaren frühen Morgensonne ist beeindruckend.
Die Sonne bescheint erst die Bergspitzen gegenüber und die
Hell-Dunkelgrenze gleitet dann nach und nach ins Tal bis zu uns hinunter.
Einfach überwältigend. Meine beiden Netzhäute werden geradezu verwöhnt. Pünktlich um neun Uhr geht’s los. Giulio bleibt
nun doch zuhause, statt seiner führen mich seine Frau Orianna und ihre
15jährige Nichte Michela, (sprich: Mickeela), die perfekt deutsch
spricht. (Michela wohnt in Bozen und besucht dort eine deutsche Schule.
Deshalb.)
Heute ist hier ein besonderer Wandertag. Camino e
Magna. Damit hat man eine Idee umgesetzt, die wie geschaffen ist, Körper
und Seele gleichermaßen etwas Gutes zu tun. Wandern und Essen. Ich freue
mich schon darauf, den Kopf wieder freizumachen und die Füße einfach
laufen zu lassen. Unheimlich viele Leute sind unterwegs. Es ist eine
nur zwölf Kilometer lange Wanderung von Cogolo nach Cogolo mit zehn
Stationen, an denen es überall etwas anderes zu Essen und Trinken geben
wird. Aber sie hat es in sich. Nur gut, daß ich es jetzt noch nicht weiß… Orianna schreibt uns ein und legt den Preis von 19
EUR für mich vor. Jeder bekommt eine Karte zum Umhängen, die dann an
allen Stationen angekreuzt werden wird, damit sich niemand für umsonst
dazwischenmogeln kann. Die erste Station am Startpunkt in der Ortsmitte
lassen wir aus. Ich kaufe im Vorbeigehen im Supermarkt noch rasch
die zuhause vergessene Zahncreme. Auch hier im Dorf haben
Lebensmittelgeschäfte sonntagvormittags offen. Die andern, Sportgeschäfte
und so, sowieso. Die alte Kirche im Dorf soll über fünfhundert
Jahre alt sein; und so sieht sie leider auch aus. Es geht ganz gemütlich, für mich zu gemütlich,
zurück und an unserem Hotel vorbei bis zum Wasserkraftwerk, wo es an der
offiziell zweiten Station eine Schale Jogurt mit frischen Erdbeeren und
Honig zum Süßen gibt. Ein Musiker spielt live.
Dann geht es entgegengesetzt zurück nach Süden,
etwas erhöht, oberhalb des Ortes gemütlich weiter. Am Ortsrand sehe ich
eine weißblaue Fußballmannschaft trainieren und höre von Orianna, daß
es die Spieler des berühmten SSC Napoli sind, die hier ihr
Sommertrainingslager aufgeschlagen haben. Alles ist freundschaftlich, vielleicht sogar familiär.
Jeder kennt jeden. Aha, zur Begrüßung sagt man sich hier weniger „Bon
Giorno“ oder „Ciao“, sondern eher ein freundliches (lateinisch/römisches?)
„Salve“, mit langgezogenem „E“, also eher „Salvee“). In Celledizzo nächste Station: An der alten Kirche
in der Mitte des Dorfes bekommt jeder Wanderer einen Pappteller mit
Salami, rohem Schinken (hier sagt man: Speck) und Brot. Ich würde mir
gerne noch eine Portion holen, weil mir Salami und Schinken so gut
schmecken, ich trau mich aber nicht, es sehe vielleicht blöd aus. An
allen Stationen bekommt man Wasser mit und ohne, Cola, Fanta, Rotwein, Weißwein.
Und überall steht ein Krankenwagen bereit.
Aber es gibt nicht nur allerorts zu essen und
trinken, in jedem Dorf gibt es auch etwas zu sehen; die Kirchen sind natürlich
geöffnet und laden zum Eintreten ein, zum Innehalten, zum Besinnen und
zum Ausruhen. Einen fleißigen Imker mit seinen emsigen Bienen gibt es,
ein winziges Museum, z.B. ein Holzmuseum, ein altes Sägewerk, auch mal
eine Vorführung, wie Flachs hergestellt wird – und was man alles daraus
machen kann. Allerlei Interessantes gibt es also nebenbei zu
sehen und zu bestaunen. Insgesamt dreiundzwanzig „Attraktionen“,
Kirchen, Kapellen, Museen, Handwerker. Außer der Hauptattraktion: Der schönen
Landschaft, dem Tal, der Natur, den kaum zählbaren hohen Gipfeln.
Aber schade, jetzt ist es mit dem Gemütlichen
vorbei, denn der Weg führt erst steil runter, aber nur, um dann noch
steiler wieder nach oben zu gehen. Wie schaffen das die Leute nur mit
ihren Kinderwagen? Nächste Station ist Celentino. Hier bekommt jeder
eine Portion grüne Gnocchi mit Parmesan zum Drüberstreuen. (Ich bitte um
das Verständnis meiner geschätzten Leserinnen und Leser, ich
fotografiere aus Prinzip mein Essen nur äußerst selten. Daher gibt es so
gut wie keine Fotos darüber.)
Das Wetter hat sich inzwischen leider geändert, es
nieselt jetzt dauernd. Im nächsten Dorf, in Strombiano, bekommen wir
Polenta mit Gulasch. Gulasch, darüber freut sich jetzt endlich auch mal
Hanni. Salami, Schinken, Gnocchi waren nichts für sie. Hier regnet es jetzt doch etwas deutlicher und ich
krame meine Regenjacke aus den Tiefen des Rucksacks heraus. Oriannas
Schwiegereltern wohnen hier zufällig und sie leiht sich bei ihnen zwei
Regenjacken für sich und Michela aus. Auf den Bergen hängen dunkelgraue
Wolken herum und überlegen sich, was sie mit uns Menschen hier unten
machen sollen.
Um die Ecke an der nächsten Station gibt es
Espresso und verschiedene Grappas. (Ich würde ja lieber „Grappi“
schreiben. Gehorche aber mal wieder der Rechtschreibempfehlung des PCs.
Lasse mich von ihr überreden.) Wer möchte, bekommt auch beides zusammen
in seinen Becher, Espresso mit Grappa. Brrrh! Igitt! Aber die Sonne kommt
schon wieder zurück.
Jetzt geht es richtig bergab, steil runter, dann über
die Straße, wo zwei Polizisten die Autos anhalten, (einer ermahnt mich,
Hanni grundsätzlich an die Leine zu nehmen - si,
signore, naturalmente…), und dann weiter runter bis zum Bach. Hier
scheint, äh, brennt längst wieder die Sonne auf uns herunter. Nächste Station, Forno di Comasine, noch am Bach:
Verschiedene Käse. Hier haben wir jetzt unseren südlichen Wendepunkt
erreicht. Bin ganz schön geschafft. Hanni verträgt sich
erfreulicherweise mit allen anderen Hunden und macht keine Streitereien.
Es soll ja jetzt gleich steil raufgehen, aber so
steil habe ich es nicht erwartet. Später können wir unseren Weg drüben
sehen, den wir vorhin gegangen sind. Viele Leute laufen hier, auch ältere. Wie schaffen
die das eigentlich? Und ich nicht? Kinder gibt es auch. Ich habe übrigens
die Nr. 419. Und nach uns haben sich bestimmt noch viel mehr Leute
eingeschrieben. Scheint ein toller Event zu sein. Den Leuten macht diese jährliche
Veranstaltung offensichtlich viel Spaß. Orianna kennt unglaublich viele
Leute und wird oft angesprochen. Im Herbst muß es hier in der Gegend auch ganz schön
sein, bei den vielen Laubbäumen. Aber hauptsächlich gibt es Nadelbäume,
Lärchen glaub ich. Hochsaison ist natürlich im Winter. Nächste Station ist Comasine mit Kuchen und Kaffee.
Hier verzichte ich, ich kriege nichts rein, bin zu erschöpft und/oder
einfach nur zu satt. Hier im Dorf gibt es nur ganz enge steile Sträßchen.
Wie schaffen die das im Winter? Hanni schlägt sich wie immer wacker und hat sich längst
mit Orianna und Michela angefreundet. Sie wird ja nie müde und hat ihren
Spaß. Weiter geht es mühsam bergauf, bis an eine einsame
Kapelle. Hier an der Chiesa di Santa Lucia di Comasine bekommen wir
verschiedene Tees. Ich schaffe es nicht, in die Kapelle reinzugehen. Bin
zu kaputt.
Jetzt geht es erneut steil runter, zum Ziel, meist
sehr steil und eigentlich auch anstrengend. Ein paar Leute überholen mich
trotzdem, obwohl ich bestimmt nicht langsam bin. Sogar ein altes Ehepaar, auf jeden Fall älter
aussehend als ich, aber immerhin mit Wanderstöcken, quetscht sich an mir
vorbei. Bisher hatte ich ja nie einen Vergleich über meine Beweglichkeit,
jetzt schon. Ich bin etwas über mich enttäuscht. Das hätte ich nicht
erwartet. Bisher bin ich halt immer alleine gelaufen und hatte keinerlei
Vergleichsmöglichkeit. Schade, daß mir meine Schwäche jetzt hier so
deutlich und so gnadenlos vorgeführt wird. Gehöre ich doch schon zum
alten Eisen? (Später werde ich das besser verstehen und noch etwas
deutlicher erklären…) Endlich, um 16:45 Uhr, nach immerhin fast acht
Stunden, (und gefühlten zwanzig Kilometern), sind wir an unserem Ziel zurück
in Cogolo angelangt. Mmh, hier bekommen wir Espressi und Eis mit Sahne.
Wer möchte, bekommt zusätzliche Geschmacksverbesserungen aus
verschiedenen Flaschen mit süßem oder alkoholischem Inhalt nach Wunsch
drübergeträufelt. So schnell wie das wundervolle Eis im Mund zerfließt,
so rasch sind alle Strapazen dahin geschmolzen und vergessen. Auch Hanni
freut sich über das Eis. Hier erschallt erneut Livemusik und lädt einige
ganz besonders Mutige sogar zum Tanzen ein.
Also, ich kann nicht meckern, für den Preis ist das
ganze ausgesprochen günstig, vorbildlich und perfekt organisiert.
Familien bekommen es billiger. Natürlich ist es schon lange wieder
angenehm warm. Der Regen vorhin wollte die Leute nur etwas ärgern.
Eigentlich war das Wetter ja ganz gut, morgens noch 12 Grad und
wahrscheinlich nie mehr als 20 Grad. Also nicht zu heiß. Wir sind hier
aber auch immerhin fast zwölfhundert Meter hoch. Orianna erzählt, daß der Sommer hier wettermäßig
bisher auch nicht gerade die Erfüllung war. Endlich zurück, im Zimmer, schaffe ich es kaum
noch, mich auszuziehen, erschöpft und am Ende meiner Kraft fallen wir
beide schließlich aufs schmale Bett. Einzelzimmer ist halt oft blöd,
entweder ganz hinten, oder wie jetzt hier, mit den beiden superschmalen
Betten. Oder, wie auf der Herfahrt, mit einem einzigen Einzelbett. Ich
liebe einfach ein breites Bett ohne Ritz. Um sieben Uhr dusche ich und um halbacht sitze ich
erholt und rechtzeitig im Restaurant beim Abendessen: Salate
vom Buffet, Käse-Soufflé
(leider nur noch lauwarm), Kartoffel-Pilzsuppe, Schnitzel
mit Käse und Schinken drin „à la Cordon-bleu“ mit Zucchini, Crema
catalana (ist eigentlich das gleiche wie Crème brûllée). Leider
eiskalt, glühend heiß ist sie mir persönlich lieber. Trotzdem, ich
liebe italienisches Essen. Mediterranes sowieso. Direkt neben mir, in der Ecke, sitzen jetzt plötzlich
vier schrecklich laute Holländer. Warum hat Gott Holländer erschaffen?
Sie schwatzen ununterbrochen mit ihren Zisch- und Kehllauten und gehen mir
schrecklich auf die Eier, äh, Entschuldigung, auf die Nerven. Keine
Sekunde ist mal Ruhe. Die quasseln bestimmt auch noch im Schlaf
miteinander. Aber vier Deutsche könnten ja genauso schlimm sein. Oder
egal welche Nationalität. (Trotzdem, ich bleibe dabei, Holländer sind
die schlimmsten, und so hautnah braucht man sie bestimmt nicht). Da lobe ich mir die einzelne sympathische Belgierin
auf meiner andern Seite, rechts von mir. Sie lächelt mir gerne mal zu.
Spricht auch mal mit mir, aber doch nicht unentwegt! Meinen Espresso trinke ich wieder bei Orianna in der Bar, wo ich Zuflucht suche. Nur weg von den Holländern. Ich weiß noch nicht, was morgen passiert. Soll ich
überhaupt? Erst mal drüber schlafen. Doch ich weiß natürlich schon
jetzt tief in meinem Innern, wie die Entscheidung ausfallen wird… Ganz zum Schluß erfahre ich, daß ich morgen mit
den vier Holländern zu einem See hinauflaufen werde: Lago di Pian Palù
(Stausee), Höhenunterschied 800 m (rauf und wieder runter!), 5:30 Std., 12 km, es geht bis auf 2.450 m hinauf. (Das Schicksal kann manchmal grausam sein…) Montag, 23. Juli 2012 Wir beide stehen wie immer um 7:15 Uhr auf, der
Himmel ist stark bewölkt. Nach dem Frühstück erfahre ich, daß die vier
lauten Holländer nun doch nicht mitfahren und lieber für sich allein
herumwandern. Gott liebt mich eben doch. Nur die freundliche Belgierin aus
Antwerpen, Marleen, vom Nebentisch fährt mit. Wir werden also nur zu
dritt sein, was mir natürlich sehr gut gefällt. Gott liebt mich
wirklich. 9:15 Uhr. Mit etwas Verspätung geht es los. Orianna
fährt uns mit dem kleinen blauen neuen 4x4-Panda. Übrigens, Pandas sind
hier stark verbreitet, in allen Altersklassen. Trotz Kälte, Schnee und
Salz. Offenbar sind viele von ihnen unkaputtbar. Schade, Michela bleibt
heute leider zu Hause. Ich wähle mir ein paar Stöcke im Hotelbestand
aus. Die Fahrt geht den Berg hinauf nach Peio und noch
ein Stück weiter. Als Einheimische braucht Orianna keine Parkgebühr
(sonst 2 EUR) beim Wächter zu bezahlen. Es geht sofort steil zum Stausee Lago di Pian Palú
auf 1.800 Meter hinauf, der zurzeit ziemlich leer ist. Das Wasser ist hier
auch so grün-türkis koloriert, fast wie in Frankreich kürzlich.
Besonders, wenn die Sonne scheint; sie ist längst herausgekommen, um uns
zuzuschauen.
Am nur zu einem Drittel gefüllten See vorbei geht
es weiter entlang bis ans gegenüberliegende Ende, über ein paar Bäche
und an ein paar imposanten kleinen Wasserfällen vorbei und dann steil bis
zum kleinen Lago di Lagostel am Malga Paludei hinauf. Das Meer ist hier
2.106 Meter tiefer. Orianna zeigt uns unterwegs ein paar Pflanzen am
Wegesrand. Belladonna, Schwarze Tollkirsche. Die Beeren sind hochgiftig.
Eine der blauen Beeren soll schon genügen. Also Vorsicht, wenn einem die
Frau mal überraschend Blaubeeren auf den Tisch stellt… (Ganz so giftig sind sie dann hinterher doch nicht,
Erwachsene benötigen zehn bis zwölf Beeren für einen erfolgreichen
Exitus.) Hier trennen sich die Geister. Die beiden Mädchen
laufen noch weiter hinauf und kommen nach zwei Stunden zurück. Ich bleibe
mit Hanni lieber hier an der Hütte, warte, und genieße die grandiose
Aussicht und den herrlichen Sonnenschein. Ab und zu kommen Wanderer
vorbei.
Dann geht es zurück, meistens bergab, logisch.
Unterwegs treffen wir zwei Waldpolizisten, Guardia Forestal, mit einem
braven Hund, die nicht mit mir meckern, weil Hanni nicht angeleint ist.
Ihr Hund ist es aber auch nicht.
Hanni trinkt inzwischen ganz gerne aus den vielen
kleinen Bachfurten und watet auch brav hindurch. Bisher hatte sie vor
beiden Sachen Angst. Bald sind wir am großen Stausee zurück und tapsen
über die schmale steile Treppe hinunter und zurück ans Auto. Mal so am
Rande: Die hohe Betonmauer scheint auch nicht mehr die stabilste zu sein.
Jedenfalls ist der ganze Putz längst abgebröckelt, allerlei Brocken
liegen hier unten rum… Zurück am Auto macht Orianna noch eine kurze
Sightseeing-Tour mit uns und zeigt uns dreien das alte ursprüngliche Peio
(Peio Paese) mit seinen unglaublich engen und steilen Gassen. Wie geht das
hier nur im Winter zu? Wie schaffen die das nur??
Und dann fahren wir durch Peio Fonti, (dem neuen
Peio), und weiter den Berg runter über einige Serpentinen bis Cogolo.
Gegen 16:45 Uhr sind wir zurück. Giulio erwartet uns schon. Marleen lädt mich zu
einem Radler ein und Orianna bringt uns frisch gepflückte Himbeeren. Ich
lerne: Himbeeren heißen auf Italienisch Lamponi. Anderthalb Stunden dürfen wir schlafen. Dann
Duschen und Abendessen. Salatbuffet, Makkaroni
mit Tomatensoße und Parmesan, Käseomelette,
(das Beste meines Lebens), mit zwei gebratenen halben Tomaten, Schokopudding
mit den vorhin gesehenen Himbeeren. (Crema catalana gibt es heute leider
keine.) Der Hausrotwein kommt übrigens aus Trento und ist
ein Merlot; ich glaube, ich habe es oben schonmal erwähnt. Ich fühle
mich inzwischen ganz wohl hier im Haus und in der Gegend. Ob das am
Rotwein liegt? (Wenn ich nur nicht jeden Tag so lange rumwandern müßte…) Marleen gibt Hanni ihren Truthahnknochen zum Abnagen
und die ist auch gleich sehr zufrieden damit; aus der Küche bekommen wir
noch zwei mit. Von meinem Tisch habe ich wieder einen wunderschönen
Blick auf die Berge. Es ist eindeutig der beste Tisch mit der schönsten
Aussicht im ganzen Restaurant! In der Bar trinke ich den gewohnten Espresso und
spiele mit Orianna, Michela und dem neuangekommenen schüchternen
italienischen Gast Michele (24) ein paar Runden Rummikub. Eine Katze gibt
es auch; sie heißt Maku. Michela leiht mir ihr Ladegerät, weil ich meins
zuhause oder unterwegs vergessen haben muß. Bin mal gespannt deswegen.
Aber das Verbindungskabel ist wenigstens da. (Und die andern Ladekabel
eigentlich auch. Noch.) Dienstag, 24. Juli 2012 7:15 Uhr aufstehen, Sonne und Wolken. Heute machen
Marleen und ich eine kleine Wanderung nach Peio hinauf, immerhin von 1.160
Meter auf 1.584 Meter hinauf. Den blöden Rucksack lasse ich zurück.
Startzeit 9:30 Uhr. Steil geht es auf dem relativ gut gepflegten
schattigen „Botanischen Weg“ (Percorso Botanico) unter vielen Laub-
und Nadelbäumen hinauf. Schilder erklären auf Italienisch Bäume und Büsche.
Es gibt sogar mal die eine oder andere seltene hölzerne Sitzbank. Wir
beide schnaufen ganz schön, ich mehr als meine belgische Begleiterin. Und
dabei sind es gerade mal 420 Meter Höhenunterschied und schlappe fünf
Kilometer Wegstrecke. Wir nehmen den verlängerten Weg nach ganz oben
hinauf.
Oben trinken wir etwas in einem kleinen Café und
dann geht es schon wieder steil und zum Teil auf der Asphaltstraße
hinunter nach Peio fonti, dem deutlich moderneren Ortsteil auf „nur“
noch 1.393 m. Die Fahrt mit der Seilbahn den Berg hinauf ist uns nicht gegönnt,
sie macht seit drei Minuten Mittagspause, von 12:30 Uhr bis 14:00 Uhr und
steht jetzt still. Hanni ist wie immer vorbildlich brav. OK, nicht schlimm, wir trinken hier noch etwas und
nehmen den nächsten Bus um 14:00 Uhr die Serpentinen und den Berg
hinunter nach Cogolo und sind um 14:15 Uhr zurück. Busse fahren hier überall
und sind nicht so teuer. (Wir wollen nicht denselben Weg zurücklaufen.)
Wetter: Sonne und zum Teil etwas dunkle Wolken.
Unterwegs erzählte uns eine nette sympathische
Familie aus Dresden, daß man hier in ihrem großen Hotel deutlich
unfreundlicher ist, als früher in den Hotels in Südtirol, wo sie sonst
immer Urlaub gemacht haben. Sie wollen nicht mehr hierher in diese Gegend
kommen. Aber hier sind wir ja auch in „Italien“, nicht mehr in „Südtirol“.
Dabei sollten die Leute hier eigentlich froh sein, wenn sich überhaupt
jemand während der Nebensaison hierher verirrt und in ihr abgelegenes
kleines Tal hochkommt. Ganz selten sehe ich mal ein paar nackte Bergspitzen
der Dolomiten in der Ferne. Das ist dort ein komplett anderes Felsgestein.
Deshalb gibt es auch nur dort die phantastischen roten Bergspitzen morgens
und abends in der Sonne. Nachdem wir heil zurück sind, schlafen Hanni und
ich etwas. Hanni bleibt später brav im Zimmer, während ich mich um vier
mit Marleen in der Sauna verabredet habe. Sie ist klein, die Sauna, Handtücher
gibt‘s keine, man muß sein eigenes dünnes aus dem Zimmer mitbringen.
Ein Dampfbad gibt‘s auch. Leider darf man nicht nackt hier unten
herumlaufen. (Mach ich aber trotzdem.) Dann nochmal im Zimmer ausruhen,
zum ersten Mal schalte ich den kleinen Flachbild-Fernseher in meinem
Zimmer ein. Danach trinke ich ein Radler auf der Terrasse und
rauche endlich meine allererste Zigarre auf dieser Reise. Die Leute sind
hier eigentlich gar nicht so rückständig wie befürchtet, sogar
„Nossa, nossa!“ kommt aus den beiden Lautsprechern. Hier im Ort vereinigen sich zwei breite Gebirgsflüsse,
der Torrente Noce Nero und der Torrente Noce Bianco zum durchaus
imponierenden Torrente Noce, der Richtung Trento fließt. Vorhin haben wir
sie noch von ganz oben rauschen gehört. Hier in Cogolo, direkt vor unserm Hotel, liegt auch
die Mineralwasserfabrik Acquapejo, mit einem „J“ hinten, das ich jeden
Abend trinke. (Die Firma gehört offenbar zu San Pellegrino.) Im Übrigen
sind beide Schreibweisen OK, Peio und Pejo. Am Schwarzen Brett hängt zum ersten Mal der Plan für
den nächsten Tag aus. Scheint ziemlich hoch hinaus zu gehen, ich glaube
etwas von schon wieder 750 m Höhendifferenz (jeweils rauf und wieder
runter!) gelesen zu haben. Oi, oi, oi, hoffentlich schaffe ich die neue
Herausforderung! Falls nicht, mein Testament habe ich Irmgard ja schon
gegeben. Gestern waren es nur fünfhundert Meter. Start wie immer um neun
Uhr. Blätterteig
mit Käse drin, heißt hier Strudel, (die
Kaasköppe neben mir bleiben in ihrer Ecke und wechseln leider nicht ihren
Tisch, wie von mir eigentlich erhofft, aber wenigstens sind sie jetzt
nicht mehr ganz so laut wie am Anfang), dann
zwei Scheiben Braten mit Steinpilzen, Spinat und leckerer Rotweinsoße,
Hanni schmeckt das Fleisch, da wird gleich zugeschnappt und nicht vorher
erst noch lang dran rumgeschnuppert, das
Tiramisu bestelle ich ab und nehme lieber den angebotenen Strudel. (Schade,
die Nachspeisen liest Claudia immer nur auf Italienisch von ihrem Block ab
und so läßt sich die gewünschte nur sehr schwer auswählen.) Das
Dessert ist dann letztendlich weicher Strudel mit Aprikosen und etwas
roten Waldbeeren. Immer wieder bin ich erstaunt, wie man hier den
Wechsel des Bestecks beim Essen handhabt. Nach dem Salatbuffet bekommt man
gar nichts Neues; nach der Vorspeise wird nur die Gabel getauscht, das
schmutzige Messer behält man usw. Wie immer Espresso in der Bar. Ich spiele mit
Orianna, Michela, Michele und Marleen „phase 10“, ein Kartenspiel. Um viertel nach elf liegen wir beide brav im Bett. Mittwoch, 25. Juli 2012 Aufstehen, Wetter (Sonne und 20 Grad) und Abfahrt
wie immer. Es geht mit dem VW-Bus Caravelle die Straße ein paar Kilometer
runter und dann rechts durch zwei neue kurze Tunnel den Berg hinauf, durch
Comasine und an der Kapelle vom Sonntag vorbei. Hier beginnt eine
ungeteerte „Naturstraße“, die in engen Kurven gleichmäßig hinaufführt.
Ich bedauere das arme Auto, das mit etwas über 20.000 km noch ziemlich
neu ist. 23 Liter Verbrauch Diesel zeigt die Anzeige an, aber das
relativiert sich ja beim Runterfahren wieder, denn dann werden es nur noch
2,5 Liter sein. Nur gut, daß uns hier niemand begegnet, so eng ist der
Weg. Ich sitze mit vorne, wir sind elf Leute im Auto: Giulio, Michela, die beiden Holländer Jan und Helen, die beiden Holländer Pieter und Sylvia, Michele aus Italien, Marleen aus Belgien, zwei weitere farblose Leute, Mann und Frau, ich
glaube aus Italien. Und ich aus Deutschland. Und Hanni natürlich.
Ganz oben auf dem Berg (Campo di Comasine) stellt
Giulio das Auto ab. Wir sind oberhalb der Baumgrenze oder jedenfalls kurz
davor. Hier oben wachsen hauptsächlich Lärchen. Erst müssen wir den Berg steil ins Val Comasine
runter, was ja noch geht, aber dann geht es wieder rauf. Ich bin wie immer
schnell aus der Puste. Hanni hat ihren Spaß. Ein Almbauer wird besucht und wir können seine
Milch probieren. Giulio kauft einen runden Käse, ein Kilo für schlappe
62 EUR, und dann geht es weiter. Schnell wird mir vorgeführt, wie
schlecht ich dran bin. Ich bin der letzte, weit abgeschlagen, Giulio
bleibt bei mir hinten, für den Fall, daß mir etwas passiert oder daß
ich verloren gehe. Außer dem schweren Käse und seinen normalen Sachen
schleppt er zu unserer Sicherheit auch noch ein Funkgerät im Rucksack
mit.
Wir sind längst auf einer weiteren Alm. Im saftigen
Gras wachsen unzählige kleine Blumen, Kräuter, Gräser; Bäche müssen
überquert oder durchwatet werden. (Manchmal gibt es sogar eine kleine
Holzbrücke.) Hanni schafft sie immer besser und schlabbert immer mal
wieder vom kalten frischen Wasser. (Sie trinkt einfach zu wenig.) Hier
oben scheint die Natur noch halbwegs in Ordnung zu sein. Die Kühe sind hintenrum viel sauberer als bei uns
und haben es offenbar besonders gut. Hier oben würde ich gerne Kuh sein.
Nein, lieber ein Stier! Schönes Wetter und üppiges Futter. Was will man
mehr als Rindvieh? Sie haben alle eine (sehr laute und weithin hörbare)
Glocke am Hals. Dafür dürfen sie aber auch überall frei herumlaufen. So
etwas wie einen Hund haben sie offenbar nur selten gesehen, sie schauen
immer sehr interessiert nach Hanni, aber die hat natürlich Angst und
kommt ihnen lieber nicht zu nahe.
Am Baumstumpf einer Eiche ist ein Schild angebracht.
Im Jahre 1410 (also lange vor Christoph Columbus) ist sie entstanden; 1990
„gestorben“ (= gefällt worden), mit 580 Jahren. Wie traurig. Ich könnte
so ein Lebewesen jedenfalls nicht umlegen. Giulio zeigt mir unterwegs (und nur mir) ein paar
Edelweiß. (Die andern sind schon viel zu weit voraus.) Er klettert mit
unglaublicher Leichtigkeit einen steilen Abhang rauf, um ein paar Nahfotos
für mich zu schießen. Wahnsinn. Ich freue mich darüber. Das ist der
Vorteil, wenn man zusammen mit dem (freundlichen) Guide läuft. Bald gibt’s nur noch Gras im steilen Felshang.
Enge schmale Serpentinen führen weiter nach oben. Höhenangst sollte man
hier nicht haben. Ab und zu muß ich innehalten, nach Luft schnaufen, den
Motor wieder halbwegs auf Normaldrehzahl kommen lassen. Erfreulich, daß
mich Marleen vorhin am Auto noch überredet hat, die Stöcke mitzunehmen.
Ich mußte extra nochmal ein paarhundert Meter zurück. Und Guido mit dem
Autoschlüssel auch. Hanni wetzt auch hier natürlich hin und her, unermüdlich.
Was muß passieren, wie weit muß ich laufen, wie hoch muß ein Berg sein,
daß sie mal Anzeichen von Müdigkeit oder gar Schwäche zeigt? Ich
dagegen muß mich weiter quälen. (Und ich habe letztes Jahr tatsächlich
im Ernst noch über eine Kilimandscharo-Besteigung nachgedacht. Gibt es
wirklich für 60plus-Leute. Die Träger hätten mich allerdings
hinauftragen müssen. Mann, hätte ich mich da blamiert. Nur gut, daß ich
das noch rechtzeitig gecancelt habe.)
Wir sind in einem Steinfeld. Komisch, wie gut es
alle schaffen, nur ich nicht. Ich quäle mich. Ein weiterer steiler
Berghang. Oben auf dem (ersten) Gipfel Colle di Boai auf 2.588 m mache ich
endgültig schlapp und lass die andern ziehen. Sogar Jan aus Holland mit
seinen 70 geht weiter. Nur seine junge 62jährige Frau bleibt bei Hanni
und mir zurück. Da die Lawinengefahr eher als äußerst niedrig
einzustufen ist, lasse ich während des Wartens ein paar kugelige Steine
den Abhang runterrollen. Wir schauen vom Basislager zu, wie die neun Leute
immer kleiner werden. Manchmal sehe ich sie noch, wie sie im Gänsemarsch
hochstapfen, auch wenn es ab und zu nur noch ihre Köpfe sind. Sie wollen
sich weiter rauf zum Mt. Everest, äh, zum Cima Boai auf 2.685 Metern
durchschlagen. Vielleicht werden wir sie nie wiedersehen… Immerhin will Giulio ein paar Fotos des wunderschönen
Panoramas für mich schießen, ich habe ihm meine Kamera mitgegeben.
Vielen Dank, lieber Giulio! Wir drei, Helen, die Holländerin, Hanni und ich,
machen unterdessen eine kurze Pause und laufen dann den Berghang im
Zickzack wieder runter. Unten machen wir am Riesenfels in der Bergwiese
eine richtige Rast, wir haben ja jeder ein Lunchpaket (Plastiktüte mit
weichem Brot und Käse, Brötchen mit Salami, Obst und Wasser) mitbekommen
und ruhen uns aus. Von ganz, ganz oben rufen und winken uns Michela und
die andern zu. Ich bedauere es natürlich sehr, den Weg zum Gipfel nicht
bewältigt zu haben. Aber ich hätte es nie ganz nach oben geschafft.
Jetzt erst erkenne ich, wie viel vom doofen GBS noch in meinen Knochen
steckt.
Unterwegs können wir noch ein paar wenige
Murmeltiere beobachten, sie haben aber nicht viel Lust rauszukommen und
bleiben viel lieber in ihrer bestimmt kuscheligen Privatsphäre. Die Sonne
ist hinter Wolken verschwunden und es ist leicht kühl geworden. Zum Schluß müssen wir nochmal eine steile Fahrstraße
rauf und dann sind wir endlich am Auto zurück. Ich glaube, das war jetzt
meine anstrengendste Wanderung in den letzten Jahren. Zum Glück weiß ich
nicht, was noch vor mir liegt… Hanni tritt, von mir unbemerkt, kurz vor dem
Einsteigen in einen Kuhfladen neben dem Auto und versaut die Sitze und die
Hosen von ein paar Leuten, doch alle und vor allem Giulio bleibt ganz
gelassen; zum Glück sind er und Orianna ja sehr tierlieb. (Ja, ich weiß,
meine Schuld, ich bin verantwortlich, ich hätte besser aufpassen müssen!
Ich bitte alle Beteiligten noch einmal herzlich um Entschuldigung!) Eine
Frau hat glücklicherweise ein feuchtes Tuch dabei und ich kann das
Malheur etwas mildern. Die Runterfahrt zieht sich, vielleicht, weil wir
beide jetzt ganz hinten sitzen, aber hier hinten neben Michela und Michele
ist es auch ganz nett. Gleichwohl, irgendwann (um kurz vor vier Uhr) sind
wir zurück. Jetzt erst einmal ein, zwei Radler mit Marleen, Jan und
seiner Frau Helen. Orianna bringt uns wieder selbstgepflückte Lamponi
(Himbeeren), ein paar Stückchen vom heute gekauften Bergkäse und Chips
an den Tisch. Jan erzählt mir etwas über die niederländische
Geschichte. Ich könnte mir gut vorstellen, mit ihm befreundet zu sein, er
ist sehr sympathisch. Nach einer Stunde, um fünf Uhr, gehen wir beide
aufs Zimmer. Giulio sitzt wie immer in seinem kleinen Büro am PC. Als wäre
nichts gewesen! Und ich bin total am Ende. Überraschung, unser Bett ist frisch bezogen.
Halbzeit. Wie immer schlafen wir ein bißchen. Dann muß ich
meine Hose (wegen der Kuhfladen-Spuren) waschen. Hoffentlich ist sie
morgen wieder trocken. Abendessen. Hanni erscheint mir etwas müde,
hoffentlich wird sie mir nicht krank, sie hat heute ganz schön oft aus
den Bächen getrunken. Oder sie ist doch nur etwas entkräftet. Beim Abendessen erhält man hier immer eine kleine
Karte mit den Auswahlmöglichkeiten für den nächsten Abend, die man
entsprechend ankreuzt. Heute Abend gibt es ein „typisch italienisches“
Menu: Salatbuffet Salami
mit Kartoffeltörtchen Reis
mit Käse und Himbeeren und dazu Bandnudeln mit Pilzsoße Lendenbraten
mit Waldpfifferlingen und Polenta Karottentörtchen
mit Schokosoße Danach der übliche Espresso und dann setzen wir die
Partie „phase 10“ von gestern fort. Am Ende bin ich zweiter von Fünf.
Immerhin. Um elf liegen wir im Bett. Donnerstag, 26. Juli 2012 Heute müssen Hanni und ich etwas eher als sonst
Aufstehen, es geht ausnahmsweise schon um 8:30 Uhr los. Die Hose ist
trocken. Lunchpaket wie immer. Orianna fährt uns im VW-Bus auf der sehr schmalen
Teerstraße ein Stück den Berg hinauf. Wieder müßten zwei EUR für den Parkplatz bezahlt
werden. Die Kühe sehen mich mit warnenden (oder mit bedauernden?) Blicken
an und quetschen sich währenddessen voller Freude zwischen den parkenden
Autos durch. Manchmal schabt man sich auch sein Fell an einem der Außenspiegel
oder am Kopf einer Anhängerkupplung. Ein bißchen werde ich hier an die Büffel
im Yellowstone NP erinnert. Nur waren die Büffel dort doch etwas
unberechenbarer und auf jeden Fall gefährlicher. Die Kühe hier haben es
besser und werden nicht von so vielen Fliegen belästigt, wie ihre
Kolleginnen gestern. Alle haben einen witzig aussehenden Haarschopf
zwischen den Ohren. Wie ein schlecht angepaßtes Toupet.
Wir sind heute zwei Negerlein weniger, eine Frau
hatte gestern auf dem Rückweg schon Probleme, offenbar einen Höhenkoller,
was immer das auch ist. Auf jeden Fall hat sie wohl die Höhenluft auf dem
Gipfel nicht vertragen. Ihr Mann bleibt natürlich bei ihr. Sonst ist die
Gruppe unverändert. Ja, OK, statt Giulio führt uns heute Orianna. Ich
wandere ja sehr gerne allein, nur mit Hanni, aber hier bin ich froh, daß
ich in einer Gruppe bin und von erfahrenen sympathischen Guides geführt
werde. Alleine ginge es gar nicht. Ich freue mich, daß meine
„Freundin“ Michela auch wieder mit von der Partie ist. Auf jeden Fall
sehe ich sie gerne. Sofort müssen wir wieder steil rauf. Hier gibt’s
bald nur noch Nadelbäume und niedrige Büsche. Wetter wie immer, also
Sonne, Wolken und 20 Grad.
Ich falle etwas zurück. Ich weiß nicht, wie der
70jährige Holländer und die andern alle das schaffen. Im Zickzack geht es eine Steilwand hinauf. In meinen
Schläfen hämmern zwei Schlagbohrmaschinen. Madonna di Montana! (Gibt’s
die überhaupt?) Bitte steh mir bei und mach, daß ich das hier überlebe!
„Du willst es. Du kriegst es. Du schaffst es.“ fällt
mir der etwas abgewandelte und auf mich angepaßte Werbespruch ein. Ein schmieriger gemeiner Typ in mir drin, der innere
Schweinehund, verhöhnt mich: Du Schwächling schaffst es ja doch nicht! Wärst
Du doch zuhause bei Mama geblieben! Am liebsten würde ich ihm eine auf
die freche Schnauze geben. Aber er duckt sich immer weg… Stunden später habe ich es tatsächlich geschafft.
Es gibt eben Drachentöter, Mt. Everest-Besteiger und halt
Alpen-Wanderweg-Bezwinger. Wir sind am Stausee Lago del Càreser, auf 2.603
Meter, oberhalb der Baumgrenze. Die andern haben ihre Jause fast schon
wieder beendet, ich fange jetzt erst mit ihr an. Kaum zu glauben, ich falle beinahe aus den Socken:
Eine kleine „unterirdische“ bzw. überdachte Bahn fährt vom Tal unten
am Parkplatz auf Schienen unsichtbar nach hier oben hinauf. Logische
Frage: Warum sind wir nicht mit der Bahn gefahren?! Ja, klar, geht natürlich
nicht, die Mitfahrt ist normalen Menschen streng verboten und nur dem
Personal der Kraftwerksanlagen erlaubt. (Hätte man nicht mal eine
Ausnahme machen können? Eine einzige? Nur für mich? Ich hätte es auch
nicht verraten!) Wir brauchen nicht durch die Fenster zu schauen,
Orianna öffnet uns wenigstens das Tor, damit wir alles hautnah
besichtigen können. Die 1.555 Meter lange Bahn wurde 1928 erbaut und 1995
modernisiert. Was, nur lächerliche anderthalb Kilometer – und ich habe
Stunden dafür gebraucht?!
Nach kurzer Rast geht es auf der riesigen halbrunden
Staumauer entlang weiter. Wir haben uns in zwei Gruppen aufgeteilt: Die
„Kleine Schnelle“ mit der drahtigen Orianna, dem schüchternen zarten
Michele und Pieter, dem großen jungen Holländer, stark wie ein Stier,
die zum Gipfel Cima Lago Lungo hinaufwollen - und die von Michela angeführte
„Große Langsame Gruppe“, dem Rest, die den Trail einfach nur zu Ende
bringen wollen. Ich bin bald wieder ganz hinten, der Abstand wird
erneut rasch größer. Warum nur komme ich nicht mit? Ja, OK, ich mache zu
viele Fotos. Nur deshalb… Um uns herum jede Menge hohe Gipfel, oft mit Schnee,
manche mit imposanten Gletschern. Wasserfälle und Sturzbäche werfen sich
ringsum die Steilwände hinunter.
Michela zeigt uns unterwegs erneut eine
Murmeltierspielwiese, wir hätten es sonst wahrscheinlich gar nicht
mitbekommen. Ein paar sind draußen, spielen und flitzen munter über die
Felsen. Ebenso wachsam wie putzig spähen sie immer wieder zu uns herüber
und lauschen dabei aufmerksam nach Feinden. Sie haben sich schon alle
einen fetten Wanst für die Winterzeit angefressen. (Ich ja übrigens
auch…) Am nächsten Rastplatz, einem kleinen See, Lago
Marmotta, 2.704 Meter hoch, komme ich schon wieder deutlich später an und
schaffe es kaum noch, mich auf einem der niedrigen Steine und Felsen
niederzulassen. Jetzt kommt es knüppeldick für mich. Ganze
Familien wandern uns von der anderen Seite lässig entgegen, Papa, Mama,
Opa, Oma. Und Kinder! In jedem Alter! Die jüngsten höchstens acht Jahre
alt. Und machen hier zwanglos Picknick. Warum schaffen die das alles so
locker und ich nicht, oder jedenfalls nur mit größten Anstrengungen und
unter vielem Schnaufen? Nach kurzer Rast geht es weiter, hier im Schatten
ist es doch schon etwas kühl. Nochmal vierzig Minuten bis zum Rifugio.
Ich benötige natürlich erneut deutlich mehr Zeit. Jetzt schleppen die Väter
auch noch Säuglinge in Tragegestellen auf dem Rücken mit! Wollen die
mich verhöhnen? Mir zeigen, was für ein Schwächling ich bin? Einer
gleich mit zweien, vorne das kleine Baby, hinten auf dem Rücken das etwas
größere Kind, insgesamt bestimmt 20/25 kg Ballast. Boah! Das Rifugio Cevedale, auf 2.607 Metern Höhe, ist
schon von weitem zu erkennen und irgendwann habe auch ich mich
hingeschleppt. Ganze Scharen an Leuten laufen hier rum. Tolle Aussicht,
bis nach Cogolo runter, und natürlich noch immer rüber auf mehrere große
Gletscher. Weil es auch hier etwas kühl wird, verziehen wir
uns bald ins Innere. Die kleine schnelle Gruppe stößt jetzt auch wieder
zu uns. Schlechte Nachricht: Pieter, der große starke Holländer,
hat sich seinen Unterschenkel unterwegs angeknackst und kühlt ihn jetzt
draußen im Bach. Orianna ruft einen Mediziner aus dem Rifugio hinzu. Er
faßt das Bein nicht an und hat auch nichts an Ausrüstung dabei.
Komischer Arzt. Einziger Rat von ihm: Den Hubschrauber bestellen. Das
wollen die beiden aber nicht. Marleen übernimmt hilfsbereit Pieters
Rucksack und er versucht es, mit uns runterzulaufen. Hierfür bekommt er
meine volle Hochachtung. Der Abstieg geht jetzt zwar ständig nach unten,
aber leichter ist es deshalb auch nicht. Noch immer kommen uns ein paar
Leute entgegen. Orianna erbarmt sich meiner, wartet irgendwann auf mich
und bleibt dann bei mir. Die andern entfernen sich unterdessen immer
weiter von mir und sind schon bald kilometerweit weg und schon lange nicht
mehr zu sehen. Eigentlich wie die Schallwelle, die dem Blitz hinterher
rollt. Wie machen die das nur? Ich beeile mich und lauf‘ mir doch schon
einen Wolf! Ich habe noch nicht einmal eine Sekunde zum
Ausruhen, von dem einen oder anderen Foto will ich gar nicht erst reden.
Das würde alles viel zu sehr aufhalten. Dabei wachsen hier die schönsten
kleinen Sommerblumen, Arnika, Glockenblumen, Thymian, Enzian, wilder Kümmel
und was weiß ich noch alles. Schade um die nicht gemachten Fotos, aber
jetzt darf ich es nicht noch weiter verzögern, muß mal ernst bleiben –
jetzt ist einfach mal keine Zeit für meinen üblichen Quatsch. Unterwegs erzählt mir Orianna, daß sie hier im
Winter sogar schon einmal von einer Lawine verschüttet worden ist.
Mithilfe ihres Funksenders wurde sie dann aber doch noch gerettet. Alles
stand später groß in der Zeitung. Von oben sehe ich später die andern ganz, ganz
unten im Tal auf einer Bank sitzen und auf uns warten. Mindestens Pieter
wird mich jetzt verfluchen mit seinen Schmerzen, weil ich solange brauche.
Welch eine hervorragende Leistung von ihm. Ich habe oben seinen dick
geschwollenen Unterschenkel gesehen. Einfach unglaublich, wie er das
geschafft hat. Respekt! Ob wir morgen wieder ein, zwei Negerlein weniger
sein werden? Hier ein Foto der unten auf uns wartenden Leute mit
mehrfachem Zoom: Unterwegs warnt mich Orianna vor einer unscheinbaren
kleinen braunen Schlange, die sich mitten auf dem Weg träge sonnt. Uns täte
ihr Biß nichts allzu schlimmes. Aber meine liebe Hanni wäre bestimmt
bald tot, weil sie ja viel kleiner ist. Nochmal Glück gehabt. Die
Schlange verkrümelt sich, bevor ich sie fotografieren kann. Endlich sind auch wir drei bei den andern angekommen
und wir fahren die enge Straße im VW-Bus weiter runter ins Dorf. Ich habe
Glück, niemand meckert im Bus über mich. Ein Auto mit Blaulicht begegnet uns. Bergretter im
Einsatz! Ein Mann hat sich oben verletzt. Sie berichten Orianna, daß
heute schon ein anderer mit dem Hubschrauber geholt werden mußte, Bein
gebrochen. Unten im Hotel angekommen, verziehen wir beide uns
sofort aufs Zimmer, es ist 17:40 Uhr. Ich bin wieder ziemlich kaputt und
will jetzt nicht noch mit den andern rumsitzen. Lieber vor dem Abendbrot
noch etwas Regenerieren, sprich Schlafen. Duschen und Abendessen wie immer. Hanni wirkt auch
wieder etwas schlapp. Unser
heutiges Menu: Salatbuffet Zwei
Crêpes mit Käse und Gemüse (sehr zart und lecker, boah, echt die „Bööhrner“
unter den Crêpes!) Zwei
Scheiben saftiges Rindfleisch mit Kartoffelbrei und, man lese und staune,
mit gebratenen Zwiebeln und Marmelade. (Mmmh, noch ein Highlight, echt das
Beste, was ich je gegessen habe! Das ist hier heute schon eine kleine
Sternstunde…) Eis
mit Obst Freitag, 27. Juli 2012 Aufstehen 7:15 Uhr. Wie alle Tage habe ich gut
geschlafen; ich kann ja auch die Balkontür auflassen. Schnaken habe ich
nicht gesehen. Zecken übrigens auch nicht. Ich weiß gar nicht, ob sie
hier vorkommen. Frühstück und Wetter wie immer. Die andern haben heute
keine große Lust zu wandern, Marleen leider auch nicht, sie will sich
heute ausruhen, lesen und später in die Sauna. Pieter und Sylvia
beabsichtigen, mit dem dicken Bein in die nächste Stadt zum Arzt zu
fahren. Also müssen wir beide alleine los, Hanni und ich.
Ich entscheide, daß wir nochmal durch den angenehmen Wald rauf nach Peio
laufen, allerdings etwas anders als am Dienstag. Damit es nicht langweilig
wird. Der Weg ist immer noch so steil wie kürzlich. Unterwegs treffen wir
eine Herde blitzsauberer Ziegen mit ihrem Hirten und kurz darauf ein paar
friedliche Kühe.
In Peio (1.400 m) nehmen wir gleich die Seilbahn,
(beide Etappen für 19 EUR, der Hund kostet nichts), zum Tarlenta bis auf
zweitausend Meter hinauf. Erst sind es kleine Viermann-Kabinen, und dann,
nach dem Umsteigen, eine große, die zum Punta Taviela bis auf dreitausend
Meter hochfährt. Auch von hier oben sieht man Cogolo - und mit einem
Fernglas bewaffnet, würde man sogar unser Hotel erkennen können. (Und
mit einem noch schärferen Teleskop könnte ich sogar noch mein Bett in
meinem Zimmer erkennen.)
Geradezu wohltuend ist es, daß wir beide nirgendwo
anstehen müssen. Hanni darf ohne Umstände mit, keine Probleme mit dem
Personal. Ganz im Gegenteil, die haben alle Spaß mit Hanni - und die
freut sich natürlich umso heftiger, wenn sie so freundlich bewundert
wird. Die moderne Bergstation aus Beton hier ganz oben
wirkt etwas deplatziert in dem braunen nackten urwüchsigen Felsgestein.
Schrott liegt auch genug herum. Niemand der Leute scheint zu wissen, was
er hier oben eigentlich will. Ich auch nicht. Im Winter und im Schnee würde
eine wahnsinnig tolle Abfahrt vor einem liegen. Aber jetzt? Trotzdem, die
Leute verteilen sich rasch auf dem holprigen schroffen Plateau.
Rollstuhlleute kämen hier nicht weit.
Auf der Rückfahrt komme ich mir vor, als schwebte
ich über einer Modelleisenbahn-Landschaft. Die Wege, Wiesen, Almen, Wäldchen,
alles klein und deutlich erkennbar.
Zurück in Peio trinken wir erst einmal etwas, Hanni
Wasser und ich ein großes Radler, der kleine Hotel-Panda steht hier
verlassen auf dem Parkplatz. Dann wandern wir den gleichen Weg runter, es
ist fast genauso schwer für mich wie rauf, weil es so steil ist. Aber
wenigstens laufen wir meistens unter Bäumen auf einem gepflegten weichen
schattigen Waldweg im Mischwald. Die ungewohnt sauberen Ziegen begegnen
uns erneut. Hanni wetzt unterwegs hin und her und immer schnell weiter, es
gibt doch noch so viel Interessantes zu erschnuppern.
Ich bewundere die drei, Giulio, Orianna und Michela.
Tagsüber schnell mal auf einen Zwei-, Dreitausender und nach dem Zurückkommen
geht alles ganz normal weiter. Da braucht man sich noch nicht einmal
umzuziehen. Ausruhen schon gar nicht. So als würde ich meine 6-km-Runde
zuhause machen. Oder irgendjemand in seinem Wohnort etwas herumlaufen. Sie
schwitzen auch kaum. Orianna reguliert ständig ihre Temperatur und zieht
dazu fortwährend ein Teil aus oder an und schwitzt deshalb nicht.
(Zwiebeltechnik, kennt man ja, aber ich war bisher immer zu faul dafür.)
Ich bin dagegen jedesmal am Ende, naß geschwitzt, fix und fertig, und
dringender Ruhe bedürftig. Gegen 13:45 Uhr sind wir zurück. Unterwegs war der
Ziegenhirte die einzige menschliche Begegnung. Und der war auch noch
scheu. Was will ich mehr? Giulio und Michela kommen eine Stunde später zurück,
während Hanni und ich noch gemütlich und entspannt auf der Terrasse
sitzen. Sie haben nur mal eben so einen Dreitausender bestiegen. Da oben
auf dem Gipfel war heute übrigens ein Treffen irgendwelcher
„Alpinisti“ mit Pfarrer, Andacht, Gebet usw. (Einen Herzinfarkt gab es
auch da oben. Leider.) Ein paar von ihnen mit Hut und Feder habe ich eben
auf dem Heimweg hier im Dorf vorbeikommen gesehen. Keinem von beiden ist irgendetwas anzusehen. Welch
eine Kondition. Aber sie klettern ja fast jeden Tag hier in den Bergen
herum. Giulio und Orianna waren schon ein paarmal in Peru und Nepal auf
wirklich hohen Bergen. Das und das fast tägliche Training hier hält
unglaublich fit. Die Leute werden alle über achtzig Jahre alt. Die Höhenluft
in Cogolo ist auch nicht zu verachten. Ich dagegen sehe jetzt, wieviel Rückstände
ich von dem doofen GBS zurückbehalten habe. Trotzdem bin ich Gott und
meinem Schicksal dankbar, kaum jemand hat diese schwere seltene Krankheit
so schnell überstanden wie ich. Pieter war unterdessen beim Arzt. Gute Nachricht:
Zum Glück ist nichts wirklich Schlimmes passiert, nichts verstaucht,
nichts gerissen und nichts gebrochen. „Nur“ ein dicker blauer Fleck
und halt heftig geschwollen. Erstmal eine Stunde Schlafen. Dann packe ich
schonmal die große Tasche und bringe sie und die Wanderschuhe zum Auto
runter. Morgen geht es leider heim. Dann ein Radler (und Zigarre) auf der
Terrasse. Dazu studiere ich die Landkarte und suche unseren Heimweg
zusammen. Unser
heutiges Abendmenü: Salatbuffet Kräutersuppe Fleischstücke
mit würziger Soße und zartem Gemüse (eher etwas für Hanni). Zum
Dessert hatte ich mir bei Orianna „Gelati e Lamponi“ bestellt. Claudia
bringt mir aber ein Stück „Strudel“ mit Obst und will nicht
verstehen, daß ich viel lieber das Eis mit den Himbeeren gehabt hätte.
Ich bekomme auch keins von ihr zusätzlich… Nach dem Abendessen sitzen noch alle in der Bar und schwatzen. Fotos und Adressen werden getauscht und dann müssen wir alle Abschied nehmen. Schade, daß wir uns wieder trennen müssen, wir kamen alle prima miteinander aus. Es stimmt schon: Wandern verbindet. Samstag, 28. Juli 2012 Alte Weisheit, Abschiednehmen tut weh. Auch und
besonders hier bei so viel Freunden. Aber es muß ja sein. Der sehr gute
Eindruck wird dann leider doch noch etwas getrübt: Ich bekomme (ja, OK,
ich kann das verstehen) keine schriftliche Abrechnung der zusätzlichen
Kosten und finde den Betrag (wie immer) etwas hoch. Überprüfen ist also
nicht möglich. Aber es wird schon stimmen. Wie heißt es beim Besuch
bestimmter Etablissements: Du kommst als Fremder und gehst als Freund.
Hier trifft es wirklich mal zu! Der gelbe Rettungshubschrauber ist heute Morgen
schon zweimal in der Nähe gelandet. In den Bergen passiert halt ständig
etwas. Ich bin froh und erleichtert, daß mit Hanni und mir alles so gut
gegangen ist. Um zehn fahre ich ab. Die Sonne scheint. Wenigstens
hier. Eine Stunde später, ich habe schon den Passo del Tonale mit seinen
1.889 Metern überquert, regnet es. Trotzdem lasse ich mal wieder das
Cabriodach offen. Leider zu lang, ein dicker fetter Schauer fällt plötzlich
auf Hanni und mich. Nothalt und Dach zu machen. Warum dauert das auch soo
lang? Natürlich ist innen mal wieder alles naß. Hanni sieht mich
vorwurfsvoll an.
Dann rollen wir sehr bequem durch viele neue Tunnels
im Veltlin-Tal bis nach Bormio hinauf. Hier geht es sofort steil und in
achtundvierzig Tornante (Serpentinen) die enge Straße zum Stilfser Joch
hinauf. Schade, das Cabriodach ist immer noch zu. Kürzlich, vor zwei
Jahren, mit E. aus B., kamen mir die Straße und vor allem die unübersichtlichen
engen einspurigen Tunnels auf unseren beiden GoldWings gar nicht so schmal
vor. Jetzt schon. Falls sich hierdrin Autos begegnen, muß einer zurückstoßen.
Madonna di Cabrio, bitte hilf mir! stilfser
joch - Google-Suche Fotos Aber alles Jammern um mein schönes Auto nützt
nichts, ich muß durch, auch wenn die Spinner noch so schlimm und rücksichtslos
fahren. Der linke Außenspiegel kommt öfters in Gefahr. Und der rechte
auch. Dazu die vielen Radfahrer. (Ständig muß ich entscheiden: Hinter
ihnen abbremsen – oder noch schnell vorbei?) Motorradfahrer gibt’s
auch genug. Manche eiern ganz schön unerfahren rum. Hätten die nicht
wenigstens zuhause bei Mutti bleiben können? Aber vielleicht gibt es ja
demnächst, ab 2013, weniger Verkehr auf der Paßstraße, dann muß man
auch hier fürs Stilfser Joch Maut bezahlen.
Oben biege ich auf den Umbrail ab, überquere die
Grenze in die Schweiz, und fahre genauso viele Serpentinen hinunter. Hier
gibt es endlich wieder Sonne satt. umbrail
- Google-Suche Fotos Übrigens, wer hier schon gefahren ist, hat sich
bestimmt immer wieder über das nicht asphaltierte Teilstück der
Umbrail-Paßstraße gewundert. Einfache Erklärung: Da hier Weideland ist,
hat man ein paar Kilometer den Kühen zuliebe „natürlich“ belassen.
Unten geht’s dann noch einmal über die Grenze für
ein kurzes Stück durch Italien und links ab zum Reschen-Paß und wieder
weiter durch österreichisches Gebiet. Hier kommt mir eine endlose
Schlange Urlauberautos entgegen. Vor allem Belgier, Deutsche, Holländer.
Wie immer. Der niedrige Reschen-Paß ist halt unter „Sparfüchsen“
(sprich Geizhälsen) eine wichtige und gern genommene Alternative zum
Brenner. Und zusammen mit dem Fernpaß sparen sie sich die
Autobahn-Vignette und die zusätzliche Brenner-Maut für Hin- und Rückweg,
also ungefähr dreißig Euro für hin und zurück. Hier tanke ich zum zweiten Mal. (1,51 EUR pro Liter
normales Super 95). Den ursprünglich geplanten Abstecher nach Samnaun
mache ich nicht; lohnt nicht wegen ein paar Stangen Zigaretten und es ist
auch schon halbdrei, also viel zu spät. Dann fahren wir noch mithilfe des Arlberg-Tunnels
(schlappe 14 km Länge, Österreichs längster Straßentunnel, Maut 8,50
EUR) unter demselben bequem hindurch. Arlberg
Straßentunnel – Wikipedia arlberg
tunnel - Google-Suche Fotos Ich wundere mich hier stets, warum es drinnen im
Tunnel jedesmal so heiß wird. Das Thermometer zeigt immerhin stolze 34°C
an. Warum eigentlich? Ich kann nichts darüber finden. (Draußen waren es
nur zwanzig Grad.) Außer dem Pfändertunnel kenne ich keinen Tunnel, in
dem es innen derart heiß wird. In anderen Tunnels steigt das Thermometer
stets nur um ein paar Grad, wenn überhaupt. Dann geht es über die Grenze nach Deutschland
hinein. In Friedrichshafen umspielen mich sofort wieder meine
„Freunde“, die lästigen Kreisverkehre, gleich fünf Stück kurz
hintereinander. Durch das beschauliche Obstland am Bodensee geht es
gemächlich und sonnig weiter bis Riedlingen, wo wir uns gegen 17:45 Uhr
im Charisma-Hotel Brücke direkt an der hier noch schmalen Donau ein
Zimmer nehmen. Da ich einen Hund dabei habe, bekomme ich leider nur ein
schäbiges Zimmer im zweiten Stock des Altbaus zugeteilt. Dies ist
wirklich das schlimmste aller Hotelzimmer, das ich in den letzten hundert
Jahren hatte und ich verdränge möglichst rasch jede Erinnerung daran.
Besonders auch ans Badezimmer. Katastrophal! Mein Rat: Falls jemand hier übernachten möchte, es
bietet sich Donau-Fahrradfahrern und Kanuten eigentlich an, empfehle ich,
dringend darauf zu achten, daß man ein Zimmer im Neubau erhält.
Trotzdem, ich werde hier nicht noch einmal nächtigen, denn das Essen und
die Bedienung, hm, wie soll ich es ausdrücken, entsprechen nicht mehr dem
normalen Mindeststandard für Menschen. Als ich mir später zuhause die Internetseite des
Hotels ansehe, denke ich erst, daß ich mich auf der Seite eines total
anderen Hotels befinden muß. Aber das nennt man, glaub ich, Unterschied
zwischen Theorie und Realität, oder ganz einfach: Werbung. Unglaublich
dreist! Unglaublich unverschämt! Unglaublich unverfroren! Ich hatte vorher unterwegs schon zweimal wegen eines
Zimmers gefragt, die beiden gut aussehenden kleinen Hotels vorhin waren
aber beide voll belegt, das erste hatte eine riesige Hochzeitsgesellschaft
und das andere hatte ein Konzert der Egerländer in der Nähe, deshalb
wollte ich halt nicht noch länger suchen. Bei dieser Gelegenheit: Hier in Riedlingen, dem Ort,
in dem ich mich jetzt befinde, hat die Firma Silit (Töpfe und Pfannen)
ihren Stammsitz. Ich kam vorhin am Werk vorbei. Sonntag, 29. Juli 2012 Halbneun am Morgen. Es
regnet. So fühle ich mich auch: Regnerisch. Das Frühstück bestätigt
meine geringen Erwartungen nach einer schrecklichen Nacht in, natürlich,
einem schmalen Bett in einem sehr heißen Zimmer. Trotz offenen Fensters.
Hanni hat sich auch sehr unwohl gefühlt. Das gibt es sonst nur
ausgesprochen selten. Ich kann kurz durch zwei offenstehende Türen in
zwei andere bereits geräumte Zimmer und ihre Bäder sehen und sie sind
auch nicht besser: Alt und schäbig. Und dringend renovierungsbedürftig! Das Cabriodach muß noch
warten und weitere zwei Stunden geschlossen bleiben. Doch das schlechte
Wetter ficht mich nicht an. Und: Je nördlicher ich komme, desto weniger
regnet es. Gegen zwölf Uhr kann ich es endlich öffnen. Ich habe
inzwischen Münsingen und Schwäbisch Hall passiert. Hier mache ich den
Tank nochmal voll und tanke zum dritten und letzten Mal auf dieser Reise.
Die letzten Serpentinen werden durchfahren; von denen habe ich jetzt auch
genug gehabt. Vor allem
von den Bekloppten vor mir oder die mir entgegenkommen und die mir meine
saubere Kurvenlinie zerstören. Weiter geht es auf
wunderbar schmalen Straßen. Hanni und ich genießen den sonntagnachmittäglichen
Sonnenschein, das offene Auto und den spärlichen Verkehr. Ich fahre
etwas schneller als erlaubt, denn moralisch ist, was meinem Vergnügen
dient. Überholen wird zum Spaß. Der V8-Motor bewältigt
die Straße problemlos und blubbert stets aufregend und willig vor sich
hin – und will immer noch mehr; mit jedem Kickdown macht mir das
Fahrzeug klar, welchen Spaß es ihm macht, Grenzsituationen zu erfahren,
schneller zu sein, als es die doofen erlaubten und langweiligen hundert
km/h Spießern in ihren schrecklichen Golf Plus und A- und B-Klasse-Autos
erlauben. Die Lenkung
vermittelt stets vorbildlich gefühlsechten Kontakt zum Straßenbelag.
Endlich kann ich mich ein paarmal wieder austoben. Hanni gefällt es auch,
sonst hätte sie längst im Fußraum Zuflucht gesucht. Doch sie bleibt
entspannt neben mir liegen. Schließlich kommen wir an Künzelsau und Amorbach
vorbei und durchqueren den Odenwald. Der berühmte
Saukopftunnel zur Bergstraße und zur A5 ist leider gesperrt. Deshalb muß ich mich
durch Darmstadt quälen. Darmstadt dürfte die Stadt mit Deutschlands
(Europas?) schlimmsten und holprigsten Straßen sein. Ich hasse diese
Stadt und muß doch immer mal wieder durch. Vor ein paar Wochen erst mit
der GoldWing. Bei heftigem Regen! Man sollte den Ort einfach zuschei…!
Wie halten das nur die besonders vielen Radfahrer (Studentenstadt) aus?
Besonders auch bei Regenwetter? Dazu die unzähligen Straßenbahnschienen
und unfachmännischen (sprich billigen) Straßenausbesserungen. Also, wie
gesagt, Darmstadt am besten abreißen und einebnen. Hier wollte ich
wirklich nicht leben. Noch nicht einmal geschenkt. Eine Stadt, die niemand
braucht. Ich kann mich erinnern, daß
ein paar idiotisch-rückständige Spinner den Bau einer Umgehungsstraße
um Darmstadt herum verhindern wollen – und es wohl auch mal wieder
geschafft haben. Ich kann diese armseligen, ewig gestrigen Leute
jedenfalls nicht verstehen und wünsche ihnen alles Schlechte. Genauso wie
den Spinnern, die die für unsere Region so durchaus segensreiche
Hochmoselbrücke der B50 bei Ürzig verhindern (wollen). Die letzten hundert
Kilometer fahren wir, jetzt wieder brav, über die Autobahn und dann zum
Schluß über die B9 am Rhein entlang nach Hause. Gegen 17 Uhr und nach
insgesamt 1.734 Kilometern sind wir beide wohlbehalten zurück. Schon
wieder nichts verloren, nichts kaputt gemacht, schon gar keinen Unfall
gehabt. (Das vermißte Ladegerät steckt hier immer noch friedlich in
seiner Steckdose. Ich hatte es schlicht und einfach nur zuhause
vergessen.) Zwei Kilogramm „abgearbeitet“. Hanni ist zum Glück auch
wieder nichts passiert. Danke an unsere beiden lieben Schutzengel! Wieder
ein wunderschöner (aber anstrengender) Urlaub. Übrigens, während ich
weg war, hatten wir zu Hause eine (kurze) Hitzewelle mit über 35 Grad. Es
war wieder wie schon so oft: Ich muß nur wegfahren, schon kommt das schöne
und/oder heiße Wetter. In der zweiten Augusthälfte
geht es in die Toskana. (Leider ohne Reisebericht auf wilfi.de, rein
privat, zusammen mit meinen Münchener und Wiener Freunden.) Und später
im September noch einmal nach Rügen zum Wandern, klar, mit Hanni. Mal
sehen, vielleicht mache ich dann mal nur einen Fotobericht. Und für den
Winter 2012/13 habe ich eine Kulturreise in den Norden Thailands
eingeplant. © 2012 Wilfried R. Virmond - Nachdruck, auch
auszugsweise, grundsätzlich nur mit Genehmigung des Autors. Dies gilt
ganz besonders auch für sämtliche Fotos. |